„Geständige Einlassung“

Heute begann vor dem Landgericht Verden der Prozess gegen den früheren Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy. Lange gedauert hat der Auftakt nicht, wie Spiegel Online berichtet. Es gibt wohl Streit darüber, ob das Verfahren gegen eine Geldauflage einstellt werden kann. Die Staatsanwaltschaft fährt hier laut den Berichten einen Verweigerungskurs.

Dabei hatte schon das Landgericht Verden, vor dem der Fall wegen seiner „besonderen Bedeutung“ verhandelt wird, im Vorfeld darauf hingewiesen, dass die Sache eine abgewogene Betrachtung verdient. Selbst für den Fall, dass man Straftaten nachweisen könne, halte sich die Zahl der Fälle doch eher im unteren Bereich und es sei keine sonderlich hohe Strafe zu erwarten. Das klingt nicht so, als wäre mit dem Gericht eine Einstellung nicht zu machen.

Allerdings scheint die Staatsanwaltschaft Hannover von Edathy hierfür ein Schuldbekenntnis zu erwarten. Der zuständige Anklagevertreter soll heute eine „geständige Einlassung“ von Edathy gefordert haben. Das ist nichts Ungewöhnliches, sondern ein Reflex, dem Anklagevertreter leider gerne folgen. Die Karten auf den Tisch legen, Reue zeigen – das wird häufig zur Bedingung für eine Einstellung gemacht.

Allerdings muss man festhalten: Das Gesetz kennt diese Verknüpfung nicht. Eine Einstellung nach § 153a Strafprozessordnung setzt lediglich voraus, dass die Schwere der Schuld nicht entgegensteht und eine (Geld-)Auflage geeignet ist, das Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen. Die Schuld des Angeklagten wird aber nach Aktenlage bewertet. Ein Geständnis oder gar Reue sind hierfür keine Voraussetzung. Wer als Staatsanwalt aber genau das verlangt und sozusagen ein zusätzliches Kriterium schafft, setzt sich auch ein bisschen über das Gesetz hinweg.

Bulletin Board vom 19.02.2015

+++ Der Düsseldorfer Streit um Zigarettenqualm, der ins Treppenhaus und Nachbarwohnungen zieht, geht weiter. Der Bundesgerichtshof hob ein Urteil des Landgerichts Düsseldorf auf, das einen starken Raucher zur Wohnungsräumung verurteilte. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs ist das Urteil fehlerhaft, unter anderem weil sich die Richter gar nicht vor Ort überzeugt haben, ob der Rauch die anderen Bewohner wirklich unzumutbar belästigt. +++

+++ In Schweden gibt es kein besonderes Haftrecht für Jugendliche. Ein Bericht des schwedischen Kinder-Ombudsmanns rügt nun die damit verbundene Isolationshaft als Verstoß gegen die Menschenrechte. +++

+++ Bis zu 30 Menschen soll ein Krankenpfleger im Klinikum Delmenhorst getötet haben. Er spritzte ihnen laut Anklage ein Herzmittel und reanimierte sie dann. Was allerdings oft erfolglos blieb. Die „Rettungsaktionen“ hätten ihm ein gutes Gefühl vermittelt, sagte er in seiner ersten Stellungnahme vor Gericht. +++

+++ BGH-Richter Thomas Fischer erklärt in seiner aktuellen ZEIT-Kolumne, warum der Staat seine Bürger nicht töten darf. +++

+++ Das Bundesarbeitsgericht hat sich zur Frage geäußert, ob und in welchem Umfang Arbeitgeber ihren Angestellten nachspionieren dürfen. Es ging um Videoaufnahmen, die ein Arbeitgeber von einem Detektiv anfertigen ließ, weil er nicht an eine Erkrankung der Mitarbeiterin glaubte. +++

Der Richter und sein Bierkrug

Auch Richter sind nur Menschen. Wie ein Vorfall auf der traditionellen Karnevalsparty der Saarbrücker Staatsanwaltschaft zeigt. Dort soll ein Amtsrichter vor einer Woche einen Wachtmeister mit einem Bierkrug ins Gesicht geschlagen und dem Mann ein Schädeltrauma zugefügt haben.

