Straftäter dürfen Bitcoins nicht behalten

Bitcoins sind auch nur ein wirtschaftlicher Wert wie so gut wie alles andere auch – so zumindest nach Auffassung des Bundesgerichtshofs. Und da diese Meinung zählt, ist nun auch höchstrichterlich klargestellt, dass Bitcoins im Strafprozess ebenso einkassiert werden können wie andere wirtschaftliche Werte, etwa Autos, Aktien oder Uhren.

In dem entschiedenen Fall ging es um Bitcoins im Wert von über 400.000 Euro. Die Angeklagten hatte die Bitcoins geschürft, indem sie über Botnetze fremde Computer kaperten und diese als Rechensklaven zum Bitcoin-Mining einsetzten. Das ist unter anderem eine strafbare Datenveränderung (§ 303a StGB). Gegen die Beschlagnahme ihres Erlöses hatten sich die Angeklagten eben mit dem Hinweis gewehrt, dass Bitcoins weder Sachen noch Rechte seien und somit nicht von den gesetzlichen Vorschriften erfasst würden.

Diese Argumentation hatte, wenig überraschend, keinen Erfolg. Die Richter sehen überhaupt keinen Grund, Bitcoin anders zu behandeln als sonstige Vermögenswerte. Auch der Einwand, dass die Behörden ohne Kenntnis des privaten Schlüssels nicht auf die Wallets der Angeklagten zugreifen könnten, ändert hieran nichts. Das sei eine reine Vollstreckungsfrage, so das Gericht. Dass der Zugriff möglicherweise nicht gelingen werde, ändere nichts daran, dass die Beschlagnahme rechtmäßig war und die Bitcoins dem Staat zustehen (Aktenzeichen 1 StR 412/16).

Einfühlende Zeugenmassagen

Spiegel Online bringt heute einen interessanten Artikel über Cold Cases. Das sind bislang ungeklärte Fälle, die nach Jahren oder sogar Jahrzehnten wieder aufgerollt werden. Anlass ist ein Cold Case aus Hamburg, in dem die (neuen) Ermittler wohl etwas über das Ziel hinausgeschossen sind.

38 Jahre nach der Tat haben sie offenkundig den Falschen auf die Anklagebank gebracht. Es ging um einen versuchten Mord an einer damals 16-Jährigen. Das Landgericht Hamburg sprach den Angeklagten, auf den Ermittler erst 2018 stießen, jetzt frei, und die Richterin fand deutliche Worte in Richtung der Polizei: „Hätten wir zu Beginn gewusst, was wir heute wissen, hätten wir das Verfahren gar nicht eröffnet.“ Das Opfer, der Angeklagte und auch ein wichtiger Zeuge seien, so zitiert der Bericht die Richterin, „höchst suggestiv“ befragt und „gegebenenfalls sogar getäuscht“ worden.

So seien dem Opfer Bilder vorgelegt worden mit der Aussage, der Täter sei auf jeden Fall auf mindestens einem Foto zu sehen, er müsse nur noch überführt werden. Außerdem sollen dem Opfer Jugendfotos des Angeklagten gezeigt worden sein. Die Vergleichsbilder zeigten dagegen junge Männer in moderner Kleidung. Der Hauptbelastungszeuge soll seine Aussage im Laufe der Vernehmung um 180 Grad geändert haben – unter anderem, nachdem ihm von einer Belohnung berichtet wurde.

Die Aufzählung der Polizeifehler in diesem Fall finde ich sehr aufschlussreich. Denn es handelt sich keineswegs um Probleme, die nur in Cold Cases auftreten. Fehlerhafte Lichtbildvorlagen, einfühlende Zeugenmassagen, aktive Täuschung und andere Tricks sind vielmehr potenzielles Thema in jedem Strafprozess. Um so wichtiger, dass Richter auch die Polizeiarbeit kritisch würdigen, so wie dies nun in Hamburg geschehen ist.

Ein schlafender Anwalt ist kein Anwalt

Die Anklageschrift in einem Koblenzer Mammutprozess umfasst 926 Seiten. Da gerade die Verteidiger die Anklageschrift schon vor ihrer Verlesung zum Prozessauftakt zur Genüge kennen bzw. jedenfalls kennen sollten, kann das Zuhören bei so einem Umfang schon zu einer Qual werden.

