Schmerzensgeld nahe der Millionengrenze

Die deutschen Gerichte stehen seit jeher im Ruf, bei Schmerzensgeldern eher sparsam zu sein. Das scheint sich aber teilweise zu ändern. Das Landgericht Gießen hält in einem aktuellen Urteil zum Beispiel ein Schmerzensgeld von 800.000 Euro für angemessen – wenn auch in einem wirklich schrecklichen Fall.

Bei der Operation eines 17-Jährigen waren die Schläuche des Beatmungsgeräts nicht richtig angeschlossen. Der Patient war 25 Minuten nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Er erlitt unter anderem einen schweren Hirnschaden und wird, wie es das Gericht formuliert, nie wieder „zu einem selbstbestimmten Leben“ in der Lage sein.

Die Klinik hatte freiwillig 500.000 Euro gezahlt, der Kläger verlangte eine Million Euro. Seine Entscheidung für ein bemerkenswert hohes Schmerzensgeld begründet das Gericht auch mit dem jungen Alter des Betroffenen. Außerdem würdigt es erschwerend, dass Ursache für die Schäden eine fehlerhafte Bedienung des Beatmungsgeräts gewesen sei. Dabei handele es sich – anders als bei vielen anderen Behandlungsfehlern – um ein voll beherrschbares Risiko (Aktenzeichen 5 O 376/18).

Mobilfunkanbieter darf nicht mit Sperre drohen

Mobilfunkanbieter dürfen Kunden nicht mit einer Sperrung des Anschlusses drohen, wenn es Streit über die Höhe von Telefongebühren gibt. Eine derartige Drohung ist auch wettbewerbswidrig und kann abgemahnt werden, hat jetzt das Oberlandesgericht Frankfurt entschieden.

In dem Fall ging es um 1.300 Euro „Roaminggebühren“, die ein Kunde bezahlen sollte. Zu Unrecht, meinte dieser. Der Anbieter verzichtete von sich aus auf 50 % der Kosten, den Rest machte er aber nachdrücklich geltend, unter anderem drohte er mit einer Sperrung des Anschlusses.

Darin sieht das Oberlandesgericht eine „aggressive“ Geschäftspraktik und damit einen Wettbewerbsverstoß. Nutzer seien heute auf ihr Mobiltelefon angewiesen, deshalb dürfe ihnen nicht wahrheitswidrig vorgegaukelt werden, eine Anschlusssperre sei zulässig.

Außerdem, so das Gericht, hätten die juristischen Voraussetzungen für eine Sperre auch definitiv nicht vorgelegen. Die Sperre sei nämlich nur zulässig, wenn der Rückstand mehr als 75 Euro betrage. Dabei werde aber der streitige Betrag (hier die noch offenen 650 Euro angebliche Roaminggebühren) nicht eingerechnet, da der Kunde die Rechtmäßigkeit der Rechnung nachvollziehbar angezweifelt habe. Die Zweifel ergäben sich normalerweise schon aus der ungewöhnlichen Höhe der Einzelrechnung. Besondere Begründungen könne der Kunde normalerweise müsse der Kunde nicht liefern, ihm fehle nämlich der Zugriff auf die Erfassungsdaten (Aktenzeichen 6 U 147/18).

Vorformulierte Ausflüchte

Die Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei ist nicht immer ganz so reibungslos, wie mal als Außenstehender denken könnte.

Eine gewisse Zurückhaltung des zuständigen Polizeibeamten bei der Erledigung seiner Aufgaben brachte jetzt zum Beispiel eine Staatsanwältin in Rage. Die Staatsanwältin hatte angeordnet, einen mutmaßlich Geschädigten als Zeugen zu vernehmen. Dieser sitzt derzeit eine Haftstrafe ab, was dann wohl bedeutet hätte, dass der Polizeibeamte den Betroffenen aufsuchen muss.

