Ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln

Die Generalstaatsanwaltschaft München schreibt in einer Revisionserwiderung:

Es ist allein Aufgabe des Tatrichters, den Sachverhalt festzustellen und die Ergebnisse der Beweisaufnahme zu würdigen. Er hat insoweit ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem Gewissen verantwortlich zu überprüfen, ob er an sich mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Tathergang überzeugen kann oder nicht. Allein in seinen Verantwortungsbereich fällt, mögliche, wenn auch nicht zwingende Folgerungen aus bestimmten Tatsachen zu ziehen und zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen er zu einer bestimmten Überzeugung kommt.

Ich gebe zu, das entspricht der Rolle, die auch der Bundesgerichtshof dem Tatrichter zugesteht. Allerdings umschreibt es auch sehr gut den Kern des Problems mit vielen Strafrichtern – deren fast grenzenlose Freiheit. Die endet nur dort, wo es an der Fähigkeit oder Lust zur Formulierung revisionsfester Urteilsgründe mangelt. Wen wundert es in diesem Zusammenhang, dass in Deutschland ab dem Landgericht aufwärts Zeugenaussagen nicht mal protokolliert werden?

Gesundes Rechtsempfinden

Ich muss heute mal zur Ehrenrettung der Staatsanwaltschaft schreiten. Jedenfalls zur teilweisen. Die Behörde hat sich nämlich einige Male vehement gegen die Strafanzeige einer Ausländerbehörde gestemmt. Das Ausländeramt will meinen Mandanten verurteilt sehen, weil er die eigene Abschiebung nicht hinreichend gefördert habe. Näheres habe ich hier berichtet.

Mehrfach wies die Staatsanwaltschaft das Ausländeramt darauf hin, dass falsche Angaben über die Staatsangehörigkeit nicht nachzuweisen sind. Dass die Botschaft von Sierra Leone sagt, mein Mandant stamme nicht aus Sierra Leone, lasse nicht den Schluss zu, dass der Mann nicht vielleicht doch aus Sierra Leone stamme. Jedenfalls so lange nicht, wie ihn, was ja der Fall ist, kein anderes afrikanisches Land als Staatsbürger „anerkennt“.

Meinem Mandanten könne auch nicht vorgeworfen werden, er habe sich nicht ausreichend um einen Pass gekümmert. Sierra Leone habe ihm einen Pass verweigert. Es sei, so die Staatsanwaltschaft, nicht erkennbar, wie mein Mandant die Verantwortlichen vom Gegenteil überzeugen könne.

Die Ausländerbehörde hat dagegen energisch angeschrieben und, nach Einschaltung der Dienstaufsicht bei der Generalstaatsanwaltschaft, den zuständigen Strafverfolger wohl doch noch so weichgekocht, dass er den Strafbefehl beantragt und die Verantwortung in der Sache an die Gerichte abgeschoben hat.

Neben einer schrägen Argumentation in der Sache bringt das Ausländeramt auch gebetsmühlenartig den Hinweis, die Verfolgung meines Mandanten diene der Generalprävention. Die Sozialkassen würden durch solche Leute wie ihn in erheblichem Maße belastet, dem müsse man durch das Strafrecht einen Riegel vorschieben. (Ob die Sozialkassen besser da stehen, wenn mein Mandant in letzter Konsequenz im Gefängnis sitzt, wird nicht hinterfragt.) Zudem führe die Straffreiheit auch zu fehlender Akzeptanz der deutschen Rechtsordnung. Bei wem, wird nicht gesagt.

Die Behörde scheut sich auch nicht, das gesunde Rechtsempfinden ins Feld zu führen. Den an sich sonst eingängigeren Begriff hat die Verfasserin der Schreiben womöglich doch gescheut.

Nun denn. Die Sach- und Rechtslage ist offenbar nicht einfach. Ich beantrage deshalb zunächst meine Beiordnung als Pflichtverteidiger.

Die letzte Chance

Beschuldigtenvernehmung einer aus Afrika stammenden Frau. Sie wurde in einem Bordell festgenommen; Ausweispapiere hat sie keine. Zitat aus dem Protokoll:

Das glaubt dir doch keiner! Wir geben dir jetzt die letzte Chance uns zu erzählen, wer dir geholfen hat.

Sie hat trotzdem nichts gesagt.

Früherer Beitrag zum Thema

Nichts besseres zu tun?

Da sitzt man also im Auto oder auf einem Mäuerchen, hat das Netbook auf dem Schoß – und wird von Polizisten angesprochen. Sollte die Frage gestellt werden, ob man über fremde (unverschlüsselte) WLANs surft, wäre das vehement zu bestreiten. Denn ansonsten – hat die Polizei eigentlich nichts anderes zu tun? – droht tatsächlich juristische Ungemach. Bis zur Hausdurchsuchung.

