Unsinnige Anregungen

Weil er am vorgesehenen Tag bereits einen anderen Gerichtstermin hatte, bat ein Verteidigerkollege um Verlegung des Termins. Auf einen späteren Zeitpunkt. Er wies darauf hin, als Einzelanwalt stehe ich ihm keine Vertretung zur Verfügung. Sollte das Gericht Bedenken haben, ob die Verhinderung tatsächlich vorliegt, regte er an, die Gerichtsakte des anderen Verfahrens mit dem Aktenzeichen (…) beizuziehen.

Der Richter verlegte den Termin, schrieb dem Anwalt aber noch Folgendes:

Soweit Sie zur Glaubhaftmachung Ihrer angeblichen Verhinderung am Terminstag das Gericht darauf hinweisen, die Akten des Amtsgerichts „beizuziehen“, wird gebeten, auf derart unsinnige Anregungen künftig möglichst zu verzichten. Es dürfte Ihnen doch ohne nennenswerten Aufwand möglich sein, dem Gericht eine Kopie Ihrer Ladung zukommen zu lassen – oder?

Ich kenne das persönliche Verhältnis zwischen den beiden nicht. Mir schwant aber nichts Gutes…

Vorschriften gelten auch für Richter

Der Vorsitzenden einer Strafkammer des Landgerichts Osnabrück hat im Rahmen einer „sitzungspolizeilichen Anordnung“ das Mobiltelefon das Angeklagten sichergestellt. Ein Zuschauer hatte nach Urteilsverkündung und Rechtsbehelfsbelehrung behauptet, der Angeklagte habe mit seinem Handy Aufnahmen im Sitzungssaal gemacht. Der Vorsitzende wollte die Vorwürfe überprüfen lassen. Der Angeklagte gab das Handy raus, verriet aber den Entsperrcode nicht. Ärger war also programmiert.

Der Gerichtsvorsitzende behielt das Handy und gab es an die Staatsanwaltschaft weiter. Diese sollte das Gerät auswerten lassen. Dagegen legte der Angeklagte Beschwerde ein. Das Oberlandesgericht Oldenburg hat die Anordnung des Vorsitzenden aufgehoben. Sitzungspolizeiliche Anordnungen dienen dienen dem ordnungsgemäßen und störungsfreien Ablauf der Sitzung. Mit der Anordnung habe der Vorsitzende aber klären wollen, ob eine Straftat vorliegt. Auch eine Sicherstellung nach der Strafprozessordnung komme nicht in Betracht. Diese falle nicht in die Kompetenz eines Vorsitzenden, denn für so was sind die Ermittlungsrichter zuständig.

Wieso Zuschauer bei Prozessen Hilfssheriff spielen, werden wir wohl nicht ergründen. Interessant ist aber das Vorgehen des Vorsitzenden. Denn jedenfalls hat er korrekte die Rollenverteilung zwischen der Staatsanwaltschaft als Strafverfolgungsbehörde und dem im Idealfall objektiven Gericht, das über einen konkreten Anklagevorwurf zu entscheiden hat, etwas aus den Augen verloren. Insoweit ein Beispiel für Schulterschlusseffekte zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht. Die soll es ja öfter geben.

Endlich kann man aus Verteidigersicht nur davor warnen, unüberlegt Aufnahmen im Gericht anzufertigen. Egal ob als Prozessteilnehmer. Oder als Zuschauer. Wie man sieht, ist das Handy schnell weg und ein Verfahren droht. Aus dem Schneider ist der Betroffene durch die Klarstellung des Oberlandesgerichts nämlich nicht. Der Senat weist nämlich ausdrücklich darauf hin, dass der Ermittlungsrichter noch tätig werden und das Mobiltelefon beschlagnahmen kann.

Gedanken zum Fall auch bei Rechtsanwalt Detlef Burhoff.