Stattdessen schickte der Beamte dem Zeugen einen Vordruck, auf dem dieser ankreuzen konnte, ob er gar nicht mit der Polizei reden will, ob er eine schriftliche Aussage machen will oder ob er einen Rechtsanwalt beauftragen wird. Das Ganze passt nicht mehr so ganz zur neuen Rechtslage, nach der Zeugen bei der Polizei grundsätzlich zu einer Aussage verpflichtet sind. Die Möglichkeiten „will nichts sagen“ und „beauftrage einen Rechtsanwalt“ sind, sagen wir es mal vorsichtig, jedenfalls nicht mehr sonderlich up to date, wenn sie es denn jemals waren.

Die offenkundige Arbeitsverweigerung quittierte die Staatsanwältin mit folgendem Schreiben:

… wird die Akte zurückgesandt mit dem Auftrag, den Zeugen in der JVA aufzusuchen (statt ihm einen unpassenden Fragebogen mit schon vorformulierten Ausflüchten präsentieren zu lassen), ihn auf seine Zeugenpflicht aufmerksam zu machen, ihn darauf hinzuweisen, dass im Weigerungsfall Ordnungsgeld und Ordnungshaft drohen, und ihn zu vernehmen.

Ich hätte es allerdings lieber gesehen, wäre wäre der Polizist mit seiner laxen Einstellung durchgekommen. Der Zeuge hat dann tatsächlich ausgesagt – und meinen Mandanten belastet.

Anwalt unerwünscht

Es wäre ja doch etwas hoch gegriffen, wenn ich behaupten würde, ich könnte jeden Mandanten vor dem Knast bewahren. Ist natürlich nicht der Fall. Von daher war es jetzt auch nichts Ungewöhnliches, dass mich der Hilferuf der Eltern eines früheren Mandanten erreichte.

Ihr Sohn sitzt derzeit seine Haftstrafe ab, gut anderthalb Jahre hat er schon geschafft. Aber irgendwie scheint es jetzt Vollzugsprobleme zu geben, deshalb sollte ich ihren Sohn unbedingt mal aufsuchen. Das habe ich heute auch gemacht. Weit gekommen bin ich allerdings nicht.

Am Besucherschalter erfuhr ich, dass der Mandant nicht mit mir sprechen möchte. Der freundliche Beamte ließ sogar noch mal auf der Abteilung nachhhören. Aber dort hieß es klipp und klar: Herr M. möchte nicht mit dem Anwalt reden. An freier Zeit dürfte es ja kaum liegen. Aber gut, ich kann mich einem erwachsenen Mann nicht aufdrängen. Vielleicht hat Herr M. ja mittlerweile auch einen anderen Anwalt beauftragt und legt deshalb momentan keinen Wert auf meine Unterstützung. Aber davon wussten die Eltern nichts. Auch im Register der JVA ist kein neuer Anwalt eingetragen, wie ich in Erfahrung bringen konnte.

Ich habe Herrn M. einen Brief geschrieben mit einem kleinen Formular, das er, sollte er seine Meinung ändern, nur an mich zurücksenden muss. Freiumschlag liegt auch bei. Vielleicht hatte Herr M. auch nur einen schlechten Tag, dann fahre ich halt noch mal hin. Ansonsten muss ich mich jetzt auch nicht sonderlich grämen. Denn immerhin habe ich die Vorkasse für den Besuch nicht vergessen.

Hartz IV: Kürzung nur bis 30 Prozent erlaubt

Das Bundesverfassungsgericht hat heute die Sanktionen beim Bezug von Hartz IV neu geordnet. In einem Urteil legt das Gericht eine Obergrenze von 30 Prozent an Kürzungen fest, sofern Leistungsbezieher ihren Pflichten nicht nachkommen. Die bisherigen Kürzungen von bis zu 60 Prozent sind – zumindest bis zu einer gesetzlichen Neuregelung – nicht mehr zulässig.

Außerdem kippen die Richter den Grundsatz, dass eine Sanktion immer für mindestens 3 Monate verhängt wird. Vielmehr müssen die Behörden nun künftig prüfen, ob auch eine kürzere Sperrzeit reicht, zum Beispiel wenn der Leistungsempfänger das Problem beseitigt oder sich zumindest glaubhaft mitwirkungsbereit erklärt.