Über so einen Fall berichtet der Kollege Jens Ferner auf seiner Seite schwarz-surfen.de. Weil ein mit Notebook angetroffener Autofahrer bei seiner späteren Vernehmung auf der Polizeiwache nichts Näheres mehr sagen wollte, ließ die Staatsanwaltschaft seine Wohnung durchsuchen. Sein Notebook wurde beschlagnahmt und wird nun ausgelesen.

Selbst wenn man, unter erheblichen juristischen Klimm- und Winkelzügen, das „Schwarzsurfen“ für strafbar hält, fällt am geschilderten Fall eines auf: Es konnte noch nicht einmal festgestellt werden, welches WLAN der vermeintliche Schwarzsurfer überhaupt genutzt hat. Gibt es nicht die Möglichkeit, dass der eine oder andere WLAN-Betreiber sein Netz absichtlich für Mitbenutzer öffnet? Oder es ihm schlicht egal ist, ob der eine mal über sein WLAN online geht? Dann wird es aber doppelt schwierig, den ohnehin nicht passenden Paragrafen, aus den einzelne Amtsgerichte die Strafbarkeit des Schwarzsurfens ableiten, anzuwenden.

Eine Hausdurchsuchung wegen so eines vagen Vorwurfs ist überdies unverhältnismäßig.

Links 489

Wuppertal: 81-Jähriger drohen um die sechs Jahre Haft

Die Verlage müssen von der (ohnehin schon reduzierten) Mehrwertsteuer befreit werden, Google muss verboten oder zur Zahlung von Lizenzgebühren verpflichtet werden, ARD und ZDF müssen das Internet verlassen, das Zitatrecht muss drastisch eingeschränkt, das kostenlose Anbieten von Informationen untersagt und die Gratis-Kultur im Internet insgesamt vernichtet werden — dann, ja dann könnten die Verlage vielleicht, möglicherweise, wenn das Wetter stimmt, in der Lage sein, auch in Zukunft Qualitätsjournalismus anzubieten, und womöglich sogar im Netz. Sonst können sie für nichts garantieren.

600 Tweets pro Sekunde

Wie der Lufthansa-Streik Fluggästen mehr Rechte bringen kann

AF 447: Eine winzige technische Störung kündigte die Katastrophe an

Die Notbremse ziehen

Man konnte die Rechtslage, wie immer in der Juristerei, so sehen. Oder auch anders.
Ich vermochte eine Strafbarkeit meines Mandanten nicht zu erkennen. Der Richter schon. Insoweit auch nichts Überraschendes. Allerdings wollte es keine Seite auf die Spitze treiben, deshalb redeten wir schnell über eine Einstellung.

200,00 € sollte die Einstellung den Mandanten kosten. Ein Schnäppchen, ach was ein Geschenk des Himmels – im Vergleich zum Risiko einer saftigen Geldstrafe, einer Eintragung im Strafregister und natürlich den absehbaren Verfahrenskosten.

Der Mandant akzeptierte zunächst und zahlte 50,00 €. Dann ließ er es gut sein. Der Richter mahnte mehrmals, dann leierte er das Verfahren wieder an. Der Richter ist, so sagte er mir am Telefon, nach wie vor für die Einstellung zu haben. Sofern der Mandant nachweist, dass er die offenen 150,00 € gezahlt hat. Letzte Gelegenheit: der nun anstehende Verhandlungstermin.

Ich habe nun noch eine Mail geschrieben und dringend dazu geraten, es nun nicht zu überreizen. Immerhin würde allein meine Kostenrechnung für ein Berufungs- und möglicherweise ein Revisionsverfahren doch geringfügig über 150,00 € liegen. Vom absolut ungewissen Ausgang des Verfahrens, die aufgezeigten negativen Folgen inklusive, mal ganz zu schweigen.

Leider bin ich nur begrenzt optimistisch. Aber auch das ist ja ein Aggregatzustand, mit dem man als Anwalt klarzukommen hat.

Weltanschaulich neutral

Kreuze haben nicht in Gerichtssälen zu hängen – das hält Anne-José Paulsen, die Präsidentin des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) in einer „persönlichen Stellungnahme“ fest. Die Gerichtspräsidentin bezieht damit Position in dem aktuellen Streit, der durch die Abschaffung der Kreuze am Düsseldorfer Amts- und Landgericht entstanden ist.

Paulsen räumt einerseits die Bedeutung des Christentums für die abendländische Kultur und für die Werteordnung unserer Gesellschaft ein. Auch deshalb sei das Grundgesetz „im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen“ erlassen worden. Dieselbe Verfassung aber verlange vom Staat und speziell von den Gerichten „sich weltanschaulich neutral zu verhalten“.

