(Keine) Masken im Regierungsflieger

Aktuell kocht in den sozialen Medien ein Thema hoch. Der aktuelle Regierungsflug nach Kanada. Vor allem teilnehmende Journalisten haben emsig Schnappschüsse aus dem Jet getwittert. Allerdings trägt auf den Bildern niemand eine Maske. Niemand.

Kritik hieran ist natürlich zwangsläufig, waren ja auch genug Leute in letzter Zeit in Urlaub und wurden im Flugzeug aufgefordert, der Maskenpflicht nachzukommen. Da ist es vielleicht nur semiratsam, wenn etwa die an der Reise teilnehmende Korrespondentin von t-online auf Twitter gewisse Bedenken nicht sachlich aufgreift, sondern mit einem schnodderigen „Funfact für Trolle“ reagiert. Das ist wirklich ihre Wortwahl, nicht meine. Die Journalistin verweist darauf, die Teilnehmer hätten alle PCR-Tests gemacht. Sie sogar einen für deutlich mehr als hundert Euro.

Ich will nicht über Sinn und Unsinn der Maskenpflicht diskutieren. Woran aber kein Weg vorbeiführt: § 28b IfSG (Infektionsschutzgesetz) schreibt in seiner derzeit gültigen Fassung eine Maskenpflicht für alle Flugzeuge fest, die von Deutschland aus starten. Was für Berlin in geografischer Hinsicht, halten wir das als einfachsten Punkt direkt ebenfalls fest, allenfalls im tiefsten Trollistan bestritten wird.

Die Maskenpflicht gilt für „alle Verkehrsmittel des Luftverkehrs“. Unter Luftverkehr fallen alle Dinge, die sich unter Leugnung der Schwerkraft von A nach B bewegen und die keine Vögel sind. So ein Regierungsflieger sieht auch stark nach einem „Verkehrsmittel“ aus, selbst wenn vielleicht Luftwaffe oder Bundesrepublik Deutschland draufsteht. Die kolportierten Bilder von dem genutzten Flugzeug lassen jedenfalls jedenfalls in der Journalisten-Holzklasse keinen sonderlichen Unterschied zu einem Lufthansa-Flieger erkennen. Das Infektionsschutzgesetz gilt ganz eindeutig auch für die Bundeswehr. Das steht ausdrücklich in § 54a IfSG, wonach die Bundeswehr selbst für den Vollzug des Gesetzes zuständig ist.

Schauen wir nach anderen validen Argumenten, welche bestätigen könnten, dass die Leute, die das Ganze einfach mal hinterfragen, dann doch nur Dösbaddel sind. Ein valides Argument gibt es für die Regierungsflieger. Es wird nämlich gesagt, es handele sich ja nicht um einen „öffentlichen“ Flug.

Dazu muss man das Gesetz sehr genau lesen. Darin heißt es:

Die Verkehrsmittel des Luftverkehrs und des öffentlichen Personenfernverkehrs dürfen von Fahr- oder Fluggästen sowie dem Kontroll- und Servicepersonal und Fahr- und Steuerpersonal nur benutzt werden, wenn diese Personen während der Beförderung eine Atemschutzmaske (FFP2 oder vergleichbar) oder eine medizinische Gesichtsmaske (Mund-Nasen-Schutz) tragen.

Das Gesetz unterscheidet als zwischen „öffentlichem Personenfernverkehr“ und „Verkehrsmitteln des Luftverkehrs“. Bei letzteren steht das Wort öffentlich gerade nicht. Schon daraus lässt sich sehr deutlich entnehmen, dass der Gesetzgeber sogar bewusst unterscheiden wollte, und zwar so: Maskenpflicht im Personenfernverkehr nur, wenn er öffentlich ist. Maskenpflicht im Flugverkehr, wenn Flugverkehr. Also wird es jedenfalls nichts mit dem Rettungsanker nichtöffentlich.

Auch ein PCR-Test ändert an der Maskenpflicht übrigens nichts, wie man zum Beispiel beim ADAC nachlesen kann und was auch die Lufthansa, die ja den Maskenfrust als Carrier täglich abbekommt, in ihren Verlautbarungen immer wieder betont. Es gibt keine Regelung für den Luftverkehr, welche die Maskenpflicht aufhebt, es sei denn man ist (körperlich) jünger als sechs Jahre oder gesundheitlich beeinträchtigt. Ein Ablasshandel PCR-Test statt Maske findet juristisch nicht statt.

