Mikado

Vorab als Fax 0345 220 5030
Amtsgericht Halle
Thüringer Straße 16
06112 Halle

10. Januar 2007

Antrag auf gerichtliche Entscheidung entsprechend § 98 Abs. 2 S. 2 StPO

des Rechtsanwaltes Udo Vetter, Lützowstraße 2, 40476 Düsseldorf,

wegen

der Datenabfrage der Staatsanwaltschaft Halle bei Kreditkartenunternehmen und Abrechnungsstellen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens „Mikado“ wegen mutmaßlicher Verstöße gegen § 184b StGB.

Ich beantrage,

festzustellen, dass die Datenabfrage der Staatsanwaltschaft Halle bei bundesdeutschen Kreditkarten und Abrechnungsunternehmen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens „Mikado“ rechtswidrig war.

Mit diesem Antrag wende ich mich gegen die oben näher beschriebene Ermittlungsmaßnahme der Staatsanwaltschaft Halle. Es handelt sich um eine bundesweit beachtete Aktion. Ich füge beispielsweise einen Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. Januar 2007 als Anlage 1 bei.

I.

Ich bin Inhaber zweier Kreditkarten, die von deutschen Banken ausgegeben wurden. Es handelt sich hierbei um eine Mastercard, herausgegeben von der Deutschen Bank, sowie um eine Visacard, herausgegeben von der DaimlerChrysler Bank.

Die Mastercard nutze ich ununterbrochen seit rund 20 Jahren. Die Visacard habe ich Ende 2004 erhalten.

Als Beleg füge ich zunächst zwei Kreditkartenbelege bei (Anlage 2)

II.

Die Staatsanwaltschaft Halle erhielt über ein Fernsehmagazin Hinweise auf eine Internetseite, auf der möglicherweise kinderpornografische Inhalte angeboten wurden. Die Inhalte konnten gegen Bezahlung mit Kreditkarte heruntergeladen werden.

Die Betreiber dieser Website konnten nicht ermittelt werden. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft war es auch nicht möglich, den Geldstrom zu verfolgen. Die Spur habe sich auf den Philippinen verloren.

Um mögliche Nutzer des Angebotes zu ermitteln, richtete die Staatsanwaltschaft Halle an alle deutschen Kreditkartenunternehmen und Verrechnungsstellen eine Anfrage und bat um Mitteilung der Kreditkartenkunden, über deren Karte innerhalb eines bestimmten Zeitraum ein Betrag von 79,99 Dollar für einen bestimmten Vertragskunden der Kreditkartenunternehmen (Betreiber einer Verrrechnungsstelle bzw. der Webseite) ins Ausland übermittelt wurden.

In den Schreiben wurde den Empfängern mitgeteilt, sie machten sich ggf. strafbar, wenn sie der Aufforderung nicht nachkämen.

Nach Angaben der Ermittlungsbehörden durchsuchten die deutschen Kreditkartenfirmen daraufhin ihre Datenbestände auf Zahlungen, die den genannten Kriterien entsprechen. Es wurden den Ermittlungsbehörden dann 322 Kreditkartenkunden mitgeteilt, über deren Kartenkonto passende Zahlungen erfolgten.

Ich besitze zwei der jeweils meistverbreiteten Kreditkarten Deutschlands. Somit sind auch meine Kontendaten im Rahmen der Ermittlungen überprüft worden.

III.

Die Ermittlungsmaßnahme war rechtswidrig, jedenfalls aber unverhältnismäßig.

1. Es bestand noch nicht einmal ein Anfangsverdacht, um derartige Ermittlungen vorzunehmen.

Die bloße Existenz einer Internetseite mit Kinderpornografie liefert keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass diese Seite auch von deutschen Kunden aufgesucht und von dort gegen Bezahlung strafbare Inhalte heruntergeladen werden.

Die diesbezügliche Annahme der Staatsanwaltschaft war eine reine Spekulation. Es wurde ins Blaue hinein unterstellt, dass es deutsche Kunden geben könnte. Die für Ermittlungen erforderlichen tatsächlichen Anhaltspunkte (Zahlung aus Deutschland auf das betreffende Konto) wurden gerade erst durch die beanstandete Maßnahme produziert!