RA Dr. André Bohn

Normalnormalnormalfall

Staatsanwälte weisen gerne darauf hin, sie arbeiteten für die objektivste Behörde der Welt. Womit auch alles über Rechtsanwälte gesagt ist, denn diese sind dann ja schlicht unnötig.

Vorhin hatte ich jedoch ausnahmsweise mal wieder einen kleinen Moment, in dem ich für meine Berufsstand eine Existenzberechtigung erkannte. Und das ausgerechnet beim Lesen des sozusagen objektivsten Dokuments schlechthin: einer Anklageschrift.

Diese Anklageschrift lässt verlauten, ein Arzt habe bei der Geschädigten folgende Verletzungen festgestellt: diverse Prellungen im Bereich der Schulter und des Beckens, eine Halswirbelversteifung. Dumm nur, diese Diagnose stellt der Arzt, wie er ausdrücklich festhält, lediglich aufgrund „eigener Anamnese“ seiner Patientin.

Wie könnte es auch anders sein. Der angebliche Vorfall soll sich am 11.03.2020 ereignet haben. Laut Attest hat sich die Patientin aber erst am 15.07.2020 beim Arzt vorgestellt und ihm geschildert, sie wäre auf einem Parkplatz fast von einem Auto überrollt worden (absichtlich). Mit anderen Worten: Der Arzt unterstellt als richtig, was die Frau ihm sagt. Und sollte dies zutreffen, hält er Prellungen sowie eine Halswirbelversteifung für plausibel. Wer täte das nicht?

Schon durch die zeitliche Lücke wiederholen sich in dem Attest lediglich die eigenen Angaben der Anzeigeerstatterin. Also von wegen ärztliche Feststellungen. Hätte der Staatsanwalt auch selbst merken oder die Problematik zumindest kenntlich machen können, in diesem Normalnormalnormalfall. Hat er aber nicht, und deshalb klafft halt ab und an eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. In die passt dann auch mal ein Anwalt rein.

Gespräche mit Jorge

Kleider machen Leute. Manieren auch. Und je höher man die Nase trägt, desto mehr zahlt sich das häufig in finanzieller Hinsicht aus. Ich weiß nicht, ob das allgemeingültige Wahrheiten sind. Einer meiner Mandanten hat es mit dieser Einstellung jedenfalls sehr weit gebracht. Seine Attitüden waren sogar in der Haftanstalt legendär, in die es ihn letztlich für einige Jahre verschlagen hat.

Ich will nur ein Detail herausgreifen. Der Mandant hatte in der Strafhaft zwar eine Telefonerlaubnis, an sich konnten wir unbegrenzt telefonieren. Aber schon in besseren Tagen, als das Unheil nur ein klein bisschen am Horizont dräute, hielten sich unsere persönlichen Kontakte in Grenzen. Wozu hat man schließlich eine Assistentin? Mit der durfte ich so gut wie alles besprechen, von ihr bekam ich dann auch das notwendige Feedback. Meistens.

Die Assistentin gab es zur Knastzeit nicht mehr. Aber die treue Ehefrau. So telefonierte der Mandant fast immer nur mit ihr. Nicht mit mir. Sie richtete mir seine Wünsche/Fragen aus, ich arbeitete die Punkte brav ab. Vollzug meldete ich an die Gattin, die mir dann ein Thumbs up simste, wenn die Sache im Sinne des Mandanten gelaufen war. Persönlicher Kontakt? Ach, geh hin, höchstens im Notfall. Der zum Glück eher selten eintrat.

Nun ist der der Mandant geraume Zeit wieder draußen. Sogar von seiner geglückten Entlassung erfuhr ich von der Ehefrau. Immerhin ließ er mir herzliche Grüße ausrichten. Wieso ich an die Geschichte denke? Es ist die Telefonnotiz, die heute morgen aufgenommen wurde:

Herr Jorge P. bittet um Rückruf. Er ist der Assistent von Herrn S. Es gibt einige Dinge zu besprechen, die Sie bitte mit Herrn P. klären möchten.