So weit meine rechtliche Bewertung zum maskenlosen Flug des Regierungsfliegers. Aber es gilt ja der Grundsatz zwei Juristen, drei Meinungen. Vermutlich wird sich ohnehin das Berliner Gesundheitsamt und später das Amtsgericht mit vielen, vielen Einzelfällen beschäftigen dürfen. Der Verstoss gegen die Maskenpflicht von in Deutschland gestarteten Flügen ist ein Bußgeldtatbestand und kann entsprechend geahndet werden.

Nicht jeder Antrag ist ein Strafantrag

Ich gucke bei diesem Punkt seit jeher besonders genau hin. Deshalb freut es mich, der der Bundesgerichtshof zu einer wichtigen Frage Klartext redet. Es geht um die Frage, in welcher Form ein Strafantrag gestellt sein muss.

Die Antwort vorab: Eine einfache E-Mail oder ein Klick in einem Formular auf einem Formular der Online-Wache der Polizei reichen nicht. Ein Strafantrag muss grundsätzlich schriftlich erfolgen. Das heißt auf Papier, mit echter Unterschrift. Fax zählt ebenso wenig. Was noch geht, ist eine E-Mail mit qualifizierter elektronischer Signatur oder die Nutzung eines sicheren Übertragungsweges (z.B. De-Mail).

Genau das passiert sehr häufig natürlich nicht, und zwar in einer riesigen Zahl von Fällen. Gerade Beleidigungen, die nur auf Antrag verfolgt werden können, werden Tag für Tag tausendfach online angezeigt. Was fehlt: der wirksame Strafantrag. Selbst wenn es dann noch zu einer Vernehmung des Anzeigenerstatters kommt, wird oft nicht an den Strafantrag gedacht. Oder eben angenommen, der sei ja schon online gestellt. Die Dreimonatsfrist für den Antrag verstreicht.

Dann kann man halt nichts machen, sagt nun der Bundesgerichtshof in aller Deutlichkeit. Es bleibt nur die Einstellung des Verfahrens. In dem Fall ging es sogar um einen Strafantrag, der aus der Justiz kam. Eine Führungsaufsichtsstelle hatte den Antrag zwar bei der Staatsanwaltschaft gestellt. Aber nur per einfacher Mail.

Wenn ihr mal eine Strafanzeige erstattet, achtet darauf, den Strafantrag schriftlich zu stellen. Dafür sind wie gesagt drei Monate Zeit. Und wenn mal gegen euch ermittelt wird, lasst euren Anwalt genau nachprüfen, ob ein wirksamer Strafantrag vorliegt. Auf die Unfehlbarkeit von Richtern sollte man sich nicht verlasse, auch die sehen das Problem oft nicht (Aktenzeichen 5 StR 398/21).

Schnelles Ergebnis

Mail:

Vielen Dank für das Ergebnis. Ich frage mich nur, wie die Staatsanwaltschaft schon nach 48 Stunden zu so einem Ergebnis kommen kann.

Ich frage mich, wieso man sich in der konkreten Situation einen eifrigeren Staatsanwalt wünschen sollte. Die Einstellung erfolgte mangels Tatverdachts.

Schwieriges Thema, langes Gespräch – mein Interview mit der NZZ

Mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz sollen wir alle frei und beliebig oft entscheiden dürfen, ob wir rechtlich Mann oder Frau sind. So sehen es die Vorschläge der Bundesregierung für ein Selbsbestimmungsgesetz vor.

Das Gesetz soll die Position von trans- und intergeschlechtlichen Menschen verbessern. Ein berechtigtes Anliegen, denn die bisherigen strengen Regeln im Transsexuellengesetz sind tatsächlich nicht mehr zeitgemäß und auch diskriminierend.

Dennoch wirft der Gesetzentwurf Fragen auf, insbesondere zu dem Missbrauchspotenzial durch an sich gar nicht Betroffene. Hierzu hat mich die Neue Zürcher Zeitung befragt (Link zum Interview).