Gut, niemand kann den Anwalt in dieser Situation daran hindern, seine E-Mails abzuarbeiten oder sonst Dinge zu tun, die man mit Handy/Tablet/Notebook halt so machen kann. Ein Kollege in dem erwähnten Prozess wählte aber eine andere Exitstrategie, wie man dem druckfrischen Bericht der Koblenzer Verteidigerin Kerstin Rueber-Unkelbach entnehmen kann.

Der Anwalt döste bei Verlesung der Anklageschrift weg. Geholfen hat’s weder ihm noch den anderen zahlreichen Verteidigern in dem Großverfahren. Die geistige Abwesenheit wurde bemerkt und das Gericht ordnete wohlweislich an, dass alles, was der Anwalt verpasst haben könnte, noch mal vorgelesen werden muss. Das geht auch nicht anders, denn ein Angeklagter, dessen Verteidiger in einem Verfahren vor dem Landgericht schläft, gilt als nicht verteidigt. Das aber wäre ein Revisionsgrund.

Ob dem betroffenen Kollegen mit einem Käffchen oder einem anderen Wachmacher weitergeholfen wurde, wäre natürlich auch eine interessante Frage.

Social-Media-Team der Polizei darf Demonstranten nicht filmen

Wenn die Polizei auf Demos fotografiert und filmt, freut das Demonstranten in der Regel nicht. Es ist nämlich unklar, wo die Bilder abgespeichert und für welchen Zweck sie verwendet werden. Deshalb bedarf die Polizei regelmäßig eines vernünftigen und rechtlich belastbaren Grundes, um Demonstranten abzulichten. In der Regel ist das die konkrete Gefahr von Straftaten. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen musste jetzt die Frage beantworten, ob für ein „Social-Media-Team“ der Polizei andere Regeln gelten.

„Am Puls der Zeit“ wolle sie informieren, argumentierte die Essener Polizei vor Gericht. Deshalb hätten Beamte des Social-Media-Teams Aufnahmen bei einer Demo gemacht – nur um sie für die Öffentlichkeitsarbeit auf Facebook, Twitter & Co. zu verwenden. Dagegen klagten Demonstranten. Ihnen war es egal, warum die Polizei sie filmt.

Das Verwaltungsgericht positioniert sich recht klar. Fotografierende Beamte könnten einschüchternd wirken und Demonstranten von der Ausübung ihres Grundrechts abhalten. „Als Demonstrant kann ich nicht wissen, ob mich der Uniformierte nur unscharf fotografiert oder ob er mit einem Teleobjektiv ganz nah ran geht“, berichtet die Welt über den Prozess.

Es dürfe gar nicht der Eindruck staatlicher Überwachung entstehen. Deshalb erklärte das Gericht die Filmaufnahmen für rechtswidrig. Die Polizei Essen soll jetzt angekündigt haben, die betreffenden Mitarbeiter würden künftig gelbe Warnwesten mit der Aufschrift „Social Media Team“ tragen.

Ob das an der Grundsituation etwas ändert, würde ich stark bezweifeln. Der Deutsche Journalisten-Verband begrüßte die Entscheidung. Das Urteil stelle die Rollenverteilung klar. Es sei gar nicht Aufgabe der Polizei, die „Berichterstattung“ zu übernehmen.

Der Homie von der Bullerei

Die Berliner Polizei hat vor einigen Tagen ein Youtube-Video veröffentlicht. Ich verstehe nicht so ganz, ob es jetzt in erster Linie um Imagepflege in eigener Sache geht. Oder um ein (weiteres) Bekenntnis gegen Fremdenfeindlichkeit, also an sich um eine Selbstverständlichkeit bei der Polizei. Oder vielleicht ist das Ziel ja ein Ehrenplatz im Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler. Falls letzteres der Fall ist, dieser Plan geht garantiert auf.

Aber seht selbst:

Weil das Video völlig überraschend im Netz doch eher nur verhaltene Zustimmung erfährt, stilisiert sich die Berliner Polizei jetzt sogar als Opfer von „Hass“. In einem Twitter-Beitrag heißt es:

Mal in aller Deutlichkeit: Wer schweigt, der stimmt gar nichts zu.