Auslöser soll eine Frau gewesen sein, die als Biene verkleidet war. Da kam es – womöglich alkoholbedingt – wohl zu einer Verwechslung, die den Richter zu einer Tätlichkeit verführte. Die Hintergründe sind allerdings noch unklar, wie SRonline.de berichtet. Der Richter, der auch für Strafsachen zuständig ist und wohl schon mal eine Leitungsfunktion in der örtlichen Justizvollzugsanstalt hatte, sieht sich nun mit Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung und einem Disziplinarverfahren konfrontiert.

Ich wette mal darauf, dass auch die mutmaßlich hohe Dichte von Volljuristen nicht dazu führt, übermäßig genaue Angaben über den Hergang zu bekommen. Auch hier wird der eine vermutlich A, der andere B erzählen – und diverse Zeugen was ganz anderes. Also wie immer. Interessant wird aber, ob der Richter ebenso behandelt wird wie jeder andere. Eine Blutprobe soll die Polizei schon mal unterlassen haben.

Der Kollege Thomas Will weiß weitere Einzelheiten. Er hat öfter mit dem Richter zu tun.

Bulletin Board

+++ Urheberrecht: Buch“autoren“ kriegen Ärger mit Nutzern, weil sie zahlreiche Beiträge aus einer Facebook-Gruppe verwursten. +++

+++ Jurastudenten fordern gern die Todesstrafe. Ein Interview. +++

+++ Kosten für Katzen- oder Hundesitter können steuerlich abzugsfähig sein. Das Finanzgericht Düsseldorf betrachtet die Aufwendungen für „haushaltsnahe Dienstleistungen“, ebenso wie die Kosten für eine Reinigungskraft (Aktenzeichen 15 K 1779/14 E). +++

+++ Urteil wegen des Augsburger Polizistenmordes ist rechtskräftig: Der Bundesgerichtshof wies die Revision eines der Täter zurück. Gegen den anderen Verdächtigen ist der Prozess noch nicht zu Ende. +++

+++ Die Adler-Bekleidungsmärkte dürfen weiter von ihren Kunden Altkleider sammeln, auch die fremder Hersteller. Die Behörden wollten Adler nur erlauben, eigene Textilien zurückzunehmen, weil die öffentlichen Abfallbetriebe deswegen Umsatzausfälle haben. Das Verwaltungsgericht Würzburg erlaubt Adler aber die Rücknahme aller Altkleider. Adler verhalte sich „produktverantwortlich“ und umweltfreundlich (Aktenzeichen (W 4 K 13.1015). +++

+++ Dürfen AU-Bescheinigungen zurückdatiert werden? +++

Leichenfotos sorgen für Ermittlungen

Die Polizei in Mönchengladbach ermittelt gegen einen 15-Jährigen, der vor einigen Tagen eine Leiche gefunden, den Toten fotografiert und die Bilder dann per What’s App an Freunde verschickt hat. Einzelheiten schildert der WDR.

Es stellt sich natürlich die Frage, weswegen da eigentlich ermittelt wird.

Für eine „Störung der Totenruhe“ reicht ein Foto jedenfalls nicht aus, denn von „beschimpfendem Unfug“, wie ihn das Gesetz fordert, kann nicht Rede sein. Überdies dürfte dem Jungen ja auch jeder Vorsatz in dieser Richtung gefehlt haben.

Was sich auch daraus ergibt, dass der Betroffene sagt, die Situation habe ihn überfordert. Er habe deshalb Freunde angesprochen und ihnen die Bilder geschickt. Dass diese dann möglicherweise die Bilder (ohne sein Einverständnis) auf Facebook verbreitet haben, kann ihm wohl kaum angelastet werden.

In Betracht kommt ein Verstoß gegen §§ 22, 33 Kunsturheberrechtsgesetz. Danach ist es – auch bei Verstorbenen – verboten, deren Bildnis öffentlich zu verbreiten oder zur Schau zu stellen. Die Frage ist da natürlich zunächst, ob der Tote auf den Fotos überhaupt erkennbar war. Aber selbst wenn, liegt noch nicht unbedingt ein „Verbreiten“ vor, da der Betroffene die Fotos nur an einen kleinen Kreis geschickt haben soll. Das reicht aber normalerweise nicht für ein „Verbreiten“ (d.h. an einen unüberschaubaren Personenkreis), zumal es sich ja bei den What’s-App-Nachrichten um individuelle Kommunikation gehandelt haben dürften.

