VORLIEBEN

Vor einigen Minuten am Amtsgericht Düsseldorf. Richterin B. führt ebenso resolut wie kompetent durch die mündliche Verhandlung. Zum Beispiel mit folgender Anmerkung:

Ach, wenn Sie das per Fax geschickt haben, habe es wahrscheinlich nicht gelesen. Das liegt daran, dass ich diese Faxe nicht so mag.

HILFERUF

Am Landgericht Frankfurt am Main geht es anscheinend dauerhaft drunter und drüber. Auch uns erreichte jetzt der „Hilferuf“ eines Richters, in Form eines Beschlusses vom 3. Mai 2004:

In dem Rechtsstreit C. gegen M. wird der Termin zu Verkündung einer Entscheidung bestimmt auf Donnerstag, 27. Mai 2004, 16 Uhr. Aufgrund chaotischer Zustände auf der Geschäftsstelle der 25. Zivilkammer – seit etwa Anfang März 2004 sind keinerlei Schriftsätze mehr zu den Akten gereicht worden und solche nur, soweit auffindbar, vom Einzelrichter selbst gezogen worden – war eine Verkündung zum bestimmten Termin nicht möglich. Die Akte befand sich unter mehreren auf dem Boden der Geschäftsstelle lagernden Aktenbergen und konnte daher nicht rechtzeitig zum Termin vorgelegt werden.

FRISTLOS

Das Anklicken von Pornoseiten am Arbeitsplatz rechtfertigt nicht unbedingt eine fristlose Kündigung. Das Landesarbeitsgericht Mainz hat entschieden, dass eine Abmahnung erforderlich ist, weil der Betroffene den Verstoß sofort eingeräumt habe, berichtet beck-aktuell. Es sei deshalb möglich gewesen, das Vertrauensverhältnis wiederherzustellen.

NOSTALGISCH

Manche Kollegen sind gut für nostalgische Gefühle. Nehmen wir den jungen Anwalt, der mir neulich im Gericht gegenübersaß. Als ich reinkam, hatte er nichts für mich übrig. Außer einer roten Birne und einem angestrengten Blick auf die Akte vor sich. Kaum war die erste Zeugin aufgelaufen, plusterte er gleich die Backen, um die Frau zu demontieren.

Seine Fragen stießen allerdings auf wenig Gegenliebe. Zu suggestiv, zu konstruiert. Nachdem ich zweimal darum gebeten hatte, bei der Sache zu bleiben und die Zeugin nicht zu verunsichern, wurde es auch der Richterin zu bunt. Der junge Kollege reagierte quengelig und emotional. Statt dann aber einen richtigen Streit vom Zaun zu brechen und seine Ansicht durchzufechten, gab er nach kurzer Diskussion auf und erklärte leicht beleidigt: „Keine Fragen mehr.“

Bingo. Von da an war er schlicht nicht mehr zu gebrauchen. Wo er sich anfangs unheimlich reingehängt hatte, ließ er die Sache plötzlich schleifen. Sein Blick sagte nur: „Blödes Gericht. Alles ungerecht. Die Welt ist schlecht. Was mache ich hier eigentlich?“

Es ist ein typischer Anfängerfehler, die Sache des Mandanten zur eigenen zu machen. Das hat nichts damit zu tun, dass man sich für die Interessen des Auftraggebers einsetzen soll. Sondern einfach damit, dass man glaubwürdiger, überzeugender und auch kompetenter wirkt, wenn man als Anwalt auftritt und nicht als Klon der eigenen Partei.

Allerdings müsste ich lügen, wenn mich der misslungene Auftritt nicht ein bisschen an meine eigenen Anfangstage erinnert hätte.

GRUNDBEDÜRFNIS

GRUNDBEDÜRFNIS

In höchster Sorge um sein mediales Wohlergehen ist ein Mann aus Berlin. Er wollte dem ZDF verbieten lassen, am 14. Mai die Hochzeit des dänischen Kronprinzen live zu übertragen. Denn dann, so fürchtete der Mann laut beck-aktuell, fallen mal wieder die Informationssendungen „mittagsmagazin“ und „heute“ aus. Das Verwaltungsgericht Mainz erteilte dem eine Absage: Das ZDF sei in seiner Programmgestaltung frei. Und soweit Grenzen bestünden, seien diese nicht verletzt.