Dieser ganze verkorkste Pathos in dem Video und die nun auch noch zur Schau getragene Weinerlichkeit sind vielmehr an Peinlichkeit nicht zu überbieten. Ich jedenfalls wünsche mir eine Polizei, die in jeder Situation und unabhängig von der Herkunft der Beteiligten ihre Arbeit ruhig, sachlich und vorurteilsfrei macht. Wenn das geschieht, muss man sich auch an nix und niemanden so ranzwanzen wie insbesondere der sonnenbebrillte „Homie“ in Uniform. Für mich bislang unangefochten die Witzfigur des Monats.

„Sind Sie gefahren?“

Gerade bei Straßenverkehrsdelikten, sind sehr viele, ach was, die allermeisten Polizeibeamten der Meinung, dass sie bei möglichen Beteiligten zunächst mal etwas durchführen dürfen, was man „informatorische Befragung“ nennt. Dabei handelt es sich um nichts anderes als das Herauskitzeln der notwendigen Informationen, die für die spätere Überführung des Täters erforderlich sind („Sind Sie gefahren?“).

Die vom Gesetz vorgeschriebene Belehrung des Betroffenen über sein Schweigerecht findet dann gerne später statt – wenn überhaupt. Etwa nach der Atemalkoholmessung, wie in einem Fall, den das Oberlandesgericht Bamberg nun entschieden hat. Dabei ging es um eine mögliche Trunkenheitsfahrt. Die Polizei war schon vor dem betroffenen Autofahrer an dessen Wohnung, und seine Ehefrau hatte ihn schon glaubhaft als Fahrer des Autos ins Spiel gebracht.

In dieser Situation plauderten die Polizisten jedoch erst mal mehr oder weniger locker mit dem Mann, der dann auch im Kern auch zugab, mit dem Wagen gefahren zu sein (obwohl er nicht in oder an seinem Auto angetroffen wurde). Das Oberlandesgericht Bamberg findet dazu klare Worte:

Zwar begründet nicht jeder unbestimmte Tatverdacht bereits die Betroffeneneigenschaft mit der Folge einer entsprechenden Belehrungspflicht. Vielmehr kommt es auf die Stärke des Verdachts an. Es obliegt der Verfolgungsbehörde, nach pflichtgemäßer Beurteilung darüber zu befinden, ob sich dieser bereits so verdichtet hat, dass die vernommene Person ernstlich als Täter oder Beteiligter der untersuchten Tat in Betracht kommt.

Hier hatte sich der Tatverdacht aber – auch weil der Betroffene nach Alkohol roch – schon so stark verdichtet, dass mit der Belehrung nicht mehr getrödelt werden durfte. Besonders erfreulich ist an der Entscheidung, dass das Gericht nicht nur einen Regelverstoß der Beamten bejaht, sondern auch juristische Konsequenzen zieht. In Form eines Verwertungsverbotes, das im deutschen Recht ja leider nicht zwingend ist.

Selbst wenn sich ein Betroffener also mangels ordnungsgemäßer Belehrung selbst um Kopf und Kragen geredet hat, gibt es immer noch eine Chance. Mit der sehr nachvollziehbaren Entscheidung des Oberlandesgerichts Bamberg sind die Chancen noch ein wenig mehr gestiegen.

Link zum Beschluss

Die Ausnahme von der Ausnahme der Ausnahme

Seit einiger Zeit gilt ja ein weiter gefasstes Handyverbot am Steuer. Tatsächlich geht der neue § 23 StVO weit über das ursprüngliche Handyverbot hinaus. Mittlerweile sind auch Navigationsgeräte, Tablets (die Vorschrift nennt sie liebevoll „Flachrechner“), Audioplayer und eigentlich so gut wie alles mit Elektronik drin am Steuer verboten, wenn es ablenken kann. Wobei man die Geräte witzigerweise nicht mal mehr in die Hand nehmen muss – eine zu lange „Blickzuwendung“ reicht bereits aus.