Wollte man schon aus der bloßen Existenz einer Internetseite mit strafbaren Inhalten künftig einen hinreichenden Tatverdacht dahingehend herleiten, dass Deutsche dieses Angebot nutzen, wäre der andauernden Überprüfung des gesamten Zahlungsverkehrs aller Bundesbürger Tür und Tor geöffnet. Und das nur aus der vagen Möglichkeit heraus, dass der eine oder andere von etlichen Millionen möglicherweise von einem derartigen Angebot Gebrauch macht.

Tatsächlich lag also kein Anfangsverdacht vor. Vielmehr schöpfte die Staatsanwaltschaft einen unzulässigen Generalverdacht gegen sämtliche Inhaber einer deutschen Kreditkarte. Betroffen waren demnach 22 Millionen Menschen.

2. Bei der Maßnahme handelt es sich faktisch um eine Rasterfahndung nach § 98a StPO.

Der Datenabgleich erfolgte nach allen Berichten automatisch nach bestimmten Kriterien.

Die Staatsanwaltschaft hat den Datenabgleich zwar nicht selbst durchgeführt. Jedoch hat sie den angeschriebenen Unternehmen in der Anfrage mitgeteilt, diese machten sich gegebenenfalls strafbar, wenn sie nicht mitwirkten.

Hierdurch hat die Staatsanwaltschaft die Kreditkartenfirmen über ihre Mitwirkungspflicht fehlerhaft informiert. Tatsächlich besteht die Verpflichtung zur Datenherausgabe nach § 98a StPO nur bei richterlicher Anordnung (§ 98b Abs. 1 S. 1 StPO), die hier gar nicht eingeholt worden war; Gefahr im Verzug lag offensichtlich nicht vor.

Durch die rechtswidrige Inaussichtstellung eines Ermittlungsverfahrens setzte die Staatsanwaltschaft die angeschriebenen Unternehmen dergestalt unter Druck, dass diese die Rasterfahndung durchführten.

Dieser Sachverhalt kann aber nicht anders behandelt werden, als wenn die Staatsanwaltschaft die Daten angefordert und die Rasterfahndung selbst durchgeführt hätte. Denn die beteiligten Unternehmen sahen sich durch die Mitteilung, sie machten sich bei einer Weigerung ggf. strafbar, verständlicherweise in einem Handlungszwang.

Das Verhalten der Staatsanwaltschaft diente ersichtlich dazu, den Richtervorbehalt für eine Rasterfahndung zu umgehen. Hierbei dürfte eine Rolle gespielt haben, dass ein richterlicher Beschluss auf „Durchsuchung“ sämtlicher deutschen Kreditkartenkonten ins Blaue hinein kaum zu erwirken gewesen wäre.

Die Maßnahme ist also schon rechtswidrig, weil die erforderliche richterliche Genehmigung nicht eingeholt wurde.

Im Übrigen bestehen auch erhebliche Zweifel, ob es sich bei den im Raume stehenden Delikten nach § 184b StGB auf Konsumentenseite um eine Straftat von „erheblicher Bedeutung“ handelt, wie es das Gesetz für eine Rasterfahndung verlangt.

3. Die Maßnahme ist aber jedenfalls grob unverhältnismäßig.

Durch den Datenabgleich wurden nicht nur sämtliche 22 Millionen Kreditkarteninhaber einem unzulässigen Generalverdacht ausgesetzt und so zum Objekt von Vorermittlungen gemacht, aus denen sich dann – möglicherweise – erst die Anknüpfungstatsachen für einen Tatverdacht ergeben sollten.

Die Maßnahme griff auch unzulässig in das informationelle Selbstbestimmungsrecht jedes einzelnen Betroffenen ein.

Beim Recht auf informationelle Selbstbestimmung handelt es sich um ein Grundrecht (vgl. nur BVerfG 1 BvR 518/02 – Rasterfahndung -;
http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20060404_1bvr051802.html).

