Eventim haftet nicht für Corona-Ausfall

Wegen Corona wurden viele Konzerte und sonstige Veranstaltungen abgesagt. Die Frage ist, von wem der Kunde sein Geld zurückverlangen kann. Und wann. Einen Punkt hat der Bundesgerichtshof nun abschließend geklärt: Ticketverkäufer und Vorverkaufsstellen wie zum Beispiel Marktführer Eventim müssen den Kaufpreis nicht erstatten.

Eine Frau hatte Eventim verklagt, weil ein Konzert coronabedingt ausgefallen war. Der Veranstalter, nicht Eventim, hatte ihr einen Gutschein angeboten. Was die Frau ablehnte. Sie wollte ihr Geld unbedingt von Eventim zurück. Die Vorinstanzen urteilten unterschiedlich, am Bundesgerichtshof setzte sich der Ticketverkäufer durch.

Laut dem BGH verschafft Eventim mit der Eintrittskarte das Recht, eine Veranstaltung zu besuchen. Eventim erfülle mit der Übergabe einer werthaltigen Karte seine Verkäuferpflicht. Spätere Ereignisse änderten nichts daran, dass Eventim den juristischen Anspruch bereits erfüllt habe, und zwar „mängelfrei“.

Kartenkäufer müssen sich also an den Veranstalter wenden (Aktenzeichen VIII ZR 329/21).

Urinkontrollen in der Haft: Klartext aus Karlsruhe

Falls ihr heute im Laufe des Tages auch einen lauten Klatsch gehört habt: Das war die Ohrfeige, welche das Bundesverfassungsgericht heute ans Landgericht Bochum verteilt hat. Einer Strafvollstreckungskammer attestieren die Richter, dass man dort die aktuelle Rechtslage nicht kennt, falsche Paragrafen anwendet und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht einmal ansatzweise verstanden hat.

Es geht um einen Strafgefangenen. Dieser musste zum Jahresende 2020 binnen vier Wochen vier Mal zur Drogenkontrolle antreten – obwohl gegen ihn kein konkreter Verdacht vorlag. Um „Missbrauch“ auszuschließen, guckten Bedienstete dem Betroffenen beim Pinkeln auf den Schniedel. Dagegen wehrte sich der Gefangene mit mehreren Anträgen, doch diese blieben erfolglos.

Bis die Sache nach Karlsruhe kam, und von dort hagelt es die harsche Kritik nun schriftlich. So habe das Landgericht Bochum schon mal nicht den richtigen Paragrafen gefunden, obwohl das Strafvollzugsgesetz des Landes noch einigermaßen überschaubar ist. Einzelheiten lassen sich in dem heute veröffentlichten Beschluss nachlesen. Schon diese Trottelei bei der Suche nach dem einschlägigen Paragrafen führe dazu, dass die Entscheidung inhaltlich nicht überprüfbar sei.

Außerdem hatte der Betroffene darauf hingewiesen, dass es zu einer Urinkontrolle mit „Aufsicht“ durchaus Alternativen gibt. Konkret erklärte er sich damit einverstanden, dass ihm eine geringe Menge Kapillarblut aus der Fingerbeere entnommen wird (kleiner Pieks, keine Schamverletzung). Fast schon süffisant merken die Richter an, das Strafvollzugesetz NRW sehe diese deutlich mildere Kontrollmöglichkeit mittlerweile vor – und zwar seit seiner Neufassung vom September 2017.

Bedeutsam an dem Beschluss ist die Bekräftigung, dass auch das Schamgefühl von Strafgefangenen nicht zur beliebigen Disposition steht. Es bedarf wirklich gewichtiger Gründe für einen so tiefen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht. Auch Gefangene hätten Anspruch auf „besondere Rücksichtnahme“.