Die unglaublich verkorkste Fassung der Vorschrift wird die Gerichte sicher noch ausdauernd beschäftigen. Interessant ist zum Beispiel, dass das Verbot ausdrücklich nicht gilt, „wenn der Motor vollständig ausgeschaltet ist“. Allerdings gilt der Motor, obwohl er ausgeschaltet ist, nicht als ausgeschaltet, wenn er durch eine Start-Stopp-Automatik abgeschaltet wurde. Oder wenn der Antrieb eines E-Autos „ruht“. Ja, das muss man vielleicht zwei Mal lesen, um es trotzdem nicht zu verstehen.

Das Kammergericht Berlin musste sich jetzt mit der Frage beschäftigen, ob der Fahrer eines Autos, der den Motor manuell ausgeschaltet hat, möglicherweise doch kein Handy benutzen darf. Auf diese Idee kam das Amtsgericht in der ersten Instanz, weil es sagte, die Gefährdung bei einem im Verkehr manuell abgeschaltete Motor sei ja wohl genau so hoch wie bei einem Motor, den die Start-Stopp-Automatik abgeschaltet hat. Insofern seien die Fälle gleich zu behandeln.

Diese Sicht der Dinge geht dem Kammergericht aber zu weit, und zwar zu Recht. Denn immerhin ist das Gesetz ja so formuliert, dass die Wirkung der Start-Stopp-Automatik eine Ausnahme von der Ausnahme ist. Wenn man davon noch eine Ausnahme zulassen würde, wäre man ja letztlich in der Situation, dass nur noch Ausnahmen gelten und der Regelfall (manuell ausgeschalteter Motor berechtigt zur Handynutzung) praktisch nicht mehr existiert. Das wäre dann aber eine Auslegung, welche die Vorschrift selbst ad absurdum führt. Die Richter am Kammergericht sprechen deshalb von einer „Lücke im Gesetz, die nicht geschlossen werden kann“.

Im Falle eines Falles muss man also glaubhaft darlegen können, dass der Motor nicht nur stand, sondern dass man ihn auch wirklich selbst ausgeschaltet hat, so ganz ohne Einwirkung jeder Automatik. Dann gibt’s noch eine Chance (Aktenzeichen 3 Ws (B) 217/18).

RA Detlef Burhoff bloggt zum gleichen Thema

Wer zustimmt, kann nicht widerrufen

Mieterhöhungsverlangen gehören eher zur unerfreulichen Post. Jedenfalls, wenn man der Mieter ist. Der Bundesgerichtshof hat jetzt entschieden, ob dem Wohnungsmieter ein Widerrufsrecht zusteht, wenn er der Mieterhöhung zunächst zugestimmt hat. Nein, sagen die Richter.

Bei einer Mieterhöhung hat der Mieter mindestens zwei Monate Zeit, um sich eine Zustimmung zu überlegen. Außerdem muss der Vermieter die Mieterhöhung sogar begründen, wenn der Mieter dies verlangt. Angesichts dessen vermisst der Bundesgerichtshof eine Situation der möglichen Überforderung, vor der die Regeln über Fernabsatzverträge eigentlich schützen sollen. Der Mieter in dem entschiedenen Fall muss sich an seine Zustimmung halten lassen (Aktenzeichen VIII ZR 94/17).

Ein gelupfter Rock erregt Polizisten

Die Schauspielerin Antje Mönning, die in der TV-Serie „Um Himmels willen“ eine Nonne spielte, soll sich auf gewisse Art und Weise versündigt haben. Mönning erhielt einen Strafbefehl wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses (§ 183a StGB), weil sie auf einem Parkplatz nicht nur sehr leicht – jedenfalls ohne Unterwäsche und mit transparentem Oberteil – bekleidet gewesen sein soll. Nein, sie soll ihr Kleidchen auch noch unter den Blicken wachsamer Verkehrspolizisten mit mehr oder wenigen lasziven Bewegungen gelupft haben.

Sonst ist wohl nicht groß was passiert, aber die Polizeibeamten, die alles mit ihrer Verkehrsüberwachungskamera auf Video gebannt haben, sahen trotzdem Grund für eine Anzeige. Dieser folgte dann ein Strafbefehl, dessen Rechtskraft Mönning nicht nur 1.200 Euro, sondern auch eine Vorstrafe einbringen würde.