Bei den Verbreitern, die Fotos auf Facebook gestellt haben, sieht es da schon ein wenig anders aus. Je nach Öffentlichkeit des jeweiligen Profils kann man da eher von einem Verbreiten ausgehen.

Außerdem haben die Betreffenden natürlich auch das Urheberrecht verletzt. Aber dieses steht ja dem Fotografen zu, also dem 15-Jährigen. Es dürfte eher unwahrscheinlich sein, dass dieser einen Strafantrag stellt und ein Fotografenhonorar in Rechnung stellt. Ein öffentliches Interesse an einer Verfolgung der Urheberrechtsverletzung wird die Staatsanwaltschaft höchstens bejahen können, wenn sie gewillt wäre, das Urheberrecht als Mittel sozialer Disziplinierung zweckzuentfremden.

Nachtrag:Der Text wurde nachträglich geändert.

iPod oder iPhone?

Ist ein iPod ein Mobiltelefon? Diese Frage kann eine Rolle spielen, wenn mit dem iPod während der Fahrt hantiert wird. Das Amtsgericht Waldbröl hat auf diese Frage eine klare Antwort.

Nein.

Aus der Begründung des Gerichts:

Der Begriff des Mobiltelefons ist nicht gesetzlich definiert. Unter Mobiltelefon versteht man ein tragbares Telefon, das über Funk mit dem Telefonnetz kommuniziert und daher ortsunabhängig eingesetzt werden kann. Damit fallen Geräte wie das iPod, mit denen man nur über eine Internetverbindung ggf. telefonieren kann, nicht unter den Begriff des Mobiltelefons

Die Bußgeldvorschrift für die unbefugte Benutzung eines Handys am Steuer will das Gericht auch nicht entsprechend anwenden. Dies verstoße gegen das verfassungsrechtliche Analogieverbot.

Polizeibeamte müssen also scharfe Augen haben und Apple-Produkte auseinanderhalten können. Jedenfalls in den gar nicht so seltenen Fällen, in denen Betroffene nicht an Ort und Stelle angehalten werden (Aktenzeichen 44 OWI-225 Js 1055/14-121/14).

RA Detlef Burhoff zum gleichen Thema

Bulletin Board

+++ Der Präsident des Verfassungsschutzes stört sich daran, dass Bürger ihre Daten verschlüsseln. Ich störe mich daran, dass der Präsident des Verfassungsschutzs die Verfassung nicht schützt, sondern sie kaputtredet. +++

+++ Seitdem Apple iPhones mit Kill Switch ausliefert, sinkt die Rate geklauter Handys. In San Francisco sollen im letzten Jahr 40 Prozent weniger iPhones entwendet worden sein, in New York 25 Prozent. +++

+++ Der Hersteller des Früchtequarks Monsterbacke darf weiter mit dem Slogan „So wichtig wie das tägliche Glas Milch!“ werben. Die Werbung verstößt nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht gegen die Health-Claim-Verordnung der EU. (Aktenzeichen I ZR 36/11). +++

+++ Die Stiftung Warentest muss im Zeitschriftenranking auf ein knappes „ausreichend“ abgewertet werden. Das aktuelle Heft wird nicht weiter verkauft, weil der Test von E-Mail-Anbietern fehlerhaft ist. +++

+++ Der Kapitän des vor drei Jahren havarierten Kreuzfahrtschiffes Consta Concardia ist in Italien zu 16 Jahren Haft verurteilt worden. Das Gericht lehnte aber eine sofortige Inhaftierung mangels Fluchtgefahr ab. Francesco Schettino kann noch Rechtsmittel einlegen. Bei dem Unglück starben 32 Menschen. +++

Juristisch bedeutsamer Körperkontakt

Nicht jede Vorschrift ist auch eine Vorschrift. Das kann man aus einem Urteil des Verwaltungsgerichts Gera lernen. Die Richter mussten die Frage entscheiden, ob ein Bürgermeister bei der Verpflichtung neuer Gemeinderatsmitglieder den Neuen auch die Hand schütteln muss.