Amphetamin im Bier

Ein Autofahrer wurde mit drogentypischen Ausfallerscheinungen von der Polizei gestoppt. Er konnte sich das nicht erklären. Und sein Beifahrer gab per eidesstattlicher Versicherung zu, dass er ihm heimlich eine stattliche Menge Amphetamine ins Bier geschüttet hatte. Ob der Autofahrer seinen Führerschein behalten darf, darum ging es vor dem Verwaltungsgericht Koblenz.

Wenig überraschend war das Gericht skeptisch und verwies auf einige Grundsätze, die schon in früheren Urteilen zu der Thematik festgelegt wurden. Dass man Drogen untergejubelt bekommt, sei nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht wahrscheinlich. Wer das behaupte, müsse zumindest eine überzeugende Geschichte erzählen. Unter anderem müsse er Personen aus dem eigenen Umfeld benennen, die einen Beweggrund für so eine Aktion haben könnten.

Die lapidare Geschichte vom kleinen Spaß unter Freunden glaubte das Gericht in diesem Fall nicht. Es sei schon nicht nachvollziehbar, wieso der Beifahrer sein eigenes Leben gefährden sollte. Den Sack zu macht das Gericht mit dem Hinweis, dass der Autofahrer schon früher mal wegen Amphetamin seinen Führerschein abgeben musste. Zumindest mit dieser Erfahrung habe der Mann seine Ausfallerscheinungen doch einordnen und stehenbleiben können (Aktenzeichen 4 L 680/22 KO).

Anwalt faxt sich 1.000 Euro ärmer

Seit Jahresanfang müssen Rechtsanwälte mit Gerichten elektronisch kommunizieren. Schriftsätze dürfen also nicht mehr per Fax oder gar als einfacher Brief übermittelt werden. Kleinere Ausnahmen gibt es nur noch im Strafrecht. Und beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, das ausschließlich per Brief oder Fax erreichbar ist.

Wie streng die Regeln genommen werden, erlebte nun ein Anwalt. Er hatte für seinen Mandanten sofortige Beschwerde gegen ein Zwangsgeld eingelegt, per Post und vorab per Fax. Das Zwangsgeld von 1.000 Euro muss der Anwalt wohl nun aus eigener Tasche zahlen. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main stellt klar, an der Formvorschrift des § 130d ZPO führt kein Weg vorbei – die Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) ist faktisch Pflicht.

Der Anwalt hatte noch einen interessanten Einwand gemacht. In dem betreffenden Verfahren herrsche gar kein Anwaltszwang. Wenn der Betroffene also selbst den Rechtsbehelf eingereicht hätte, wäre dieser nicht verfristet gewesen. Aber auch dieses Argument zählt laut dem OLG Frankfurt nicht (Aktenzeichen 26 W 4/22).

Die Regels sind die Regels

Wegen der Coronahilfen für NRW hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf ein wichtiges Urteil gefällt. In allen Verfahren erklärt das Gericht Rückforderungsbescheide für rechtswidrig. Die Begründung ist für jeden nachvollziehbar, der den Ablauf bei den Coronahilfen verfolgt hat.

In den nun entschiedenen Verfahren hatten die Kläger Coronahilfen (9.000 Euro) bekommen, sollten sie dann aber nach der vorgeschriebenen Rückmeldung zurückzahlen. Die Behörden forderten jeweils rund 7.000 Euro zurück – und zwar aufgrund der zuletzt „gültigen“ Abrechnungsregeln.

Allerdings konnte ein Blinder mit Krückstock erkennen, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung ganz andere Spielregeln gelten sollten als zum Zeitpunkt der Rückforderung. So hieß es anfangs, die Coronahilfen würden zur Abwendung von Umsatzausfällen gewährt. Später hieß es dann aber, es komme auf einen belegbaren Liquditätsengpass an. Es musste also belegt werden, dass nicht genug Geld da war. Das ist etwas völlig anderes als ein Umsatzausfall, nämlich eine Art belegbarere Verlust. Von dem war anfangs nicht die Rede.