Die Vorgaben gelten nur für Langzeitarbeitslose über 25 Jahren. Sanktionen für jüngere Leistungsbezieher waren nicht Thema das Verfahrens. Aber die vom Gericht aufgestellten Grundsätze dürften auch hier gelten. Einzelheiten stehen in einer Pressemitteilung des Gerichts.

An der Untergrenze

Eine Verständigung im Strafverfahren (Deal) ist zulässig. Aber es gibt Regeln, die einzuhalten sind. Eine davon lautet: Das Gericht darf für den Fall eines glaubwürdigen Geständnisses keine Zusage über eine konkrete Strafe machen. Sondern es muss ein Strafrahmen genannt werden. Innerhalb dieses Korridors, der halt Spielraum lässt, findet das Gericht dann sein konkretes Urteil.

Normalerweise ist es so, dass Gerichte bei ihrem Urteil zwar im unteren Bereich des Rahmens bleiben, aber die Grenze halt auch nicht bis ganz nach unten austesten. So hatte ich eigentlich auch nicht damit gerechnet, dass in einem Strafverfahren nun folgende Freiheitsstrafe rauskommt: 4 Jahre und 10 Monate.

Genau dies war nämlich die Untergrenze gemäß der Verständigung, die mein Mandant mit dem Gericht und der Staatsanwaltschaft getroffen hatte. Die Obergrenze lautete auf 5 Jahre und 9 Monate. Es war also eher mit 5 Jahren zu rechnen. Um so schöner natürlich die Abweichung nach unten.

Ich war jedenfalls positiv überrascht, der Mandant ebenso. Weiter durfte er sich darüber freuen, dass das Gericht seine Auslieferungshaft in in Portugal im Verhältnis 2:1 anrechnet. Dort hat der Mandant am eigenen Leib erfahren, wie flexibel die Europäische Menschenrechtskonvention mitunter gehandhabt wird. Aber das wird vielleicht mal eine gesonderte Geschichte.

55 Euro

Erfreuliche Post vom Amtsgericht:

Dass der Richter das Bußgeld auf 55 Euro reduzieren möchte, hat seinen guten Grund. Punkte in Flensburg gibt es erst ab einem Bußgeld von 60 Euro. Der Mandant wollte natürlich nur eines: den Punkt vermeiden. Das hat er nach meiner Erfahrung mit 95 Prozent aller Autofahrer gemeinsam, die gegen einen Bußgeldbescheid Einspruch einlegen.

Eine Lösung, an die oft keiner denkt

Verhandlungen geraten mitunter in eine Sackgasse. Keine Seite sieht mehr eine Möglichkeit, sich zu bewegen. Das gilt – natürlich – auch im Strafprozess. Und auch hier ist es wichtig, mögliche Exit-Strategien zu kennen – um vielleicht doch wieder Bewegung in die Sache zu bringen.

In kleineren Fällen, in denen „nur“ eine Geldstrafe im Raum steht, gibt es zum Beispiel das Rechtsinstitut der „Verwarnung mit Strafvorbehalt“ (§ 59 StGB). Das ist an sich eine schöne Sache: Wenn es für eine Einstellung wegen geringer Schuld nicht reicht, aber auch eine Geldstrafe nicht sein muss, kann die Verhängung der Geldstrafe als solche zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Strafe wird also nur wirksam, wenn der Angeklagte innerhalb der Bewährungszeit, die ein bis maximal zwei Jahre beträgt, sich erneut etwas zuschulden kommen lässt.

Der große Vorteil liegt insbesondere darin, dass die Verwarnung mit Strafvorbehalt nicht im Strafregisterauszug auftaucht (jedenfalls, wenn der Betroffene keine Vorbelastungen hat). Er behält also nach außen eine reine Weste, was ja heutzutage gar nicht überbewertet werden kann.