Falls ein privater TV-Anbieter unauffällig hinter diesem Eilantrag stehen sollte, ist das gar kein schlechter Schachzug. Jedenfalls bringt das Verfahren die überfällige Frage ins Rampenlicht, wieso die öffentlich-rechtlichen Anstalten immer mehr Boulevard ausstrahlen, gleichwohl aber immer noch uneingeschränkten Anspruch auf die Rundfunkgebühren haben sollen. Denn die muss der Bürger ja nur zahlen, weil der öffentliche Rundfunk (angeblich) die „Grundinformation“ der Bevölkerung gewährleistet.

LOSBUDE

Berufungsrichter müsste man sein. Über der Instanz wölbt sich der blaue Himme. Höchstens getrübt vom vagen Risiko, dass sich eine düpierte Prozesspartei nach Karlsruhe begibt. Zum Bundesverfassungsgericht. Ein Gericht übrigens, das Grundrechtsverstöße mitunter nicht ahndet mit der Begründung, der Senat habe sich zu dieser Rechtsfrage bereits geäußert. Wenn sich die unteren Instanzen nicht dran halten, hat der Bürger halt Pech gehabt.

Ach ja, man könnte noch an die europäischen Gerichtshöfe appellieren. Aber das ist nichts, was den wackeren Vorsitzenden eines Berufungsgerichts wirklich davon abhalten sollte, sich zurückzulehnen, die Fingerspitzen aufeinander zu drücken und sinngemäß Folgendes zu erklären: Nach den Buchstaben des Gesetzes müssen wir der Klägerin Recht geben. Aber die Buchstaben des Gesetzes sind flüchtig wie der Wind. Ein Federstrich des Gesetzgebers, schon sieht die Welt ganz anders aus. Überhaupt, der Gesetzgeber. Schauen Sie sich doch mal an, was die in Berlin und unserer Landeshauptstadt für einen Murks machen.

Was also zählt? Natürlich nur eins, die materielle Gerechtigkeit. Und wenn es um diese Frage geht, sieht es für die Beklagte bestens aus. Da uns keiner kontrolliert, ist es uns eigentlich herzlich egal, ob wir das Gesetz etwas verbiegen oder nicht. Natürlich nur in diesem einen, er lächelt sanft, „etwas skurrilen Fällchen“.

Wenn ich auf Klägerseite gestanden hätte, hätte ich um eine fünfminütige Unterbrechung gebeten. Um einen unaufschiebbaren Antrag zu stellen. Auf Ablehnung des Gerichts. Wegen Besorgnis der Befangenheit. Das hätte zwar auch nichts gebracht, aber immerhin kann man Zivilrichter damit ab ein klein wenig ärgern.

Aber ich stand ja auf Seiten der Beklagten. Und so habe ich emsig genickt und das Gericht für seine Weisheit gepriesen. Während der gegnerische Anwalt nur schluckte und nicht aufbegehrte. Nicht mal ein bisschen.

Es lebe also die Gerechtigkeit. Zumindest bis zur nächsten Ziehung in der Losbude namens Landgericht.

BEMÜHT

BEMÜHT

Die Tage mal eine Richterin korrekt abgepasst. Obwohl die Sache hakelig war, rang sie sich zu einem Freispruch durch. Keine Ahnung, ob es am flammenden Plädoyer lag. Oder an der vorhergehenden Demontage der Zeugen. Jedenfalls war die Staatsanwältin, die wie für diese Berufsgruppe üblich an einer anderen Veranstaltung teilgenommen hatte, hellauf entsetzt und erklärte schmallippig: „Mit einem Rechtsmittelverzicht können Sie aber nicht rechnen.“

Obwohl ich nach Schluss der Verhandlung normalerweise nicht fraternisiere (Stammleser dürfen jetzt schmunzeln), kratzte ich etwas Jovialität vom Boden meines Aktenkoffers und rang mir eine unter Juristen durchaus als launig anzusehene Bemerkung ab: „Wollen Sie sich wirklich mit einer Berufung noch mehr Arbeit machen? Ich meine, wenn ich bei Ihnen in den Büros die Aktenberge sehe…“

Sie wiederum schenkte mir ein Lächeln, welches mir erstmals die wahre Tiefe der Vokabel „bemüht“ offenbarte. Mit einem spröden tschüss gingen wir dann unserer Wege. Die allerdings kreuzten sich dann 15 Minuten später bei Subways erneut und wir winkten uns höflich über die Tische zu.

Aber im Übrigen habe ich keine Ahnung, warum die Berufung dann doch ausgeblieben ist.

WILLKÜR

WILLKÜR

Das Bundesverfassungsgericht hebt einen Beschluss des Oberlandesgerichts München auf. Die Kritik der Karlsruher Richter: Den Münchner Kollegen war „entgangen“, dass eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft unverhältnismäßig und willkürlich war. Die Staatsanwaltschaft hatte die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe erst zurückgestellt, dann den Betroffenen aber ohne jede Vorwarnung und konkreten Anlass festnehmen und einsperren lassen.