Die Bedingungen waren laut Gericht auch aus weiteren Gründen missverständlich – was natürlich ebenfalls nicht zu Lasten der Antragsteller gehen kann. Insgesamt hält das Verwaltungsgericht das Land an den Regeln fest, die bei der Antragstellung bzw. spätestens bei Bewilligung galten. Woran hätten sich die Betroffenen auch sonst orientieren sollen?

Am Verwaltungsgericht Düsseldorf sind noch etwa 500 weitere Klagen anhängig. Das Gericht hat in den nun entschiedenen Fällen die Berufung zugelassen, so dass das Land sein Glück möglicherweise am Oberverwaltungsgericht versuchen kann. Ob das wirklich schlau wäre, ist eine andere Frage (Aktenzeichen 20 K 7488/20).

Examen ohne Papier und Kuli

Können juristische Staatsexamen künftig auf dem Notebook geschrieben werden? Möglicherweise sogar von zu Hause aus? Der Abschied von Kuli und vom Prüfungsamt gestelltem Umweltpapier rückt jedenfalls näher. In Hessen absolvierten Kandidaten die ersten elektronischen Examen als Testlauf.

Rund 100 Kandidaten für das Zweite Juristische Staatsexamen schrieben ihre Klausuren auf extra bereitgestellten, von einem IT-Dienstleister ausgestatteten Notebooks. Weitere Prüflinge legten die Probeprüfung sogar zu Hause ab. Am Dienstnotebook, auf dem ein „Prüfungsportal“ installiert war.

Technisch sei alles reibungslos gelaufen, teilt das hessische Justizministerium mit. Die Klausuren werden nun auch noch komplett korrigiert, die Prüflinge zu ihren Erfahrungen eingehend befragt. Die Umstellung auf elektronische Klausuren wertet das Ministerium auch als einen Schritt zu größerer Praxisnähe, Stichwort E-Akte.

Ob demnächst echte Juraexamen am Notebook geschrieben werden können, soll möglichst bald entschieden werden.

Geflügel-Salami mit Schweinespeck?

Eine Geflügel-Salami ist keine Geflügel-Salami, wenn sie Schweinespeck enthält. Das Oberverwaltungsgericht Münster bestätigt das in einer höchstrichterlichen Entscheidung.

Ein Wursthersteller brachte eine fertigverpackte Wurst als „Geflügel-Salami“ auf den Markt. Nur in der klein geschriebenen Zutatenliste und den Gewichtsangaben war vermerkt: „mit Schweinespeck“. Laut dem Gericht erweckt die Bezeichnung Geflügel-Salami den Eindruck, sie enthalte ausschließlich Geflügel. Dazu gehöre auch Schweinespeck.

Der Hersteller hatte noch argumentiert, Schweinespeck sei kein Fleisch, sondern bezeichne eine „verkehrsübliche, technologisch erforderliche Fetquelle“. Eine solche Fettquelle werde als Zutat bei der Herstellung einer Salami geradezu erwartet. Also keine (Geflügel-)Salami ohne Schweinespeck. Kompliment an die beteiligten Anwälte, darauf muss man erst mal kommen.

Allerding schätzen die Richter die Erwartungshaltung der Verbraucher deutlich anders sein. Die von der Lebensmittelaufsicht ausgesprochen Monierung war demnach zu Recht erfolgt (Aktenzeichen 9 A 517/20).

Nun erfunden: „übermäßig-rasendes Fahren“

Die recht zügige Autofahrt des „Bugatti-Rasers“ bleibt strafrechtlich ohne Konsequenzen. Der Tscheche war mit einem Bugatti Chiron über die A 2 gebrettert. 417 km/h in der Spitze dokumentierte die Videoaufnahme aus dem Cockpit, welche ihren Weg ins Internet fand.

Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg (Saale) hat hat den Fall noch mal geprüft. Sie kommt wie auch schon die Staatsanwaltschaft zutreffend zu dem Ergebnis, dass es bei uns kein allgemeines Tempolimit gibt. Schnellfahren ist demnach erlaubt, so lange Dritte nicht nachweislich gefährdet werden. Das war nicht der Fall. So weit, so wenig überraschend. Siehe Gesetz, sozusagen.