Genau das hatte der Greizer Bürgermeister verweigert. Er fand es nicht gut, dass die Greizer auch einen NPD-Mann in den Stadtrat gewählt haben. Dennoch musste der Bürgermeister diesen entsprechend der Kommunalordnung auf sein Amt verpflichten. Dabei war der Bürgermeister aber nicht bereit, dem rechten Politiker die Hand zu geben.

Das kann man als politische Geste werten. Allerdings geht es nicht nur um guten Willen, sondern auch um Paragrafen. Brisanz gewinnt der Fall nämlich daraus, dass die Thüringer Kommunalordnung dem Körperkontakt juristische Bedeutung zumisst. So heißt es in § 24:

Die Gemeinderatsmitglieder sind in der ersten nach ihrer Wahl stattfindenden öffentlichen Sitzung des Gemeinderats vom Bürgermeister auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Pflichten durch Handschlag zu verpflichten. Verweigert ein Gemeinderatsmitglied die Verpflichtung, so verliert es sein Amt.

Das Verwaltungsgericht Gera musste den Fall jetzt klären und kam zu folgendem Ergebnis:

Die Thüringer Kommunalordnung knüpft an den gesetzlich vorgesehenen Handschlag keinerlei Rechtsfolgen. Insbesondere ist der Status als Mitglied des Stadtrats bei Vornahme der Verpflichtung bereits begründet. Der Handschlag ist daher nur ein symbolischer Akt, ohne dass ihm nach der Konzeption des Gesetzes eine konstitutive bzw. rechtliche Wirkung zukommt.

Folglich gehen mit dem verweigerten Handschlag keine Rechtsnachteile für den Kläger einher, die gegebenenfalls einen Rechtsanspruch hätten begründen können. Der Handschlag ist damit ein bloßer Bestandteil eines feierlichen Akts und damit eine gesetzlich geregelte Umgangsform, die rechtlich nicht durchsetzbar ist.

Diese Auslegung der Vorschrift ist jedenfalls nicht zwingend. Immerhin steht im Gesetz, dass die Verpflichtung „durch“ den Handschlag erfolgt. Dieser ist also gerade kein unwichtiges Beiwerk, sondern sozusagen genau die Geste, an der sich die Verpflichtung dokumentiert. Bei dem doch recht klaren Wortlaut halte ich es schon für gewagt, den Handschlag auf eine „gesetzlich geregelte Umgangsform“ zu reduzieren.

Anders gefragt: Seit wann finden sich in unseren Gesetzen unverbindliche Regeln für den höflichen Umgang miteinander? Und zugespitzt: Aus welcher gesetzlichen Grundlage ergibt sich die Kompetenz des Landes Thüringen, dem Knigge Konkurrenz zu machen?

Ohne dass mir die NPD in irgendeiner Form sympathisch wäre, hege ich eine starke Vermutung: Hätte der Neuling im Stadtrat dem Bürgermeister nicht die Hand gegeben, wäre die Entscheidung anders ausgefallen. Dann wäre es vermutlich sehr schnell dazu gekommen, den NPD-Mann auf den Wortlaut festzunageln („Verweigert ein Gemeideratsmitglied die Verpfichtung…“) und ihn unter konsequenter Anwendung der Vorschriften seines Amtes für verlustig zu erklären.

Aktenzeichen 2 K 570/14 Ge

Bulletin Board

+++ Die EU schafft Richtlinien, damit Verkehrssünder grenzüberschreitend zur Kasse gebeten werden können. Die Mitgliedsländer sollen künftig auf einheitlicher Grundlage Halterdaten innerhalb der EU übermitteln. +++

+++ Das Landgericht Berlin stoppt in der Stadt den Fahrdienst Uber. Geklagt hatte ein Taxifahrer, der das Geschäftsmodell für unzulässig hält. Laut dem Landgericht überschreitet Uber die gesetzlichen Möglichkeiten für Mietwagenanbieter (Aktenzeichen 101 O 125/14). +++

+++ Wer Software für Kassenmanipulation herstellt, haftet nach einem Beschluss des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz für den Steuerschaden. Der Geschäftsführer einer Softwarefirma muss für 1,6 Millionen Euro Steuern gerade stehen, die ein Eisdielenbesitzer mit Hilfe der Software hinterzogen hat (Aktenzeichen 5 V 2068/14). +++

+++ Der Bundesgerichtshof legt keinen gesteigerten Wert auf Transparenz bei der Abrechnung von Lebensversicherungen. Das Gericht wies die Klage eines Rentners ab, der sich bei der Berechnung der Bewertungsreserven übervorteilt fühlte (Aktenzeichen IV ZR 213/14). +++

Keinen Narren zum Mandanten

Ich würde mal sagen: Glück gehabt. Damit meine ich ein Strafurteil, das ein früherer Rechtsanwalt aus dem hessischen Langen Anfang der Woche kassierte. Der Strafverteidiger hatte eingeräumt, dass er einen inhaftierten Mandanten mit Drogen versorgt hat, die dieser wiederum zum großen Teil im Knast vertickte.