(danke an Mathias Schindler für den link)

AUFREGUNG

Aufregung um einen Satz der Bundesjustizministerin. Frau Zypries hatte sich in einem Interview zur Strafbarkeit von Kinderpornografie geäußert. Sie sagte laut Spiegel online, dass „das, was man zum Eigengebrauch hat, nicht so strafwürdig ist, wenn es überhaupt strafwürdig ist, wie das, was man dealt“. Das sei auch vom Rauschgift her bekannt.

Die Reaktion der – teilweise selbsternannten – Opferschützer belegt, dass man mittlerweile von einer echten Hysterie sprechen kann, allerdings nicht auf Seiten der Ministerin. Der Strafrahmen für den Besitz von Kinderpornografie hat sich neulich verdoppelt: auf 2 (!) Jahre. Wenn man in der Praxis erlebt, wie lasch mitunter Leute bestraft werden, die Kinder real betatscht oder noch schlimmer missbraucht haben, ist diese Strafdrohung eine brutale Keule. Die auch geschwungen wird. Da der Besitz meist relativ problemlos nachweisbar ist, wird auch entsprechend hart geurteilt – und so manche Existenz gnadenlos vernichtet.

Im Strafrecht gilt aber nun mal der Grundsatz, dass jeder nach dem Grad seiner Schuld zu bestrafen ist (§ 46 Abs. Strafgesetzbuch). Wer Kinderpornos herstellt, lädt größere Schuld auf sich als derjenige, der sie verkauft. Hersteller und Verkäufer können nach dem neuen Recht bis zu fünf Jahren ins Gefängnis geschickt werden.

Hersteller und Vekäufer tragen wiederum größere Schuld als der, der diese Bilder besitzt. Ich betone, es geht hier nicht um Moral, sondern darum, nicht einfach jedes Augenmaß bei der Schuldfrage zu verlieren. Das ist einer der wesentlichen Punkte, die ein deutsches Strafgericht von einem Hexenprozess unterscheiden.

Ein gewichtiges Argument für die hohe Strafdrohjung ist immer, dass der Besitzer von Kinderpornografie den Markt am Leben hält und deshalb abgeschreckt werden muss. In den nicht gerade wenigen Verfahren, die ich in den letzten Jahren als Verteidiger erlebt habe, ist mir allerdings eines aufgefallen: Bei der harten Pornografie finden sich fast immer die gleichen Bilder oder Filme auf den Festplatten der Verdächtigen. Die meisten Medien sind nachweislich 15, 20 oder sogar schon 30 Jahre alt.

Nur ganz selten spielen Bilder oder Filme eine Rolle, die jüngeren Datums sein könnten. Ich habe natürlich keinen repräsentativen Überblick, aber nach meiner Einschätzung entspringt der florierende Kinderpornomarkt eher dem (Wunsch-)Denken mancher der erwähnten Hysteriker. Kann gut sein, dass sie damit nur ihren eigenen Umsatz in Form von gutgemeinten Spenden erhöhen wollen.

Wer in diesem Bereich etwas Gutes tun will, sollte Organisationen unterstützen, die etwas Vernünftiges gegen realen Missbrauch tun.

ABGELAUFEN

In England ist bei einem Richter kompromittierendes Material auf seinem Computer gefunden worden. Zu einem Verfahren wird es aber nicht kommen. Die Beweise sind nämlich unverwertbar, weil der Durchsuchungsbeschluss einen Tag abgelaufen war, so dieser Bericht.

In Deutschland hätte sich hierfür niemand interessiert. Bei uns sind, wir hatten das Thema vor einiger Zeit schon einmal, Beweismittel regelmäßig auch dann verwertbar, wenn sie illegal erlangt wurden.

Ich habe neulich einen Polizeibeamten darauf hingewiesen, dass eine Durchsuchung in einer Privatwohnung mangels „Gefahr im Verzuge“ rechtswidrig ist. Seine Antwort: „Sehen Sie, wie ich vor Ihnen zittere? Und jetzt stören Sie bitte nicht weiter.“

(danke an Margaret Marks für den link)

ERFOLGLOS

Die deutschen Verwaltungsrichter bezweifeln die Rechtmäßigkeit der Antiterror-Gesetze. Die Menge der gesammelten Daten stehe in in keinem Verhältnis zu den bisherigen Erfolgen – von denen es bisher kaum welche geben soll. Die Verwaltungsrichter fordern außerdem eine zeitliche Befristung des Gesetzes, so beck-aktuell.