Ganz klar bezeichnen es die Richter überdies als „fraglich“, ob Urinkontrollen in einer Haftanstalt ohne „konkreten Verdacht des Drogenmissbrauchs des betroffenen Gefangenen“ überhaupt angeordnet werden dürfen. Darüber musste das Gericht nicht entscheiden, weil es das Landgericht Bochum ja schon anderweitig gründlich verkorkst hat. Allerdings liest sich die Formulierung fast wie eine Einladung, auch die in vielen JVA sehr beliebten anlasslosen Kontrollen überprüfen zu lassen.

Augenzeuge Tesla

Die Münchner Polizei will einen Trickdiebstahl an einer Seniorin aufklären. Dabei greift sie bei der Fahndung auf Aufnahmen zurück, die von den Bordkameras eines geparkten Tesla gemacht wurden. Das berichtet der Bayerische Rundfunk.

Der Tesla hat mit der Straftat nichts zu tun. Das Fahrzeug war nur in der Nähe des Tatorts geparkt. Weil die Verdächtigen in „passender“ Entfernung an dem Tesla vorbeigingen, löste die Kameraüberwachung aus. Tesla verbaut in dem betreffenden Modell insgesamt acht Kameras, unter anderem auch zum Diebstahls- und Beschädigungsschutz. Die Bilder verwendet die Polizei nach eigenen Angaben „intern“, um die Verdächtigen zu ermitteln.

Aus juristischer Sicht ist das Vorgehen der Polizei nicht zu beanstanden. Das weiß man aus zahlreichen Urteilen zu privaten Überwachungskameras, die sehr häufig datenschutzwidrige Aufnahmen produzieren. Zum Beispiel, wenn eine Grundstückskamera Straße und Fußweg mit überwacht, also den öffentlichen Raum. Konkret hatte ich es neulich mit dem Vorwurf fahrlässiger Tötung im Straßenverkehr zu tun. Die einzigen Bilder des Verkehrsunfalls lieferte die unsauber eingestellte Parkplatzkamera eines Getränkemarkts. Der Marktbetreiber hat zwar wegen unzulässiger Überwachung des öffentlichen Raums ein Bußgeld von der Datenschutzbehörde auferlegt bekommen, an der Verwertbarkeit der Aufnahmen im Strafprozess änderte das aber nichts.

Grundsätzlich kann man sagen, die Polizei darf auch rechtswidrig gewonnene Beweismittel verwerten – so lange sie nicht selbst unlauter an ihrem Entstehen mitgewirkt hat. Verstöße gegen den Datenschutz müssen außerhalb des Strafverfahrens geklärt werden. Der Bericht verweist ja auf eine passende Klage gegen Tesla, welche der Verbraucherzentrale Bundesverband erhoben hat.

Autoschild soll Staatskasse sanieren

Falls die Polizei oder eine andere Behörde mal was von euch einkassieren, haltet die Augen offen. Es kann nämlich gaaaaanz schön teuer werden, wie ein Fall aus Rheinland-Pfalz zeigt.

Stein des Anstoßes war ein Kfz-Kennzeichen. Polizisten erspähten das Schild bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle. Die EU-Kennung war mit schwarzer Folie abgeklebt. Die Stempelplakette fehlte. Sicherstellung. Das Kennzeichen lag dann 333 Tage sicher auf dem Amt. Der Inhaber soll nach rund zwei Monaten angeschrieben worden sein, ob er mit der Vernichtung des Schildes einverstanden ist. Sonst, so die Behörde, werde eine Verwahrungsgebühr fällig.

Der Autofahrer ging ohnehin davon aus, dass sein Schild futsch ist. Die Rückfrage der Behörde will er nicht erhalten haben. So gingen weitere rund elf Monate ins Land. Das Amt schrieb dem Mann, das Kennzeichen werde entsorgt, wenn er sich nicht melde. Der Mann schrieb zurück, er habe keine Probleme mit einer Verwertung durch Entsorgung.

Größere Probleme hatte der Betroffene aber mit der Rechnung, welche ihm die Behörde stellte. Diese meinte, sie könne für jeden Tag, an dem das Schild in der Schublade schlummerte, sieben Euro berechnen. Wir reden über 333 Tage. Das macht dann insgesamt 2.331 Euro. Zahlbar sofort, sonst kommt der Gerichtsvollzieher.