Dieses Recht gewährleistet die aus dem Grundsatz der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (vgl.BVerfGE 65, 1 <43>; 78, 77 <84>; 84, 192 <194>; 96, 171 <181>; 103, 21 <32 f.>; 113, 29 <46> ). Es sichert seinen Trägern insbesondere Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe der auf sie bezogenen, individualisierten oder individualisierbaren Daten (vgl.BVerfGE 65, 1 <43>; 67, 100 <143>; 84, 239 <279>; 103, 21 <33> ; BVerfG, NJW 2006, S. 976 <979>). Denn individuelle Selbstbestimmung setzt – auch unter den Bedingungen moderner Informationsverarbeitung – voraus, dass dem Einzelnen Entscheidungsfreiheit über vorzunehmende oder zu unterlassende Handlungen einschließlich der Möglichkeit gegeben ist, sich entsprechend dieser Entscheidung tatsächlich zu verhalten. Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffende Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden (vgl.BVerfGE 65, 1 <42 f.>).

Selbst wenn man mit geeigneten Geeignetheit und Erforderlichkeit bejahen wollte – was wohl kaum möglich sein wird, da es bereits an der Eingriffsvoraussetzung des konkreten Tatverdachts fehlte – war der gerügte Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht jedenfalls nicht mehr verhältnismäßig im engeren Sinn.

Das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn verlangt, dass die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe stehen darf (stRspr; vgl.BVerfGE 90, 145 <173>; 92, 277 <327>; 109, 279 <349 ff.> ). Die Prüfung an diesem Maßstab kann dazu führen, dass ein an sich geeignetes und erforderliches Mittel des Rechtsgüterschutzes nicht angewandt werden darf, weil die davon ausgehenden Grundrechtsbeeinträchtigungen den Zuwachs an Rechtsgüterschutz überwiegen, so dass der Einsatz des Schutzmittels als unangemessen erscheint (vgl.BVerfGE 90, 145 <173> ). In dem Spannungsverhältnis zwischen der Pflicht des Staates zum Rechtsgüterschutz und dem Interesse des Einzelnen an der Wahrung seiner von der Verfassung verbürgten Rechte ist es dabei zunächst Aufgabe des Gesetzgebers, in abstrakter Weise einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen zu erreichen (vgl.BVerfGE 109, 279 <350> ). Dies kann dazu führen, dass bestimmte intensive Grundrechtseingriffe erst von bestimmten Verdachts- oder Gefahrenstufen an vorgesehen werden dürfen. Entsprechende Eingriffsschwellen sind durch eine gesetzliche Regelung zu gewährleisten (vgl.BVerfGE 100, 313 <383 f.>; 109, 279 <350 ff.>; BayVerfGH, Entscheidung vom 7. Februar 2006 – Vf. 69-VI-04 -).

Vorliegend haben die Ermittlungsbehörden über die insoweit instrumentalisierten Kreditkartenfirmen ohne konkreten Tatverdacht die Daten von 22 Millionen Kreditkarteninhabern auf bestimmte Kontobewegungen abgleichen lassen. Der schwerwiegende Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erfolgte also, obwohl noch nicht einmal die geringste Verdachtsstufe erreicht war, nämlich der konkrete, auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützte Anfangsverdacht.

In der Tat handelt es sich hier um Ermittlungen zur Produktion eines konkreten Tatverdachts. Dies widerspricht eklatant den vorstehenden dargestellten Anforderungen.

IV.

Ich bin als Kreditkartenkunde von der Maßnahme unmittelbar betroffen und in meinen Rechten verletzt. An der Feststellung der Rechtswidrigkeit habe ich ein Interesse. Es gibt weltweit unzählige weitere Internetseiten, die eine derartige Fahndungsmaßnahme auslösen können. Angesichts des offenkundigen Stolzes der Ermittlungsbehörden über ihren „Erfolg“ dürfte es außer Frage stehen, dass der nächste Globalabgleich von Kreditkartendaten nur eine Frage der Zeit ist.

V.

Sollte die Staatsanwaltschaft eine Erklärung abgeben, bitte ich um Gelegenheit zur Stellungnahme, bevor über den Antrag entschieden wird.

Rechtsanwalt

Kein Copyright

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