Das Gericht nahm dem Juristen einiges ab, wenn man diesem Prozessbericht glauben darf. Danach hatte sich zwischen dem Anwalt und seinem Mandanten über die Jahre ein „freundschaftliches Verhältnis“ entwickelt. Der Anwalt glaubte nach eigenen Angaben quasi an ein gutes Werk, als er seinem Auftraggeber Drogen in den Knast mitbrachte. Dabei profitierte er davon, dass Verteidiger normalerweise nicht intensiv kontrolliert werden.

Die Tränen, die der Mandant in der Haft vergoss, sollen den Anwalt erweicht haben, die Ersatzdroge Subutex und Haschisch einzuschmuggeln. Obwohl der angeklagte Anwalt seine eigene finanzielle Situation als desolat schilderte, glaubte ihm das Gericht, dass er selbst keinerlei finanzielle Vorteile an dem Geschäft hatte. Die zu schmuggelnden Drogen sollen ihm „Dritte“ in den Briefkasten geworfen haben.

Das Gericht berücksichtigte es laut dem Bericht offensichtlich unter anderem zu Gunsten des Angeklagten, dass er sich wegen gescheiterter Investments in finanzieller Not befand. Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie unterschiedlich sich Sachverhalte bewerten lassen. Gerade dieser Umstand hätte anderen Richtern wohl eher als Indiz dafür gedient, dass die Interessen des Juristen kaum so uneigennützig gewesen sein dürften, wie er es darstellte.

Zumal sich an dieser Stelle einige Fragen aufgedrängt hätten. Wer waren denn diese Dritten? Waren auch sie so gute Freunde des Angeklagten? Oder hat dieser sie bezahlt? Und wenn ja, wie hat er das aus der Haft heraus organisiert.

Man sieht, die entlastenden Angaben hätten auch unschwer in ihr Gegenteil verkehrt werden können. Dann hätte sogar Handeltreiben mit Betäubungsmitteln im Raum gestanden. Und nicht „nur“ die Beihilfe, wegen der der Jurist verurteilt wurde. Unter dem Strich gab es eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten.

Eins kann man festhalten, auch ohne dabei gewesen zu sein: Dieser Jurist hatte ausnahmsweise keinen Narren zum Mandanten, als er sich selbst verteidigte. Darauf muss er seine Tätigkeit allerdings künftig ohnehin beschränken. Seine Zulassung als Anwalt hat er freiwillig zurückgegeben.

Kleine Verwechslung

Heute kam das Urteils in einer Strafsache:

Der Angeklagte wird wegen Freiheitsentziehung in 2 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten verurteilt.

Schon in der mündlichen Urteilsbegründung vor einigen Wochen hatte der Richter von „Freiheitsentziehung“ gesprochen. Ich hielt das da noch für eine Freud’sche Fehlleistung beim Verlesen der Urteilsformel. Aber anscheinend hat der Richter tatsächlich nicht sonderlich intensiv ins Gesetz geguckt, bevor er seine Entscheidung niederschrieb.

Den Straftatbestand der Freiheitsentziehung gibt es nicht. Er heißt Freiheitsberaubung.

Ganz so harmlos sind Fehler in der sogenannten Urteilsformel nicht. Diese Formel, also der eigentliche Urteilsspruch, muss der Richter deshalb auch vor ihrer Verlesung schriftlich fixieren. Die Urteilsformel ist dann Grundlage für die Vollstreckung der Strafe.

Na ja, große Auswirkungen wird es aber nicht haben. Denn bevor mein Mandant in den Knast muss, wird es ein weiteres Urteil geben. Das der Berufungsinstanz. Ich hoffe doch sehr, dass die Strafe dann nicht über zwei Jahren liegt und somit noch zur Bewährung ausgesetzt werden kann.

