NUR NICHT ÄRGERN

Strafsache. Berufungsverhandlung. Ich werfe bei der Stellungnahme zum Ziel der Berufung die Frage auf, ob man nicht über eine Einstellung nachdenken könnte. O-Ton Staatsanwalt:

„Der Amtsrichter S., der ist doch ein erfahrener Mann. Schauen Sie mal, wie viel Arbeit er sich mit dem Urteil gemacht hat. Der macht schon seit Jahrzehnten hervorragende Arbeit. Wenn wir das Verfahren jetzt einstellen, ärgert er sich doch.“

Mit diesem Maßstab könnte man die Strafprozessordnung auch außer Kraft setzen. Trotz dieses etwas schnippischen Einwandes von mir klappte es dann doch noch mit der Einstellung. Wenn auch erst nach zweistündigem Zeugenbarbecue.

AKTIV

In einem Verfahren, in dem ich den Nebenkläger vertrete und ein Schmerzensgeld eingeklagt habe, kommt der Verteidiger auf mich zu. Rechtsanwalt W. fragt nach, ob wir mit einer Einstellung des Verfahrens einverstanden wären, wenn der Beschuldigte das geforderte Schmerzensgeld als Auflage zahlt. Und auch die Kosten der Nebenklage übernimmt. Die Richterin stehe der Idee aufgeschlossen gegenüber, das hat er wohl schon geklärt.

Aktive Strafverteidigung außerhalb des Gerichtssaals. Aber hallo. Hatte hier nicht neulich jemand behauptet, so was gebe es gar nicht?

DÜRFTIG

Manchmal frage ich mich, worüber Anwälte mit ihren Mandanten sprechen. Vor dem entscheidenden Gerichtstermin. Mitunter muss die Kommunikation dürftig sein. Oder wie lässt es sich erklären, dass der Betroffene, der noch bei Grün gefahren sein will, in der Verhandlung plötzlich eiert?

Jedenfalls empfiehlt sich folgender Satz auf keinen Fall: „Kann natürlich sein, dass die Ampel schon gelb gezeigt hat. Gut möglich, dass ich auch noch etwas rotes Licht gesehen habe…“

Dieses Fiasko war ein wohltuender Reminder dafür, dass man die entscheidenden Eckpunkte jeder Aussage vorbesprechen muss. Selbst wenn es nur um ein Bußgeld geht.

VORBESTRAFT

Eine Polizistin hat gegenüber meinem Mandanten behauptet, er sei vorbestraft. Der Mann wies das empört zurück. Denn tatsächlich gab es in seinem Leben nur ein Ermittlungsverfahren. Das wurde nach § 153a Strafprozessordnung eingestellt. Gegen Zahlung einer Auflage.

Genau, sagt die Polizistin, Geldzahlung, Geldstrafe, also bist du vorbestraft. Mein Mandant schwört Stein und Bein, dass sie sich davon nicht abbringen ließ. Er sei vorbestraft. Damit müsse er sich abfinden. Und sein Anwalt habe ihm das Verfahrensergebnis ja sowieso nur schöngeredet. Vorbestraft, vorbestraft, ätschibätsch.

Jetzt ist er beunruhigt. So sehr dass ich ihm auf unserem Briefbogen aufschreiben muss, warum die Polizistin ein Vollpfosten ist.

Hätte nicht gedacht, dass ich dieses Wort so schnell gebrauchen kann.

BEWEISE, SELBSTGEMACHT

„… zu Ihrem Schreiben teile ich folgendes mit: Es trifft zu, dass mir Ihre Mandantin 3.200,00 € geliehen hat.“

Danke für dieses freundliche Anerkenntnis. Ohne schriftlichen Vertrag, Quittung und Zeugen hätten wir sonst Beweisprobleme gehabt.

BESCHEIDEN

Ich schätze die Bescheidenheit amerikanischer Anwälte. Sie arbeiten zwar gern für ein Erfolgshonorar. Wenn es aber nur leise Zweifel an den Erfolgsaussichten gibt, ist auch bei ihnen ein stattlicher Vorschuss unumgänglich. Die Forderungen schwanken zwischen 30.000 und 40.000 Dollar.

Da wird die Mandantin schön schlucken.