Wir sind also wieder im Geschäft.*

*Für diesen Beitrag wurden keine Haustiere gequält und auch das Anwaltsgeheimnis nicht verletzt.

Bote im Nebenjob

Es ist natürlich eine super Idee von einem Strafrichter, den Hauptverhandlungstermin innerhalb des festgelegten Tages zu verlegen. Von 08.10 Uhr auf 13.30 Uhr. Das sind fast viereinhalb Stunden. Noch besser ist die Idee, dies exakt 48 Stunden vor dem Beginn des neuen Termins zu machen, und zwar ganz lakonisch per Fax. Also ohne Nachfrage, ob der Verteidiger da vielleicht schon etwas anderes zu tun hat…

Über alle Maßen erfreut hat mich an dem Prozedere allerdings folgender Wunsch des Gerichts:

Bitte benachrichtigen Sie Ihren Mandanten noch von dort (telef.).

Wohlwissend, dass eine ordnungsgemäße Zustellung der Umladung den Angeklagten natürlich nicht mehr erreicht, soll ich jetzt also in die Rolle des Briefboten schlüpfen und (mutmaßlich „irgendwie“) die Verantwortung für das Gelingen übernehmen.

Zum Glück habe ich das Mandat schon vor Kurzem niedergelegt, aus ganz anderen Gründen. Mein Schreiben scheint beim Gericht aber übersehen worden zu sein. Wie auch immer, damit kann ich die Rolle als Briefbote ohnehin nicht mehr ausfüllen und somit den dahin zurück spielen, wo er hingehört – zum Gericht.

Trial and Error

Wie zu erwarten, folgen der Räumung des Dannenröder Forstes zahlreiche Ermittlungsverfahren.

Eine Aktivistin sitzt etwa seit vier Monaten in Untersuchungshaft, weil sie Angaben zu ihrer Identität verweigert und daher von Fluchtgefahr ausgegangen wird. Gegen Sie besteht der Verdacht, bei der Räumung in Richtung eines Polizisten getreten zu haben.

Da mehrere Aktivist*innen keine Angaben zur Person machten und eine ordnungsgemäße erkennungsdienstliche Behandlung durch Bemalen des Gesichtes, Grimassenziehen und Einritzen oder Einschmieren der Fingerkuppen mit Sekundenkleber verhinderten, hat die Polizei sogenannte Super Recognizer eingesetzt. Dies sind Polizeibeamt*innen, die besondere Fähigkeiten hinsichtlich der Wiedererkennung von Gesichtern haben sollen. Daraufhin wurden mehrere Bußgeldbescheide wegen der Nichtangabe der Personalien verschickt. Dies stellt nämlich eine Ordnungswidrigkeit nach § 111 OwiG dar.

Zwei Professoren hatten sich schon kritisch zu den wundersamen Fähigkeiten der Super Recognizer geäußert. Ein Sprecher des Polizeipräsidiums Mittelhessen sagt: „Wir wissen schon, dass es Rechtsstreitigkeiten geben wird, eine Fehlerquelle kann man nie ganz ausschließen.“

Unabhängig davon, dass ich mich frage, auf Grundlage welcher Fakten jemand zu einem Super Recognizer wird und wie man entsprechende Eigenschaften nachweisen will, klingt das Handeln der Polizei er nach nach „Trial and Error“. Manche mutmaßlich Identifizierte haben womöglich keine Lust gegen verhängte Bußgeldbescheide wegen der nicht gemachten Angaben vorzugehen, weil das ein langes Verfahren nach sich ziehen kann. Und / oder sie haben kein Geld für einen Anwalt. Dann kann die Polizei zumindest ein Teil des Bußgeldes eintreiben. Die Identifizierung durch Super Recognizer scheint mir aber so fehleranfällig, dass es vom Zufall abzuhängen scheint, ob die richtige Person identifiziert wird oder nicht. Es spricht daher viel für die Rechtswidrigkeit eines solchen Vorgehens, weil die Rechtswidrigkeit der Bußgeldbescheide (= falscher Betroffener), billigend in Kauf genommen wird.