Strafbarer Exhibitionismus (§ 183 StGB) liegt übrigens nicht vor. Dieses Delikt kann, so das insoweit eindeutige Gesetz, nur ein Mann begehen. Aber auch die Erregung öffentlichen Ärgernisses ist an eine nicht unwesentliche Voraussetzung geknüpft. Die Vorschrift verlangt nämlich eine öffentliche sexuelle Handlung. Unter einer sexuellen Handlung versteht man gemeinhin aber doch etwas mehr als bloße Nacktheit. Was man vielleicht schon daran sieht, dass eine Künstlerin wie Micaela Schäfer sonst gefühlt jeden zweiten Tag einen Gerichtstermin hätte.

Ein Bericht in der Legal Tribune Online beleuchtet sehr schön die juristischen Feinheiten des Falles. Zu ergänzen ist vielleicht noch, dass die vermeintliche sexuelle Handlung auch tatsächlich eine solche gewesen sein muss. Der bloße Anschein einer sexuellen Handlung genügt also nicht – woran man gerade bei einer Schauspielerin ja auch mal denken könnte.

Als vorläufiges Fazit möchte festhalten, dass der zuständige Staatsanwalt sich doch vielleicht besser der vielfältigen Möglichkeiten erinnert hätte, dass selbst ein hinreichender Tatverdacht einer Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit nicht entgegensteht. Die Erde hätte sich vermutlich auch so weiter gedreht.

Aber nun gibt es sogar noch eine Fortsetzung. Am 4. Dezember gibt es einen Gerichtstermin.

Liebe auf der Richterbank

In einem Augsburger Strafverfahren haben es die Anwälte – ohne ihre Schuld – als letzte erfahren: Der Vorsitzende Richter und eine Berufsrichterin in der Strafkammer sind ein Paar. Die Partnerschaft sei besonders eng, haben die Richter in einer Stellungnahme eingeräumt. Ja, sie lebten auch zusammen. Einzelheiten zu dem Fall schildert Spiegel Online.

Ganz so einfach ist die Rechtslage in so einem Fall sicher nicht. Der Strafprozessordnung kann man zunächst entnehmen, dass enge Beziehungen zwischen Verfahrensbeteiligten sogar ein zwingender Befangenheitsgrund sind. Das ist nach § 22 StPO der Fall, wenn ein Richter Ehegatte, Lebenspartner, Vormund oder Betreuer des Beschuldigten oder des Verletzten ist oder gewesen ist. Dabei kommt es auf das juristische Verhältnis zwischen den Beteiligten an. Somit sind Liebesbeziehungen, die nicht in eine Ehe oder Lebenspartnerschaft gegossen sind, ohnehin nicht erfasst.

Diese sehr enge Fassung der gesetzlichen Ausschlussgründe führt dann aber jedenfalls nicht dazu, dass man in dieser Kosntellation eine allgemeine Besorgnis der Befangenheit einfach vom Tisch wischen kann. § 24 StPO, das kann man nicht oft genug sagen, fordert gar keine tatsächliche Befangenheit. Es reicht, wenn der Angeklagte zu Recht annehmen darf, die Richter stünden ihm womöglich nicht unvoreingenommen gegenüber.

Tja, und da haben die Verteidiger in dem Augsburger Verfahren sicher einen Punkt. Zu Recht verweisen sie und auch zitierte Experten darauf, dass jeder Richter unabhängig sein soll – und das Gericht an sich kein Familienbetrieb ist. Letztlich kommt es auf Details hier nach meiner Einschätzung aber gar nicht an. Denn den Anwälten ist die Beziehung zwischen den Richtern nicht offenbart worden, obwohl sie laut dem Gericht schon länger bekannt ist.

Die betreffende Richterin soll sogar trotz dieser Kenntnis vom Gerichtspräsidium erst vor kurzem in die Strafkammer (zurück-)versetzt worden sein. Schon allein dies sieht ja doch eher merkwürdig und weniger nach einem schlichten Zufall aus. Dass diese Prozesse und die persönliche Beziehung der Richter an sich nicht offenbart wurden, mag formaljuristisch nicht zu beanstanden sein. Allerdings muss sich eine Besorgnis der Befangenheit nicht zwingend aus einem Gesetzesverstoß ergeben.