Interessant an der Pressemitteilung finde ich freilich den letzten Absatz:

Wenn der Bundesgesetzgeber derartige Handlungsweisen zukünftig unterbinden möchte, dann wäre an eine Änderung der Vorschrift des § 3 Abs. 3 Nr. 2c StVO zu denken. Nach jener Vorschrift gilt auf Autobahnen keine Geschwindigkeitsbeschränkung für Personenkraftwagen sowie für andere Kraftfahrzeuge bis 3,5 Tonnen zulässiger
Gesamtmasse. Die Einführung einer Geschwindigkeitsobergrenze in der Straßenverkehrsordnung, nach der ein sehr schnelles Fahren noch erlaubt wäre, ein übermäßig-rasendes Fahren indes verboten wäre (z. B. 200 km/h), könnte womöglich Abhilfe
schaffen.

Die durchaus kreative Erfindung des „übermäßig-rasenden Fahrens“ lässt mich doch aufhorchen. Zumal in der reichlich bemühten Abgrenzung zum „sehr schnellen Fahren“, welche man also noch erlauben möchte. Hierfür schon mal danke, liebe Staatsanwaltschaft. Wir könnten wahrscheinlich stundenlang überlegen, wie man dieses sprachliche Knäuel entwirren will, ohne dass seine innere Widersprüchlichkeit zu offensichtlich wird. Ich belasse es mit Blick auf die späte Stunde bei meiner Meinung zu solchen Belehrungen: So was sollten sich Beamte besser sparen. Die Aufgabe einer Generalstaatsanwaltschaft ist die Strafverfolgung, sicher auch noch der eine oder andere Verwaltungskram. Aber ganz sicher keine unverblümte Politikberatung…

Gericht fördert die Smartphoneallergie der Polizei

Ob man Polizeieinsätze filmen und vor allem die Gespräche zwischen Polizisten und Betroffenen aufzeichnen darf, darüber gibt es schon etliche Gerichtsentscheidungen. Diese fallen unterschiedlich aus, jetzt kommt eine weitere hinzu, die voraussichtlich besonderes Gewicht haben wird. Denn mit dem Oberlandesgericht Zweibrücken äußert sich zu dem Thema eine höhere Instanz. Nach Auffassung dieser Richter darf man nicht aufzeichnen, was Polizisten sagen.

In der Legal Tribune Online findet sich eine ausführliche Besprechung der Entscheidung. Für mich ist diese Tendenz in der Rechtsprechung nur schwer nachvollziehbar. Es handelt sich bei Polizeieinsätzen um Maßnahmen des Staates, die zumindest im öffentlichen Raum von der Öffentlichkeit auch beobachtet und dokumentiert werden dürfen.

Letztlich untergraben staatliche Organe mit erzwungener Heimlichtuerei den Vertrauensvorschuss des Bürgers, welchen sie so gerne einfordern.

„Harte Drogen“

Richter müssen ihre Urteile nicht nur fällen, sondern auch eine Begründung liefern. Eine möglichst nachvollziehbare, wenn es mit der nächsten Instanz keinen Ärger geben soll. Gerade die Bemessung der Strafhöhe, auch Strafzumessung genannt, ist eine schier unerschöpfliche Quelle, aus der Revisionsanwälte schöpfen können.

Hierzu ein kleines, sehr praxisrelevantes Beispiel aus dem Drogenstrafrecht. Da hat das Landgericht München Ende 2021 einen Mann verurteilt, weil er Drogen verkauft hat. Dass es sich um Amphetamin handelte, wertete die Strafkammer ausdrücklich als strafschärfend. Amphetamine seien nämlich eine „harte Droge“.

Das ist leider falsch, zumindest wenn es nach den sicher ja nicht ganz unwichtigen Vorgaben des Bundesgerichtshofs geht. Dieser stellt für die gängigsten Betäubungsmittel nämlich eine ziemlich unmissverständliche Rangfolge auf:

Harte Drogen: Heroin, Kokain, Crack, Fentanyl

Mittlere Drogen: Amphetamine, Metamphetamine (vom 5. Strafsenat des BGH aber auch mal als harte Droge eingestuft)

Weiche Drogen Haschisch und Marihuana

Bei der juristischen Bewertung dürfen harte Drogen strafschärfen berücksichtigt werden. Weiche Drogen sind als strafmildernd zu werten. Drogen mittlerer Gefährlichkeit sind neutral.