Im Falle der viermonatigen Untersuchungshaft wird sich demnächst ein Gericht insbesondere mit der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme auseinandersetzen müssen. Dann stehen die Chancen gut, dass die Aktivistin frei kommt, weil der Vorwurf der versuchten (gefährlichen) Körperverletzung nicht so schwer wiegt, dass er eine über sechs Monate andauernde Untersuchungshaft rechtfertigen würde.

Ein Artikel zu den Geschehnissen findet sich hier.

RA Dr. André Bohn

Neues Handy, alte Daten

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat die Herausgabe eines Handys angeordnet, das wegen des Verdachts der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes nach den §§ 201 Abs. 1 Nr. 1, 205 Abs.1 StGB beschlagnahmt worden war. Der Beschuldigte soll heimlich ein Gespräch zweier Polizeibeamten aufgezeichnet haben.

Aufgrund dessen wurde – mehrere Monate nach der vermeintlichen Tat – eine Hausdurchsuchung vollzogen, wobei unter anderem ein Handy beschlagnahmt wurde. Das Handy stand im Eigentum des Arbeitgebers des Beschuldigten und war ihm als Diensthandy überlassen worden.

Nun verlangte der Arbeitgeber die Herausgabe des Mobiltelefons mit der Begründung, dass das Handy erst ein halbes Jahr nach der mutmaßlichen Tat angeschafft wurde, sodass eine etwaige Aufzeichnung jedenfalls nicht mit diesem Handy erfolgt sein könne. Die Staatsanwaltschaft widersprach der Herausgabe trotzdem, da der Beschuldigte die vermeintliche Datei ja auf das neue Handy habe übertragen können.

Das Landgericht stellt klar, dass die Staatsanwaltschaft das Handy an den Arbeitgeber herauszugeben hat. Bei lebensnaher Betrachtung sei ausgeschlossen, dass der Beschuldigte die etwaige Datei auf sein neues Diensthandy überspielt habe. Dies gelte insbesondere deshalb, weil der Beschuldigte über zahlreiche eigene Speichermedien verfüge, auf denen der die vermeintliche Datei speichern konnte und die ebenfalls beschlagnahmt wurden.

Im Übrigen wies das Landgericht darauf hin, dass die Beschlagnahme bei dem unbeteiligten Arbeitgeber unverhältnismäßig ist. Die vorgeworfene Tat sei zwar nicht lediglich geringfügig und auch der Tatverdacht sei stark, aber nach der Argumentation der Staatsanwaltschaft könne man die Beschlagnahme auf alle Speichermedien von Personen, die mit dem Beschuldigten in Kontakt stehen, ausbreiten, da der Beschuldigte die Datei auch an diese Personen weitergegeben haben könnte.

Zunächst einmal zeigt der Fall deutlich, was von der grundrechtlich geschützten Unverletzlichkeit der Wohnung übrig geblieben ist. Nicht viel, wenn wegen des Verdachts der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes Monate nach der mutmaßlichen Tat eine Hausdurchsuchung angeordnet werden kann. Dies mag mit geltendem Recht vereinbar sein, löst bei mir aber dennoch im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ein Störgefühl aus.

Glücklicherweise hat das Landgericht korrekt interveniert, auch wenn ich der Argumentation zur Verhältnismäßigkeit nicht ganz folgen kann. Es macht schon einen Unterschied, ob der Beschuldigte das Speichermedium in Besitz hat und somit viel leichter Dateien darauf spielen kann oder ob das Speichermedium sich im Besitz von Dritten befindet. Im Ergebnis ist die Entscheidung des Landgerichts aber richtig und geeignet, der heute üblichen Komplettbeschlagnahme von Hardware einen kleinen Riegel vorzuschieben (Aktenzeichen 12 Qs 9/21).

Auch der Kollege RA Detlef Burhoff berichtet über den Fall.

RA Dr. André Bohn