Schon ein schlechter Odem kann ausreichen. Am Ende wird der Bundesgerichtshof uns sagen, ob die Sache stinkt. Ich tippe auf ja.

Sagt mir nichts

Es kommt nicht oft vor, dass mir der Fall rein gar nichts sagt, wenn ich die Akte mal wieder auf den Tisch bekomme. Sofern das aber passiert, kreuze ich im Kopf auf dem virtuellen To-do-Zettel schon automatisch das Kästchen „Verjährung prüfen“ an.

So passierte es mit einer Verkehrsstrafsache, die mir erst mal gar nichts sagte. Kein Wunder. Die Tat soll sich im Jahr 2012 zugetragen haben. Nach endlosen Ermittlungen, ich unterstelle den Behörden mal hektische Aktivität, erging drei Jahre später ein Strafbefehl. Seitdem war wieder Ruhe.

Am 12. Oktober wäre ein wichtiger Tag gewesen, deshalb bekam ich die Akte auch wieder vorgelegt. An dem Tag würde der Vorwurf verjähren. Ich war guter Dinge, dass die Akte bei Gericht irgendwie „außer Kontrolle“ geraten war, wie man so schön sagt.

Doch auch wenn die zuständige Richterin mit ihren Fällen hoffnungslos „abgesoffen“ zu sein scheint, so hat sie – oder ihre Geschäftsstelle – aber zumindest ein funktionierendes Wiedervorlagesystem. Am 02.10. hat sie einen Hauptverhandlungstermin anberaumt. Auf März 2019.

Ärgerlich aus Sicht des Angeklagten ist weniger der Termin, sondern seine unmittelbare rechtliche Wirkung. Die Anberaumung eines Hauptverhandlungstermins unterbricht die Verjährung, so dass die Vejährung ab diesem Zeitpunkt wieder neu läuft.

Knapp war das auf jeden Fall. Aber man kann halt nicht immer Glück haben.

Blick in die (juristische) Zukunft

Von André Bohn, Assessor und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bochum

Der 78. Deutsche Juristentag (DJT) hat sich im Herbst auch mit vielen strafrechtlichen Themen beschäftigt. Die Beschlüsse haben natürlich keine Bindungswirkung, sind aber regelmäßig wichtige Empfehlungen für die Politik und zeigen oft, wo rechtspolitisch der Hase hinläuft.

Die wichtigsten Punkte des DJT im Bereich Strafrecht sollen im Folgenden kurz dargestellt werden.

Sentencing-Guidelines

Sentencing-Guidelines sind Strafzumessungsrichtlinien, mit denen Richter*innen beispielsweise an einer Tabelle die Strafe für eine bestimmte Tat ablesen können. Sie dienen dazu, eine möglichst einheitliche Bestrafung sicherzustellen.

Sentencing-Guidelines werden in der Regel von einer Expertenkommission erarbeitet.
Die Einführung sogenannter Sentencing-Guidelines lehnt der DJT ab, schlägt aber stattdessen die Einführung einer Datenbank vor, in der Entscheidungen hinterlegt werden, sodass sich die verschiedenen Gerichte über die „Tarife“ bei anderen Gerichten informieren können.

Ob Richter*innen davon wirklich Gebrauch machen würden, steht auf einem anderen Blatt. Immerhin gibt es ja bereits Datenbanken wie juris, beck-online oder auch das kostenlose Angebot dejure.org. Die Annahme, dass Gerichte vor jeder Verurteilung kurz checken, ob die ausgeurteilte Strafe mit den in vergleichbaren Fällen verhängten Strafen anderer Gerichte korrespondiert, dürfte insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Arbeitsbelastung eher unwahrscheinlich sein.

§ 46 StGB

In § 46 Abs. 1 StGB soll anstelle der „Schuld“ des Täters das „vom Täter verschuldete Unrecht“ nunmehr Grundlage der Zumessung der Strafe sein. Um mal eine abgedroschene Phrase zu verwenden: Alter Wein in neuen Schläuchen. Ich glaube nicht, dass damit eine Änderung der Strafzumessungspraxis verbunden wäre.