Das Verwaltungsgericht Trier bremst das teure Amt jedoch merklich aus. Grundsätzlich sehe die betreffende Gebührenordnung zwar eine Gebühr für die Verwahrung vor, die Vorschrift spricht von 7 bis 21,50 €. Allerdings orientieren sich die Preise aber an Gegenständen, die normalerweise sichergestellt werden. Also meist Autos, Motorräder oder sonstiges sperriges Zeug. Für Dinge, die deutlich weniger als 50 Euro wert sind und an denen der Bürger kein erkennbares ideelles Interesse haben dürfte, muss die Maßnahme laut Gericht verhältnismäßig sein. In solchen Fällen gebiete es die Wirtschaftlichkeit, den streitigen Gegenstand nach einer kurzen Frist zu vernichten – statt ebenso ufer- wie sinnlos Verwaltungsgebühren zu produzieren.

Im konkreten Fall sagt das Gericht: Nach sieben Tagen wäre Schluss gewesen, so dass der Autofahrer nur mit knapp 50 Euro zur Kasse gebeten werden darf (Aktenzeichen 8 K 728/22).

Erst festgeklebt, nun angeklagt

Die Berliner Staatsanwaltschaft reagiert auf die zahlreichen Straßenblockaden von Klimaaktivisten. Nach Angaben der Behörde hat sie bis Anfang August 76 Strafverfahren abgeschlossen und Strafbefehle beantragt.

Den Aktivisten, die meist zur Gruppe „Letzte Generation“ gehören, wird in den Strafbefehlen Nötigung vorgeworfen, und zwar meist in Verbindung mit Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Die Demonstranten hatten sich auf Durchgangsstraßen gesetzt, viele klebten ihre Hände außerdem auf der Fahrbahn fest.

Die Staatsanwaltschaft beantragt Geldstrafen. Ob die Strafbefehle erlassen werden, prüfen nun die zuständigen Amtsgerichte. Sollten die Strafbefehle erlassen werden, können die Betroffenen Einspruch einlegen. Dann kommt es zu einem Gerichtsverfahren, ggf. auch mit einer Hauptverhandlung.

Auch wenn die Sitzblockade mit den aktuellen Aktionen eine Art Revival erlebt, wird sich an der grundsätzlichen Strafbarkeit der Aktionen kaum etwas ändern. Zwar denken sogar Rechtsprofessoren vereinzelt über einen „rechtfertigenden Notstand aufgrund der Gesundheitsgefahren durch die Klimaveränderung“ nach. Aber man muss gedanklich natürlich schon sehr weit springen, um die Probleme des Klimawandels tatsächlich als eine so gegenwärtige Gefahr im Sinne des § 34 StGB anzusehen, dass diese tatsächlich an einem Montagmorgen auf der Berliner Avus effektiv bekämpft werden könnte.

Zur Frage, wann eine Handlung im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB „verwerflich“ ist, würden die zu dem Thema ausdruckbaren Urteile locker einige Kartons füllen. Die Gerichte tun sich im Ergebnis jedenfalls seit jeher schwer, Fernziele wie etwa den Weltfrieden dafür heranzuziehen, ob Demonstrant A verhindert, dass Lieferant B an sein Ziel fahren kann. Entspannter wird es gesehen, wenn die Blockade kurz und damit eher symbolisch ist. Von zwei Ampelphasen habe ich mal gelesen. Aber eine Art smarter Protest passt weniger zur selbstgewählten Radikalität der Demonstranten.

Juristisch interessant ist, dass den Aktivisten Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zur Last gelegt wird. Sofern sich die Protestierenden vor Eintreffen der Polizei auf den Straßen festgeklebt haben, ergibt sich hieraus gerade keine Strafbarkeit. Da bedarf es dann schon zusätzlicher Aktionen, zum Beispiel aktiver Gegenwehr beim Versuch, den Kleber zu lösen.