SCHNELLER MIT ANWALT

Der Berliner Strafverteidiger Jony Eisenberg schreibt in der taz:

In Hannover hat man untersucht, was passiert, wenn jedem inhaftierten Beschuldigten vom ersten Tage an ein Verteidiger gestellt wird: Durchschnittlich gibt es ein Urteil statt nach 128 nach nur 84 Tagen, die Dauer der Untersuchungshaft wird um zwei Drittel für die verkürzt, die ohne den Modellversuch unverteidigt geblieben wären. Das erspart häufig den Verlust der Wohnung, der Arbeit, die sozialen Bindungen leiden weniger.

(Danke an Tilman Hausherr für den Link)

VERGLEICHSWERTE

Arbeitslosenquoten in anderen europäischen Ländern:

Holland 5,2
Slowakei 0,6
Österreich 4,1
Dänemark 4,9

Deutschland 9,7

(in Prozent; Quelle: FAS)

WEGE ZUM GLÜCK

Heute hat mir einer in der Umkleide erzählt, dass er seit langem mal wieder richtig aufdreht und sich rundum wohl fühlt. Ich wollte Interesse heucheln und höflich fragen, welchem genialen Therapeuten er das verdankt.

Zum Glück kriegte ich noch rechtzeitig mit, dass er von seiner Ganzkörperenthaarung spricht.

HOCHREGALE

Marios Betrachtung im vorigen Eintrag hat bei mir eine Supermarkt-Allergie ausgelöst. Zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Eigentlich hatte ich fest vor, heute in diesen Riesenladen zu fahren. Seit langer Zeit mal wieder. Wertkauf, allkauf, K-Kauf, ich werde alt, ich komme nicht mal auf den Namen.

Aber die Aussicht auf deutsche Gesichter im Idlemodus, das würdelose Getrickse um einen Parkplatz nahe der Tür (5.000 freie in den oberen Stockwerken) oder auf den Zwang, sich nicht nur an einer einzigen Leergutkasse die Beine in den Bauch zu stehen, sondern die leeren Kisten auch noch akkurat selbst wegzuräumen oder einen Anschiss von den Schicksen an der „Information“ zu kassieren, die sonst bevorzugt die Trolleys harmloser Omas beschlagnahmen; die Aussicht auf das Gepokele an polystrolverpacktem Schwein, Milchprodukte aus der Kältekammer nur um den Preis eigener Erfrierungen, Hochregale mit Klopapier und an jeder Ecke Szenen einer Ehe – thx.

Vielleicht kommenden Samstag. Oder im nächsten Leben.

D – EINE BILANZ

Vier Wochen Deutschland. Mario Sixtus zieht die Bilanz seiner Blogtour fürs ZDF:

Politiker, speziell regionale und lokale, doktoren gerne an der Hardware herum. Sie fordern Umgehungsstraßen, Autobahnanschlüsse, ICE-Bahnhöfe, Gewerbegebiete und sonstigen Krimskrams. Das ist — mit Verlaub — gesteigerter Bullshit. Die Hardware in dieser Republik ist super in Schuss, nur an der Software mangelt es. Zu lange sind wichtige Patches und Updates nicht aufgespielt worden. Deutschland gleicht einem High-End-Computer, der unter einem Betriebssystem aus den 70-ern läuft. Angst-Subroutinen haben sich verselbständigt und fressen kostbare Systemressourcen. Trägheits-Tasks ziehen im RAM ihre Endlosschleifen: Dieses Land lebt im Idle-Zustand. Jeder wartet auf irgend etwas und die ganz nervigen Zeitgenossen warten darauf, dass es irgendwann so sein wird, wie sie glauben, dass es einmal war.

Eine After-Blog-Party gibt es auch.

APPLE-GIRL

„I am an Apple-Girl“, hauchte sie und klappte ihr 12″-iBook auf. „Ja, schön“, sagte ich. „Was aber wird jetzt aus der UMTS-Karte, die dich mit dem Rest der Welt verbindet?“ An dem Teil ist nämlich kein Steckplatz für die Karte vorhanden. Jedenfalls konnte ich keinen finden.

So what? Dann muss eben noch ein Blackberry her. And fuck the XXL-Tarif. Das finde ich eine überzeugende Lösung – zumindest für ein Apple-Girl.