Seltsamerweise haben Richter und auch Staatsanwälte das Zwischending zwischen Einstellung und Strafe fast nie auf dem Schirm. Jedenfalls kann ich mich momentan nur an einen Fall erinnern, in dem der Richter eine Verwarnung mit Strafvorbehalt vorschlug. Wobei ich genau das ebenfalls gerade anregen wollte. Es ist also immer am Verteidiger oder auch am Angeklagten selbst, diesen Lösungsansatz ins Spiel zu bringen.

Vor kurzem habe ich in München mit der Idee eine ziemlich verfahrene Situation aufgelöst. Die Richterin war zuerst skeptisch, ließ sich dann aber davon überzeugen, dass man doch von den Möglichkeiten des Gesetzes auch Gebrauch machen sollte, wenn es sich anbietet. Auch der Staatsanwalt konnte seinem Credo treu bleiben, dass er einer Einstellung wegen geringer Schuld nie und nimmer zustimmt.

Am Ende waren alle froh, auch wenn die Sache sich dann noch eine knappe Stunde in die Länge zog. Die Richterin musste erst mal die nötigen Formulare suchen und ausdrucken, weil sie offensichtlich gar nicht wusste, wie man eine Verwarnung mit Strafvorbehalt korrekt formuliert.

Wenn ihr mal Ärger habt, denkt vielleicht an diese Möglichkeit. Und stupst euren Anwalt an, die Idee wird ihm sicher gefallen.

Kein Konsens

Und dann war da heute noch der Polizeibeamte am Telefon, der zu mir sagt:

Wenn ihr Mandant nichts zu verbergen hat wie er behauptet, dann kann er doch problemlos den PIN für sein Telefon rausgeben.

Leider konnten wir zu diesem Punkt keinen Konsens erzielen.

Auf dem letzten Stand

Ich sage immer, als Beschuldigter in einem Strafverfahren sollte man es nicht eilig haben. Einzige Ausnahme: Man sitzt in Untersuchungshaft. Insoweit kommt mir die Arbeitsweise einer norddeutschen Staatsanwaltschaft entgegen. Die Staatsanwaltschaft hat jetzt – Ende Oktober 2019 – Anklage gegen meinen Mandanten erhoben.

Offensichtlich um eine unnötigen Versendung der Akte (Arbeit, Kosten) vorzubeugen, steht im Begleitschreiben folgender Hinweis:

Die Akte befindet sich noch auf dem Ihnen bekannten Stand vom 01.09.2018.

Insoweit bin ich also vollständig informiert. Auch wenn ich nach dem Jahr Leerlauf jetzt doch erst mal nachlesen muss, um was es in dem Fall genau geht…

Liebesdrama in der JVA Vechta

Zu den eher rührenden Meldungen der letzten Tage gehört die Geschichte eines jungen Mannes, der unsterbliche Sehnsucht nach seiner Freundin hatte. Die Freundin sitzt derzeit im Frauengefängnis Vechta, so dass eine Kontaktaufnahme sicher nur eingeschränkt möglich ist. Jedenfalls wollte oder konnte der 18-Jährige den nächsten Besuchstermin nicht abwarten. Er versuchte deshalb, an der Außenmauer des Knastes hochzuklettern.

Auslöser für die Aktion war nach Angaben des niedersächsischen Justizministeriums der Umstand, dass die Freundin aktuell wohl Schluss machen wollte. Deshalb habe der 18-Jährige mit ihr reden wollen. Er kletterte dafür an der vier Meter hohen Außenmauer der JVA hoch, wobei er sich an einer Laterne festhielt. Um nicht am Stacheldraht hängenzubleiben, hatte er sich einen Großteil seiner Kleidung ausgezogen. „Halb nackt“ sei der Betroffene bis zum Zellenfenster der Freundin in der ersten Etage hochgeklettert, heißt es.

An der Fassade wurde er dann vom Personal entdeckt; die Feuerwehr holte ihn mit einer Drehleiter runter. Ob und wie lange der junge Mann mit seiner Freundin sprechen konnte und wie der Beziehungsstatus derzeit ist, können die Behörden nicht mitteilen. Der junge Mann schweige derzeit, heißt es.