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft laufen momentan noch 120 weitere Verfahren. Der Diskussionsstoff wird nicht ausgehen.

BAB 11: Brandenburg überwachte illegal alle Autofahrer

Rund vier Jahre speicherte die Polizei in Brandenburg an zwei Kontrollpunkten auf der BAB 11 die Kennzeichen aller vorbeifahrenden Autos. Das geschah anlasslos. Ein Mann aus der Ueckermark klagte dagegen, nun bekam er vor dem Landgericht Frankfurt an der Oder recht.

Im sogenannten Aufzeichnungsmodus speicherte das Kennzeichenerfassungssystem KESY jedes Kennzeichen, ohne dass die Verkehrsteilnehmer einer Straftat verdächtig waren. Schon die Datenschutzbeauftragte des Landes hat die Praxis kritisiert. Die Überwachung war erst lange nach Inbetriebnahme des Systems bekanntgeworden, als im möglichen Mordfall Rebecca auf der BAB 11 gewonnene Daten eine Rolle spielten. Das Landgericht Frankfurt an der Oder stellt in dem Beschluss vom 22. Juli eher lapidar fest, dass es für solche Maßnahmen einer gesetzlichen Befugnis bedürfe. Diese habe seinerzeit aber nicht existiert.

Mittlerweile ist die Kennzeichenkontrolle in der Strafprozessordnung geregelt (§ 163g StPO). Sie darf nach der neuen Regelung keinesfalls mehr nach dem Gießkannenprinzip erfolgen. Auch KESY in Brandenburg soll mittlerweile nur noch im „Fahndungsmodus“ laufen.

Kein Druck auf schnelle Aussage

Das Schweigerecht des Beschuldigten ist ein unglaublich wichtiges Prinzip im Rechtsstaat. Wenn jemand zu Vorwürfen schweigt, dürfen daraus keine negativen Rückschlüsse gezogen werden. Aber wie sieht es aus, wenn ein Angeklagter erst längere Zeit nichts sagt, dann aber doch Angaben macht, ohne dass diese als „Geständnis“ gewertet werden können? Mit so einem Fall hat sich der Bundesgerichtshof beschäftigt.

Ein Angeklagter hatte lange zu dem Vorwurf geschwiegen, er habe ein 14-jähriges Mädchen missbraucht. Bei der Polizei sagte er, er könne sich an so eine Situation nicht erinnern. Beim psychiatrischen Sachverständigen bestritt er die Vorwürfe pauschal. Nachdem das gesundheitlich eingeschränkte Opfer in der Verhandlung – eher überraschend – belastbare Angaben machen konnte, äußerte sich der Angeklagte, ohne dass ihm damit eine Schuld hätte nachgewiesen werden können.

Das Landgericht Waldshut-Tiengen nutzte aber die Möglichkeit, das Verhalten des Angeklagten als „eindeutig taktisch motiviert“ einzustufen. Allerdings hätten die Richter nur berücksichtigen dürfen, dass der Angeklagte sie mit seiner Aussage auf die Aussage des Opfers einstellen konnte. Allerdings sei es nicht in Ordnung, das anfängliche Schweigen ebenfalls ausdrücklich als taktisch zu werten. Das klingt sehr nachvollziehbar. Ansonsten entstünde ein faktischer Druck, nicht den richtigen Zeitpunkt für eine Aussage zu verpassen.

Der Bundesgerichtshof hebt das Urteil auf; der Fall muss neu verhandelt werden (Aktenzeichen 1 StR 139/22).

Haare schön, Lappen weg

Eine Autofahrerin war am Donnerstag in Dortmund auf der Brackeler Straße mit 110 Stundenkilometern unterwegs. Das gilt unter Einheimischen zwar noch als Schrittgeschwindigkeit, trotz des offiziellen Tempolimits von 50. Anders ist es natürlich, wenn die Kradgruppe der örtlichen Polizei mit einem Schwerpunkteinsatz die Hauptunfallursache der erhöhten Geschwindigkeit bekämpft.