„Unverlangte Werbung“

Für Verwirrung sorgt derzeit ein Urteil des Amtsgerichts Pankow-Weißensee. In der Entscheidung geht es um die Frage, ob schon die Bestätigungsmail über die Eröffnung eines Online-Kundenkontos unzulässige Werbung ist. Das Gericht bejaht dies im Kern und könnte Online-Händler damit vor eine fast unlösbare Aufgabe stellen.

Der Vorgang war banal: Ein Händler bestätigte einem Gewerbetreibenden per Mail die Eröffnung eines Kundenkontos. So was kommt Tag für Tag tausendfach vor. Allerdings beteuerte der Gewerbetreibende, dass er sich gar nicht angemeldet hatte. Er empfand die Bestätigung deshalb als unverlangte Werbung und wehrte sich gerichtlich.

Das Amtsgericht Pankow-Weißensee stuft zunächst jede unverlangte Kontaktaufnahme per Mail durch ein Unternehmen als unzulässige Werbung ein. Eine Ausnahme gelte nur, wenn der Kunde die Mail selbst veranlasst habe – etwa durch Anlage eines Kundenkontos.

Das führt aber zwangsläufig zu der Frage, wie es um „Werbe“-Mails steht, die Unternehmen genau mit der Absicht versenden, Empfängern keine unerlaubte Werbung zukommen zu lassen. Auch das ist längst gängige Praxis: Hinterlegt jemand in einem Webshop Kundendaten oder macht eine Bestellung, schickt der Shop eine Bestätigungsmail mit dem Hinweis an die angegebene E-Mail-Adresse, dass der Kunde einen mitgeschickten Link anklicken muss. Hierdurch wird verifiziert, dass der Inhaber des E-Mail-Accounts auch tatsächlich was bestellen oder ein Kundenkonto eröffnen möchte.

Dieser an sich sinnvolle Missbrauchsschutz wird allerdings für Online-Anbieter riskant, wenn schon die Bestätigungsmail mit der Bitte um Verifizierung als unzulässig eingestuft wird. Jede missbräuchliche Verwendung des betreffenden E-Mail-Accounts ginge dann zu Lasten der Firma, die mit der einmaligen Mail diesen Missbrauch gerade verhindern will.

In letzter Konsequenz könnte das bedeuten, dass Online-Händler den Kundenaccount per Postbrief verifizieren müssen. Wobei man aber auch darüber streiten kann, ob unverlangte Werbung per Post überhaupt noch zulässig ist. Jedenfalls würde das Prozedere aber dauern mit der Folge, dass Kunden länger auf ihre Bestellung oder die Dienstleistung warten müssen.

Die IT-Recht Kanzlei aus München empfiehlt als Erste Hilfe, die erste Bestätigungsmail möglichst sachlich und nüchtern zu halten, damit es jedenfalls schwer ist, von „Werbung“ zu sprechen. Ob das gegen die Trittbrettfahrer hilft, die wohl unweigerlich auf den anrollenden Abmahnzug aufspringen, wird sich zeigen.

Mehr Informationen bei golem.de

Mit allem einverstanden

Wer bei einem Online-Gewinnspiel mitmacht, muss beziehungsweise soll sich oft mit Werbung einverstanden erklären. Das Landgericht Frankfurt hat jetzt entschieden, dass hierbei transparent dargestellt werden muss, für welche Firmen die Einwilligung gilt.

Eine Frankfurter Marketingfirma hatte die Teilnahme an einem Gewinnspiel davon abhängig gemacht, dass der Nutzer damit einverstanden ist, dass ihn „einige“ Sponsoren und Kooperationspartner am Telefon, per Post, E-Mail oder SMS über ihre Angebote informieren. Tatsächlich handelte es sich um 30 Firmen. Das war aber erst ersichtlich, wenn der Nutzer einen gesonderten Informationslink klickte.

Eine wirksame Einwilligung für Werbung setzt nach Auffassung des Gerichts aber voraus, dass dem Kunden der Umfang klar wird, ohne dass er sich durch Extraseiten klicken muss. Aus diesem Grund wurde auch eine Klausel für unwirksam erklärt, in der die Nutzer pauschal einer Analyse ihres Surfverhaltens zustimmten. Geklagt hatte der Verbraucherzentrale Bundesverband (Link zum Urteil).