Die in § 46 Abs. 2 StGB aufgeführte Gesinnung, die aus der Tat spricht, soll als zu berücksichtigender Umstand wegfallen. Da die Begriffe der Gesinnung und der Beweggründe und Ziele des Täters, wie sie ebenfalls in § 46 Abs. 2 StGB normiert sind, ineinander übergehen, dürfte auch diese Änderung nicht allzu viel Auswirkungen auf die Praxis haben.

Rückfall- und Verlaufsstatistik

Der DJT spricht sich für die Einführung einer Rückfall- und Verlaufsstatistik aus, um die Zusammenhänge zwischen Strafe und Rückfallquote zu beleuchten. Dies ist meines Erachtens uneingeschränkt zu begrüßen, zumal die gängigen Straftheorien heute nahezu vollständig widerlegt oder zumindest einiger empirischer Kritik ausgesetzt sind, Gerichte aber trotzdem noch damit argumentieren, um die verhängten Strafen zu rechtfertigen. Voraussetzung ist dann natürlich, dass die Richter*innen sich diese Statistiken auch angucken und daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Dabei kann kriminologisches Hintergrundwissen durchaus von Vorteil sein. Die Kriminologie kommt aber im Rahmen der Ausbildung, wenn überhaupt, nur am Rande vor. Da trifft es sich gut, dass der DJT ebenfalls dafür gestimmt hat, das strafrechtliche Sanktionenrecht, insbesondere das Strafzumessungsrecht und die kriminologischen Grundlagen in das Referendariat aufzunehmen.

Absenkung Mindeststrafen

Geht es nach dem DJT sollen die Mindeststrafen für Delikte, bei denen die Gerichte im „Normalfall“ auf minder schwere Fälle zurückgreifen, herabgesenkt werden. Auch dies scheint mir eine gute Korrektur. So kann man beispielsweise den Tatbestand des (besonders) schweren Raubes bei Verwendung von gefährlichen Werkzeugen oder Waffen nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB mit einer Mindeststrafe von 5 Jahren(!) nur als verfehlt bezeichnen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass dieses Delikt häufig zumindest mit einem gefährlichen Werkzeug ausgeführt werden und so selbst dem Ersttäter eine fünfjährige Freiheitsstrafe droht, sofern kein minder schwerer Fall angenommen wird.

Regelbeispiele statt unbenannter besonders schwerer Fälle

Unbenannte besonders schwere Fälle sollen nach dem DJT durch Regelbeispiele ersetzt werden. Dies schränkt die Gerichte dahingehend ein, dass sie keine unbenannten besonders schweren Fälle mehr annehmen können. Dies kann man vor dem Hintergrund des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebots begrüßen, es stellt sich aber auch die Frage, ob es nicht Fälle gibt, die nicht im Gesetz stehen, aber die Annahme eines besonders schweren Falles rechtfertigen.

Genau das ist ja auch der Grundgedanke von Regelbeispielen. Interessant wäre vor diesem Hintergrund mal eine Statistik, wie oft Gerichte überhaupt unbenannte besonders schwere Fälle annehmen oder bei Vorliegen eines benannten Regelbeispiels davon abweichen. Würde dabei rauskommen, dass die Gerichte von dieser Möglichkeit ohnehin kaum oder keinen Gebrauch machen, wäre das sicherlich ein Argument für die Abschaffung dieser Flexibilität.

Abschaffung der zwingend lebenslangen Freiheitsstrafe beim Mord

Zumindest alle Praktiker dürften sich einig sein, dass die zwingend lebenslange Freiheitsstrafe beim Mord nicht sachgerecht ist. Seit Jahrzehnten wird über die Reform diskutiert. Ob wir die noch erleben, steht in den Sternen…

Abschaffung des § 354 Abs. 1a StPO

Nach dem DJT soll § 354 Abs. 1a StPO, wonach das Revisionsgericht wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen kann, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist, abgeschafft werden, weil Strafzumessung nicht nach Aktenlage erfolgen könne und § 354 Abs. 1a StPO systemfremd sei. Dies stellt nach meiner Meinung eine positive Entwicklung hin zu einem gerechteren Strafzumessungsrecht dar.