Genau das war zur fraglichen Zeit der Fall, so dass die 25-Jährige nicht nur Fahrzeugschein und Führerschein zeigen musste, sondern sich im Rahmen ordentlich gewährten rechtlichen Gehörs auch zum Tatvorwurf äußern durfte. Sie stritt eine gewisse Eile nicht ab, trug aber Gründe vor, welche die Beamten zur Anwendung des Opportunitätsgrundsatzes bewegen sollten. Im Bußgeldverfahren sind alle Sanktionen ja ins Ermessen der Behörde gestellt. Man darf also auch mal ein Auge zudrücken, ohne dass gleich irgendjemand Strafvereitelung rufen kann.

Eine klitzekleine Chance also, dass es die Polizei bei einer Verwarnung bewenden ließ. Kommt natürlich auf die Geschichte an, aber die ließ sich zweifellos hören. Nach eigenen Angaben war die Frau nämlich unterwegs, um sich die Haare machen zu lassen. Und zwar für ihre Hochzeit, die am gleichen Tag stattfinden sollte. Die Story hat es zwar bis in den Polizeibericht geschafft, konnte die Herzen der gestandenen Krad-Polizisten aber nicht ausreichend erweichen. Die Fahrerin durfte mit besten Wünschen zwar weiterfahren, für die nächsten Tage wurden ihr aber ein behördlich bereits korrekt berechnetes Bußgeld von 480 Euro, zwei Punkte in Flensburg und ein Monat Fahrverbot in Aussicht gestellt. Möglicherweise kann sie die Hochzeitsreise jetzt sozusagen doppelt genießen, wenn sie gleichzeitig das Fahrverbot mit erledigen kann.

Pimmelgate-Razzia war nicht ganz korrekt

Das Pimmelgate des Hamburger Innensenators Andy Grote wird sorgfältig juristisch aufgearbeitet. Vor wenigen Tagen stellte die Hamburger Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen den Autor des Tweets „Du bist so 1Pimmel“ ein und verwies Grote auf den Privatklageweg. Nun ist auch entschieden, ob die Hausdurchsuchung in Ordnung ging. Tut sie nicht, so das Landgericht Hamburg.

Die Richter sagen in ihrer Entscheidung zwar, es habe einen Anfangsverdacht auf Beleidigung gegeben. Allerdings verweisen sie auch auf gewisse rechtsstaatliche Grenzen. Diese sind seinerzeit der Staatsanwaltschaft und dem zuständigen Ermittlungsrichter leider aus dem Blick geraten – aus welchen Gründen auch immer.

Die Hausdurchsuchung halten die Richter für unverhältnismäßig, vor allem das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (einer Mitbewohnerin) stehe über dem möglichen Strafverfolgungsinteresse des Staates. Eine Rolle spielte sicher auch, dass der Twitterer nicht einfach losblaffte, sondern auf Äußerungen Grotes reagierte. Dieser hatte Menschen, die trotz Corona feierten, als „Ignoranten“ tituliert.

Seinen verdienten Platz in den Archiven findet das Pimmelgate allerdings erst, wenn der Innensenator die Sache nicht doch noch selbst vor Gericht bringt oder möglicherweise schon hat. Wie er sich zu dieser juristischen Möglichkeit positioniert, wird sich bestimmt noch zeigen.

Bericht in der Welt

Verfassungsgericht stoppt „Abschiebung“ eines 9-Jährigen

Eine Mutter hat im Streit mit dem Vater ihres Kindes, mit dem sie noch nicht mal verheiratet ist, im deutschen Familienrecht gute Karten – so die sicher landläufige Meinung. Von daher würde man es doch als eher unwahrscheinlich einschätzen, dass ein deutsches Gericht die Überstellung eines neunjährigen Jungen zu seinem Vater nach Spanien anordnet, zumal das Kind seinen Vater kaum kennt und kein Wort Spanisch spricht.