Charlie waren wir gestern

Bis vor kurzem waren wir alle Charlie. Aber da ging es ja auch um Künstler, die ihren Spott über böse Islamisten ergossen. Und nicht über uns. Selbst angepinkelt zu werden, geht dagegen natürlich entschieden zu weit, Meinungsfreiheit hin, Kunstfreiheit her.

Ein Beispiel dafür liefert jetzt der Berliner Senat. Von diesem lassen sich unschwer Mitglieder googeln, die wortreich für die Freiheit der Satire (in französischer Sprache) auf die verbalen Barrikaden gegangen sind. In eigener Sache greift der Berliner Senat aber ganz anders zur Tat. Natürlich nicht mit Maschinengewehren, sondern mit juristischem Geschütz.

Der Senat und ein Sportpropagandist haben das Blog Metronaut mit unverschämt kurzer Frist wegen einer Satire zur Berliner Olympia-Bewerbung abgemahnt.

Metronaut stellt mit dem beanstandeten Beitrag einen historischen Kontext her und prangert, nun ja, eine gewisse Hybris an. Der Bezug gelingt durch die Wahl eindeutiger Bildmotive zu den letzten Olympischen Spielen, die in der Stadt zu einer Zeit stattfanden, in der man wegen so eines Artikels wahrscheinlich weit mehr hätte fürchten müssen als ein Anwaltsschreiben.

Das, also sowohl die Verhältnisse zur Nazizeit als auch die Chuzpe, heute mit so was zu kommen, kann man vor allem als Angesprochener selbstverständlich deplatziert und geschmacklos finden. Aber aushalten sollte man es vielleicht schon. Zumal man als Volksvertreter im Namen von uns, den kleinen Charlies handelt, zumindest von jenen mit Wohnsitz in Berlin.

Es wir spannend sein zu beobachten, wie der Berliner Senat die Sache juristisch eskaliert. Ausgemacht ist sein Sieg jedenfalls nicht, wie der Medienanwalt Markus Kompa fachkundig und unter olympiareifer Ausreizung aller bekannten Sportmetaphern bei Telepolis erlärt.

Freisprüche zweiter Klasse

Ein Freispruch ist ein Freispruch. An sich. Leider hat sich bei uns mittlerweile der Freispruch zweiter Klasse etabliert. Darin bringen Gerichte gern zum Ausdruck, dass sie den Angeklagten für schuldig halten – es aber letztlich nicht beweisen können. Dieser Rechtsprechung tritt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nun entgegen.

Ein Mann aus Münster war angeklagt, seine Tochter sexuell missbraucht zu haben. Nach umfangreicher Beweisaufnahme kam das Landgericht Münster zu einem Freispruch. Gleichzeitig hieß es aber im Urteil:

So geht die Kammer im Ergebnis davon aus, dass das von der Zeugin geschilderte Kerngeschehen einen realen Hintergrund hat, nämlich dass es tatsächlich zu sexuellen Übergriffen des Angeklagten zu Lasten seiner Tochter in seinem Auto gekommen ist. Die Taten ließen sich aber dennoch weder ihrer Intensität noch ihrer zeitlichen Einordnung nach in einer für eine Verurteilung hinreichenden Art und Weise konkretisieren. Die Inkonstanzen in den Aussagen der Zeugin waren so gravierend, dass konkrete Feststellungen nicht getroffen werden konnten.

Diese Verurteilung im Rahmen eines Freispruchs wollte der Betroffene nicht auf sich sitzen lassen. Er prozessierte bis vor das Bundesverfassungsgericht, aber dort nahm man seine Sache nicht mal zur Entscheidung an. In Straßburg fand er nun Gehör.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte weist darauf hin, dass Richter im Urteil zwar darlegen dürfen, welche Umstände für und welche Umstände gegen den Angeklagten sprechen. Aber die Unschuldsvermutung gelte auch für die Richter selbst. Wenn ein Tatnachweis nicht möglich sei, dürfe eine Tat nicht trotzdem als geschehen dargestellt werden.

Der Kläger bekommt eine Entschädigung von insgesamt 10.000 Euro netto.

Link zur Entscheidung