Das ist sicher gar nicht dumm, denn hier steht durchaus ein strafrechtlicher Vorwurf im Raum: Hausfriedensbuch (§ 123 StGB). Außerdem liegt möglicherweise auch noch eine Ordnungswidrigkeit vor: unerlaubter Verkehr mit Gefangenen (§ 115 OWiG). Bei Letzterem muss man das Gesetz aber genau lesen. Unerlaubt ist die Verständigung mit Worten oder Zeichen nur, wenn dies „von außen“ erfolgt. Der Betroffene war aber auf gewisse Weise schon sehr weit drinnen in der JVA. Da hätte man als Verteidiger also einen schönen Angriffspunkt.

Schwieriger wird es sicher mit dem Hausfriedensbruch. Allerdings könnte man vielleicht bei der Justizverwaltung auf Erbarmen hoffen. Ohne Strafantrag würde die Tat jedenfalls nicht verfolgt. Wiederholungsgefahr soll übrigens nicht mehr bestehen. Der Laterne an der Gefängnismauer wurde nach Angaben der Behörden schnell mit einer Dornenmanschette gesichert.

Verhältnismäßig „zufrieden“

Menschen mit Augenmaß sind eine angenehme Erscheinung. Gerade wenn sie deine eigenen Kunden sind. Deshalb habe ich mich nun darüber gefreut, dass ein Mandant mit dem Strafurteil gegen sich so „zufrieden“ war, dass er gar keine Revision einlegen möchte.

Nicht selbstverständlich bei 9 Jahren Freiheitsstrafe. Aber auf der anderen Seite standen halt auch 12 Jahre im Raum. Oder vielleicht sogar 13. Nur würde das natürlich nicht jeder so sehen wie der Mandant. Wofür ich auch natürlich auch Verständnis hätte. Aber so ist es mir natürlich viel lieber.

Gericht will keine Textbausteine

Momentan prozessieren landauf, landab tausende Autokäufer gegen Volkswagen. Meist mit Hilfe spezialisierter Kanzleien. Für diese ist der Abgasskandal natürlich eine Art Massengeschäft. Das wiederum birgt Gefahren bei der Prozessführung – wie ein Fall vor dem Oberlandesgericht Naumburg zeigt.

Das Gericht will sich inhaltlich gar nicht mit einer Berufung beschäftigen, die ein vom Abgasskandal betroffener Autokäufer gegen ein für ihn negatives Urteil eingelegt hat. Das Oberlandesgericht hält die Berufung bereits für unzulässig. Die Anwälte des Klägers würden lediglich Textbausteine verwenden, die abstrakt Anspruchsgrundlagen für Schadensersatzansprüche darstellen. Es fehle jedoch an einer einzelfallbezogenen Darstellung, warum das Urteil nicht richtig ist.

Tatsächlich verlangt die Zivilprozessordnung ausdrücklich von einer Berufungsbegründung, dass diese nicht nur Rechtsfehler aufzeigt, sondern auch eine Darlegung enthält, warum die Rechtsfehler im konkreten Fall zu einem falschen Urteil führen. Werden die tatsächlichen Feststellungen angegriffen, müssen konkrete Anhaltspunkte angeführt werden, welche die nötigen Zweifel begründen (§ 520 ZPO).

Wenn die Berufungsbegründung also mehr oder weniger nur aus Allgemeinplätzen besteht, kann das zu einem Risiko werden. Nicht nur für den enttäuschten Autokäufer. Sondern auch für seine Anwälte. Diese sehen sich dann womöglich mit dem Vorwurf konfrontiert, den Kläger nicht hinreichend vertreten zu haben. Dann können neue Anwälte die alten Anwälte verklagen, sofern der VW-Käufer noch nicht prozessmüde ist (Aktenzeichen 1 U 168/18).