Doch genau das ist passiert. Beziehungsweise wäre fast passiert, hätte das Bundesverfassungsgericht nicht die Notbremse gezogen. Per einstweiliger Anordnung untersagen die Richter, dass der Junge zwangsweise nach Spanien zu seinem Vater gebracht wird. Die zuständigen Familiengerichte, die das eigentlich zulassen wollten, stehen dabei belämmert da. Laut dem Verfassungsgericht haben sie das geltende Recht möglicherweise noch nicht mal richtig verstanden.

Zur Vorgeschichte: Der Junge wurde 2013 in Madrid geboren. Die Eltern waren nicht verheiratet. Die Frau trennte sich und zog mit dem Kind nach Deutschland. Seit Jahren klagt der Vater in Spanien, um seinen Sohn nach Madrid zu holen. Letztlich bekam er vor einem Madrider Gericht recht, die Entscheidung sollte dann in Deutschland vollstreckt werden. Das Bamberger Familiengericht, aber auch das übergeordnete Oberlandesgericht winkten das spanische Verdikt durch mit der Begründung, die deutsche Justiz dürfe das Urteil nur formal prüfen, nicht jedoch seine sachliche Berechtigung.

Das Bundesverfassungsgericht hält das jedenfalls nicht für zwingend. Tatsächlich legen die Richter im Detail dar, dass sich die zuständigen Instanzen möglicherweise im europäischen Paragrafendschungel nicht sonderlich gut auskennen und deshalb irrtümlich meinten, sie müssten die Auffassung ihrer spanischen Kollegen kritiklos teilen. Wen die komplexen Einzelfragen interessieren, mag bitte einen Blick in die heute veröffentlichte Entscheidung werfen.

Abseits formaljuristischer Fragen weisen die Verfassungsrichter auch darauf hin, dass der Junge wohl niemals von der spanischen Justiz angehört worden ist. Zu Recht stellt sich also die Frage, wie man die Belastung des Kindes im Falle seiner Überstellung nach Spanien bewerten kann. Nach deutschem Recht ist es jedenfalls nicht denkbar, dass so eine Frage des Kindeswohls entschieden wird, ohne dass mit dem Kind gesprochen wird.

Es handelt sich um eine einstweilige Regelung. Die Mutter kann nun Verfassungsbeschwerde erheben. Bis diese entschieden ist, kann sie ihren Sohn in Deutschland behalten.

Gericht möchte BMW 735i einbehalten

Falls ihr mal euer Auto verleiht, solltet ihr das nicht in Dresden tun. Für das dortige Amtsgericht können Verkehrsverstöße des Fahrers nämlich dazu führen, dass euer Auto erst mal beschlagnahmt wird – endgültige Konfiskation nicht ausgeschlossen.

So erging es der Eigentümerin eines BMW 735i. Deren Sohn war mit dem Auto gefahren, obwohl er wegen eines Tempoverstoßes ein zweimonatiges Fahrverbot hatte. Ansonsten war er noch nicht sonderlich aufgefallen, es gab einige Bußgelder im Bereich von hundert Euro, aber nicht wegen Geschwindigkeitsübertretung.

Also eher wenig, was es rechtfertigen könnte, das Auto eines Dritten einzukassieren. Doch das Amtsgericht Dresden attestierte dem Sohn weiter, dieser habe sich in seinen Beschwerden gegen die Maßnahmen völlig sinnbefreit geäußert. Außerdem habe er sich bei der Wohnungsdurchsuchung, bei der sein Führerschein beschlagnahmt wurde, fragwürdig verhalten. Deshalb sei zweifelhaft, ob der Mann überhaupt als Autofahrer geeignet sei.