Fazit

Ob die Änderungswünsche des DJT von der Politik aufgenommen werden, ist eine andere Frage; es finden sich aber jedenfalls interessante und gute Vorschläge, die zumindest diskussionswürdig sind. Einige andere Vorschläge würden hingegen kaum Auswirkungen auf die strafrechtliche Praxis haben.

Kann jeder

Nachdem mein Mandant in einer Strafsache freigesprochen wurde, geht es vor Gericht nun um die Frage, welche Anwaltskosten angemessen sind. Hier lehnt sich die Vertreterin der Staatskasse wortgewaltig aus dem Fenster, denn sie hält meine Tätigkeit eher für Pipifax:

Um einen Einspruch mit dem Hinweis zu formulieren, dass die falsche Person „Opfer“ des Strafbefehls wurde, bedarf es zumindest nicht eines abgeschlossenen Jurastudiums.

Ich finde das schon fast ein wenig makaber. Wenn man bedenkt, dass ein Staatsanwalt offensichtlich rein gar nichts gepeilt und ein Richter das groteske Ergebnis auch noch mit seiner Unterschrift unter den Strafbefehl abgesegnet hat. Da läge doch umgekehrt die Frage viel näher, für was so ein Jurastudium denn eigentlich gut sein soll bzw. sollte.

So eine Überheblichkeit macht sich gerade im Kontext klaren Behördenversagens, das für meinen Mandanten fast in einer empfindlichen Vorstrafe gemündet wäre, gar nicht gut. Das sieht das Gericht aber immerhin ähnlich, denn meine Gebühren wurden antragsgemäß bewilligt. Dagegen schäumt die Vertreterin der Staatskasse nun mit ihrer Beschwerde an.

Krasser Eigenbedarf

Wenn man Marihuana im Kilobereich besitzt, ist der Vorwurf des Drogenhandels regelmäßig nicht fern. Solche Mengen kann man nämlich kaum selbst aufrauchen, weil das Zeug ja irgendwann auch schlecht wird. Einem Mann ist es aber ausgerechnet in Bayern gelungen, das Strafgericht davon zu überzeugen, dass er riesige Mengen Marihuana nur für sich selbst braucht.

Insgesamt ging es um knapp viereinhalb Kilo Marihuana, die bei dem Mann zu Hause gefunden wurden. Vor Gericht sagte der 59-Jährige, er habe als Schüler mit dem Kiffen angefangen, weil er es nur so im Internat ausgehalten habe. Schnell habe er 15 g pro Tag (rund 500 Gramm im Monat) konsumiert, und das sei bis heute so geblieben. Seit dem 18. Lebensjahr baue er auch selbst an. Er leide unter den Folgen eines Wirbelbruchs, habe aber eine Verschreibung von Cannabis nicht erreichen können. In Deutschland war der Mann bislang nicht aufgefallen. Allerdings hatte er in Griechenland eine zehnjährige Freiheitsstrafe wegen Drogenschmuggels bekommen; vier Jahre musste er absitzen.

Ein medizinischer Sachverständiger sagte vor dem Amtsgericht München, die Haaranalyse des Angeklagten habe die höchsten Werte ergeben, die ihm in seiner weit über 20-jährigen Tätigkeit untergekommen seien. Die Konzentration sei so hoch, dass sie gut zu den Angaben des Angeklagten passen.

Also doch kein Drogenhandel, das eröffnete dem Amtsgericht München die Möglichkeit zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Das Gericht hielt dem Angeklagten auch zu Gute, dass er sozial integriert ist. Er vermietet Ferienwohnungen. Aufgeflogen war der Mann übrigens, weil Gäste in seiner Wohnanlage Cannabis-Duft wahrnahmen. Den Gästen soll er gesagt haben, das sei doch gut, dann würden die Kinder besser schlafen.

Mittlerweile will der Mann den Konsum komplett eingestellt haben. Das wies er laut dem Urteil auch durch medizinische Tests nach, was ihm sicher auch wichtige Pluspunkte brachte.

Aus meiner Sicht kann man auch dem Verteidiger des Angeklagten gratulieren, dass die Geschichte offenbar so glaubwürdig rüberkam. Denn selbst wenn sie stimmen sollte, war ja deswegen noch keiner gezwungen, sie auch zu glauben. (Aktenzeichen 1118 Ls 368 Js 139119/18).