Kleiner Fehler (hoch 27)

Kleine Schusseligkeiten können sich ganz schön potenzieren. Wie eine Pflichtverteidigerabrechnung, die ich bei Gericht eingereicht habe. Bei der Abrechnung habe ich übersehen, dass sich mein Mandant in Untersuchungshaft befindet. Zwar nicht in dieser konkreten Angelegenheit, aber das spielt keine Rolle. Nach dem Vergütungsgesetz kommt es für den sogenannten Haftzuschlag nur darauf an, dass Untersuchungshaft vollzogen wird.

Den betreffenden Zuschlag habe ich leider nicht mitberechnet. Das macht in dem Fall einen Unterschied von 72,59 €, immerhin etwa 15 % des Gesamthonorars. Also nun kein Minimalbetrag, den ich jetzt achselzuckend abschreiben würde.

Leider gibt es da noch eine Kleinigkeit, deshalb erzähle ich die Geschichte. Bei den Fällen handelt es sich um Taten aus einer mutmaßlichen Betrugsserie, insgesamt 27 Stück. Ich wurde vor Verbindung der einzelnen Angelegenheiten als Pflichtverteidiger beigeordnet. Und zwar in allen 27 Fällen. Das bedeutet, ich habe die unvollständige Abrechnung nicht nur einmal eingereicht, sondern 27 Mal. Leider ist mir das auch erst aufgefallen, als das Gericht die ersten Rechnungen samt und sonders gezahlt hat.

Wenn ich nicht auf das Honorar verzichten will, muss ich jetzt also die 72,59 € hochoffiziell nachmelden – 27 Mal. Ich werde mal schauen, wie ich mich bei der zuständigen Rechtspflegerin für die unnötige Arbeit entschuldigen kann. Vielleicht am besten persönlich, wenn ich nächste Woche wieder an dem betreffenden Gericht bin.

Kein Anspruch auf warme Worte?

Arbeitszeugnisse enden meist mit freundlichen Worten. „Wir danken für die geleistete Arbeit und wünschen für die weitere Zukunft alles Gute und viel Erfolg.“ Oder: „Wir bedauern ihr Ausscheiden und danken ihr für die stets gute Zusammenarbeit. Für die Zukunft wünschen wir Frau H. alles Gute und weiterhin viel Erfolg.“ Was aber, wenn der Arbeitgeber die übliche Schlussformel verweigert?

Vor Arbeitsgerichten haben Arbeitnehmer in diesem Punkt meist schlechte Karten. Das Bundesarbeitsgericht hat nämlich entschieden, dass in ein Arbeitszeugnis nur überprüfbare Fakten zwingend reingehören. Außerdem muss es aus sich heraus verständlich sein und darf keine verdeckten Missbilligungen enthalten. Dass warme Worte am Ende fehlen, wertet das Gericht nicht als Herabsetzung des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber dürfe freundlich sein, müsse es aber nicht.

Gänzlich anders sieht es das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern. Die Richter weisen in einen aktuellen Urteil darauf hin, dass den Arbeitgeber eine Rücksichtnahmepflicht trifft. Diese ergebe sich aus § 241 BGB in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 GG). Das sei auch für den Anspruch auf ein Zeugnis zu beachten, der sich aus § 630 BGB und § 9 GewO ergibt.

Schlussformeln sind nach Auffassung der Richter heute üblich. Aus ihrem Fehlen ergebe sich deshalb nicht nur eine geringe Wertschätzung. Vielmehr werde der Arbeitnehmer, zumindest im entschiedenen Fall, „öffentlich dokumentiert gekränkt“. Ein brauchbares Zeugnis, so das Gericht, habe überragende Bedeutung für die Zukunft des Arbeitnehmers. Demgegenüber habe der Arbeitgeber nur ein geringes Interesse daran, sich jeden Dank zu ersparen.

Vor den Arbeitsgerichten wird sehr häufig um den Inhalt des Zeugnisses gestritten. Wenn es um die Schlussformel geht, kann das neue Urteil dem Arbeitnehmer bei der Argumentation vielleicht helfen (Aktenzeichen 2 Sa 187/19).