Das Landgericht Dresden gab den BMW frei. Die Beschlagnahme sei nicht gerechtfertigt, denn eine spätere Einziehung sei nach aller Voraussicht unverhältnismäßig. Auch die schriftlichen Eingaben des Betroffenen wollte das Landgericht nicht zu seinem Nachteil werten. Der Mann habe sich zwar „in Wortwahl und Sprachgebrauch“ eher eigenwillig geäußert, aber immerhin versuche er, seine Rechte wahrzunehmen. Aus einer „wahrscheinlich fehlenden Schlüssigkeit oder Überzeugungskraft“ seiner juristischen Argumente könne nicht geschlossen werden, dass er grundsätzlich nicht Auto fahren kann.

Im Beschwerdeverfahren war der Betroffene übrigens schlau. Er ließ sich durch einen Anwalt vertreten.

Link zum Beschluss des LG Dresden

Datei wird zu Papier, Papier aber nicht zur Datei

In fast allen Bereichen der Justiz müssen Anwälte ihre Schriftsätze mittlerweile als elektronisches Dokument einreichen. Sonst werden die Schreiben nicht beachtet, im schlimmsten Fall sind Berufungen, Beschwerden etc. unwirksam. Zu den damit verbundenen Problemen habe ich gestern was geschrieben.

Super, könnte man denken. Dann kommt alles in eine elektronische Akte, das ist schön übersichtlich. Und die Akteneinsicht erleichtert sich auch, weil Gerichte die E-Akte dann über den sicheren Übermittlungsweg des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) zusenden können. Spart die Verpackung, das Porto, die endlose Kopiererei.

Wäre schön. Aber so einfach ist es natürlich nicht. Eine elektronische Akte wird nämlich nicht unbedingt geführt. Vielmehr wird bei vielen Gerichten nach wie vor alles ausgedruckt und eine Papierakte geheftet. Statt also sonstige Dokumente zu scannen, die nicht schon elektronisch eingereicht wurden, werden die elektronisch eingehenden Dokumente wieder in die Papierform überführt. Sonstige Dokumente, etwa Polizeiberichte o.ä., werden also auch gar nicht gescannt, sondern in die Papierakte geheftet.

Ein Rechtsanwalt wollte nun vor dem Verwaltungsgericht durchsetzen, dass ihm zumindest die Akteneinsicht elektronisch gewährt wird. Das hätte aber bedeutet, dass die betreffende Papierakte auf Kosten der Justiz zu digitalisieren gewesen wäre. So weit kann es dann aber doch nicht gehen. Das Oberverwaltungsgericht Hamburg stellt sich in seinem Beschluss jedenfalls auf den Standpunkt, dass selbst ein gesetzlich vorgesehener Anspruch auf eine „Abschrift“ nicht bedeutet, dass eine Papierakte in eine Datei umgewandelt werden muss. Das sei zwar möglich, eine Verpflichtung gebe es nicht.

Der Anwalt musste dann die Akte wohl auf der Geschäftsstelle des Gerichts einsehen. Kosten entstanden auch noch. Für das Verfahren berechnete das Gericht 66 Euro Gebühren.

Link zum Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Hamburg

Zum Glück zu Hause

In Florida hat die Türkamera einer Frau aufgenommen, wie die Polizei die Haustüre aufbrechen wollte, um einen Räumungsbeschluss durchzusetzen. Aber seht selbst:

Die Bewohnerin war froh, dass sie über ihre smarkte Türklingel mit den Polizeibeamten kommunizieren konnte. Obwohl sie nicht zu Hause war. Sie lobte die Beamten auch für ihr späteres Verhalten. Diese hätten sich nicht nur entschuldigt, sondern ihr auch was zu essen gebracht und die Tür repariert.

Fristablauf ist bei mir nicht (mehr) Fristablauf

Die Anwaltskollegen aus dem Zivil-, Verwaltungs- und Sozialrecht lieben beA, das besondere elektronische Anwaltspostfach, ja schon länger. Seit dem Jahresanfang trifft es auch uns Strafverteidiger. Wir dürfen zwar auch noch altmodische Briefe und Faxe schicken. Aber für die meisten Rechtsmittel gilt nun auch die beA-Pflicht nach § 32d StPO. Das heißt, wenn eine Revision beispielsweise nicht per beA eingelegt wird, ist sie unwirksam.