Man kann jede Urteilsbegründung also relativ einfach darauf abklopfen, ob das Gericht sich an diese Einordnung hält. Im Detail gibt es natürlich viele Einzelfragen, etwa das Wechselspiel von Gefährlichkeit und Menge. Aber die simple Einordnung (fast) nach Schema F schafft man sogar ohne Anwalt.

Ihr würdet euch wundern, wie oft in Urteilen dann doch etwas anderes steht. Im eingangs geschilderten Fall hatte die Rüge der Verteidigung jedenfalls Erfolg. Über das Strafmaß muss neu verhandelt werden (Aktenzeichen 1 StR 83/22).

Nachbarstreit 2.0

Grund für Streit gibt es immer, vor allem unter Nachbarn. Mit einem fast schon postmodernen Zankapfel musste sich jetzt das Oberlandesgericht Braunschweig beschäftigen. Es ging um die Solarpaneele eines Einfamilienhauses. Von diesen fühlte sich der Nachbar übermäßig stark geblendet.

Wie nicht anders zu erwarten, sind die Richter wenig geneigt, Solaranlagen zu gefährlichen Werkzeugen zu erklären. Vielmehr legen sie dar, dass Nachbarn wechselseitig Immissionen dulden müssen, so lange dies „zumutbar“ ist. Das gelte auch für blitzende Solaranlagen.

Maßstab der Zumutbarkeit ist laut dem Gericht das Empfinden eines „verständigen Durchschnitsbenutzers“. Laut einem Sachverständigen seien im Wohnzimmer des Klägers nur an 60 Tagen im Jahr Reflexionen durch die Paneele wahrnehmbar, und das auch maximal 20 Stunden insgesamt. Schon dies reicht nach der Bewertung des Gerichts nicht aus. Überdies sei bei einem Orstermin festgestellt worden, dass die Solarzellen nur zu Aufhellungen führen, nicht aber zu einer Blendung des Auges. Das alles, so das Gericht, sei hinnehmbar. Die Klage wurde abgewiesen (8 U 166/21).

Neue Akzente bei aktiver Sterbehilfe

An dem Sterbewunsch eines schwerkranken Mannes bestand kein Zweifel. Außer Frage steht auch, dass ihm seine Frau beim Sterben half, indem die gelernte Krankenschwester ihm große Mengen Insulin verabreichte, an denen er verstarb. Ob sich die Ehefrau damit strafbar gemacht hat, musste der Bundesgerichtshof nun entscheiden. Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass die Ehefrau nicht zu bestrafen ist – im Gegensatz zur Vorinstanz.

An sich klingt der Sachverhalt nach einer Tötung auf Verlangen, die nach § 216 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft werden kann. In der Tat hatte das Landgericht Stendal eine Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verhängt. Natürlich spielen noch andere Punkte eine wichtige Rolle. So hatte der Mann zunächst selbst alle Schmerzmittel eingenommen, die sich im Haus fanden. Auch diese Mittel wären tödlich gewesen, jedoch wirkte das von der Frau gespritzte Insulin schneller.

Der Bundesgerichtshof sieht es deshalb als „letztlich dem Zufall geschuldet, dass das Insulin seinen Tod verursachte, während die Medikamente ihre tödliche Wirkung erst zu einem späteren Zeitpunkt entfaltet hätten“. Darin erkennt der Bundesgerichtshof nun einen „einen einheitlichen lebensbeendenden Akt“, über dessen Ausführung allein der Mann bestimmt habe. Die Frau habe ihm das Insulin lediglich gespritzt, weil er aufgrund seiner Erkrankung dazu nicht selbst in der Lage war.

Wenn klar unterschiedliche Handlungen ein einheitlicher Akt sein können, es auf die eigentliche Todesursache nicht unbedingt ankommt und letztlich der Wille des Kranken ausschlaggebend ist, eröffnet sich ein deutlich erweiterter Spielraum für die Unterstützung bei Bilanzsuiziden als bisher. Dementsprechend gibt es auch bereits Kritik an dem Beschluss. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz sieht gar einen „Dammbruch bei der aktiven Sterbehilfe“ (Aktenzeichen 6 StR 68/21).