Ich gebe zu, einmal hat mich das beA in einen echten Fristendruck gebracht. Ich hatte am Tag des Fristablaufs, es war ein Freitag, noch eine Revisionsbegründung abzugeben. Tagsüber hatte ich einen Gerichtstermin. Der dauerte – eher unerwartet – bis in den frühen Abend. Das war kein großes Problem. Der Schriftsatz war an sich fertig, ich wollte nur noch mal drüber lesen und noch ein wenig am Text frickeln. Das geschah nun erst gegen 19 Uhr, aber gut, ich habe ja keine festen Arbeitszeiten.

Gegen 20.30 Uhr wollte ich das Werk dann per beA senden. Das System reagierte – mit der Aufforderung zu einem Zwangsupdate. Welches dann scheiterte, weil angeblich Java zerschossen war. Java installierte ich neu, was die beA-Software aber nur zur gleichen Fehlermeldung animierte. Nach einer knappen dreiviertel Stunde Update-Versuch griff ich zu Plan B. Ich ging mal rüber zu einer benachbarten Anwaltskanzlei. Dort arbeitete zum Glück noch ein Kollege. Der hatte schon am Nachmittag sein Glück mit dem Update versucht. Deutlich erfolgreicher als ich.

Ich durfte meinen Schriftsatz über das System der Kollegen senden, wofür ich mich auch noch mal bedanken möchte. Zu Gegendiensten bin ich jederzeit gern bereit. Unser beA bekam ich am Samstag auch gefixt, zumindest erst mal auf einem anderen Rechner. Aber da wäre die Frist schon versäumt gewesen.

Ich habe aus der Sache gelernt. Fristen, die nur übers beA zu erledigen sind, laufen bei mir nicht mehr am Tag des Fristablaufs ab. Sondern einen Tag vorher. Ich gehe nicht nach Hause, bevor der Schriftsatz draußen ist. Außerdem halte ich das beA immer auf mindestens zwei Rechnern frisch, einer davon steht bei mir zu Hause. Das ist mir mein Seelenfrieden wert.

Rechtsstreit um einen verblassten Stempel

Du hast einen städtischen Parkausweis, dein korrekt geparkter Wagen wird dennoch abgeschleppt. Okay, offenkundig fehlt bei dieser Geschichte aus Koblenz ein Detail, um sie juristisch „interessant“ zu machen. Diesen Fakt liefere ich gern nach: Der Stempel auf der Parkerlaubnis eines Schwerbehinderten war durchs Sonnenlicht so verblasst, dass er nicht mehr lesbar war. Die den ruhenden Verkehr kontrollierende Person ließ das Auto abschleppen. Der Autofahrer sollte die Kosten tragen, man traf sich vor Gericht.

Für mich durchaus nachvollziehbar legte der Autobesitzer dar, dass solche Ausweise und das aufgestempelte Dienstsiegel doch eigentlich für längere Sonneneinstrahlung ausgelegt sein sollten. Immerhin sind sie zur Vermeidung eines Knöllchens deutlich sichtbar auf dem Armaturenbrett auszulegen, und schönes Wetter liegt jedenfalls nicht im Bereich des Unmöglichen. Der Betroffene erkannte eine Pflichtverletzung der Behörde bei der Wahl der Stempelfarbe, die Stadt habe am falschen Ende gespart.

Klingt schlüssig, überzeugte das Landgericht Koblenz aber nicht. Die Richter streiten zwar nicht ab, dass die Stempelfarbe im Sonnenlicht innerhalb weniger Monate verblichen ist. Aber das falle in den Verantwortungsbereich des Bürgers. Dieser müsse sich einen neuen Ausweis besorgen, wenn das alte Dienstsiegel nicht mehr erkennbar sei. Letztlich wurde dem Kläger aber wohl zum Verhängnis, dass er eine erste Warnung durch einen städtischen Parkplatzkontrolleur in den Wind geschlagen hatte.

Die Legal Tribune Online berichtet über den Fall