Mit diesem Grundsatz sei auch zu erklären, warum weder in den Bundesgerichten (wie etwa dem Bundesverfassungsgericht oder dem Bundesgerichtshof) noch im Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen in den Sitzungssälen Kreuze hängen.

In nur 40 bis 60 von etwa 1.300 Gerichtssälen gibt es Kreuze an den Wänden, bilanziert die OLG- Präsidentin. Bereits vor 40 Jahren seien alle Kreuze aus den Sitzungssälen der Verwaltungsgerichte und des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen entfernt worden.

Anne-José Paulsen, verweist darauf, dass es „gerade auch im Rheinland“ in praktisch keinem Gerichtssaal Kreuze gibt. Weder in der Domstadt Aachen noch am Sitz des Erzbischofs von Köln. Das sei auch nie in den letzten Jahren von der Öffentlichkeit oder der Politik beanstandet worden. (pbd)

Freiwillig

Die Gerichte besinnen sich wieder auf den Richtervorbehalt bei Blutproben. Die Polizei entwickelt naturgemäß Gegenstrategien, schon um sich nicht selbst zu blockieren. Denn zuständige Richter sind vielerorts nachts einfach nicht aufzutreiben. Eine Methode ist die „Freiwilligkeit“. Der Beschuldigte bestätigt mit seiner Unterschrift, dass er die Blutprobe freiwillig abgibt. Das sieht so aus:

An sich sollte man meinen, dass bei so einer Ausgangssituation nur eine eine vorherige langjährige Tätigkeit als Staubsaugervertreter den Weg zur Zustimmung des Beschuldigten ebnet. Denn warum sollte jemand an seiner eigenen Überführung auch noch freiwillig mitwirken, nachdem er es schwarz auf weiß hat, dass er nicht muss und sich damit auch kaum nützen dürfte?

Der mit dem Formular ausgerüstete Polizeibeamte, den ich aus einem ganz anderen Grund angerufen habe, rühmte sich aber beiläufig einer Ja-Sager-Quote von „90 Prozent“. Dazu gehört auch mein Mandant, der jetzt Großartiges von mir erwartet – zum Beispiel, dass ich die ansehnliche Menge Tetrahydrocannabinol samt zugehöriger Metaboliten in seinem Blut wegdiskutiere.

Selbstmord in München

München: In München-Schwabing hat sich ein prominenter Jurist umgebracht. Der Anwalt, der auf umstrittene Abmahnungen im IT-Bereich spezialisiert war, hatte seinen Selbstmord zuvor telefonisch angekündigt. Er erschoss sich unmittelbar nachdem die alarmierte Polizei in seine Wohnung eingedrungen war. Der 61-Jährige war Anfang 2009 unter anderem wegen Betrugs zu 14 Monaten Haft verurteilt worden.

(Quelle: Videotext Bayrischer Rundfunk)

Gericht droht Staatsanwalt mit Zwangshaft

Weil er vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) umfassend die Aussage verweigert hat, muss der ehemalige Vizechef der Wuppertaler Staatsanwaltschaft 300 Euro Ordnungsstrafe zahlen – falls Alfons Grevener dieser Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf nicht folgt, muss er eine zweitägige Erzwingungshaft antreten.

Der PUA untersucht, ob es politische Einflüsse bei den strafrechtlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Wuppertal gegen Harald Friedrich gab, den Ex-Abteilungsleiter des Umweltministeriums. Grevener hatte geltend gemacht, mit seiner Aussage könne er sich eventuell selber strafbar machen. Diese Annahme sei eine durch nichts belegte Vermutung, befand das Gericht. (pbd)

Richter?

Aus einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung:

Die Durchsuchung war rechtswidrig.

Die Rechtswidrigkeit ergibt sich schon aus dem Umstand, dass der Richtervorbehalt nicht beachtet wurde. Die Anordnung von Durchsuchungen ist gemäß § 105 Abs. 1 StPO grundsätzlich dem Richter vorbehalten. Der 3. Februar 2010 war ein Mittwoch. Um 16.20 Uhr hätte problemlos ein richterlicher Beschluss eingeholt werden können. Um diese Zeit ist in …. ein Ermittlungsrichter im Gericht anzutreffen, jedenfalls ist er aber erreichbar. Die Annahme von Gefahr im Verzug, welche ausnahmsweise eine richterliche Anordnung entbehrlich macht, verbietet sich schon aus diesem Grund.

So oft wie ich das so oder ähnlich in den letzten Monaten geschrieben habe, speichere ich es wohl besser mal als Textbaustein.

Resolut mit Rollator

Von einer resoluten, aber auch trotzigen Frau berichtet Aachens Polizei. Die 52-Jährige hat mit einer rollenden Gehhilfe auf dem Amsterdamer Ring für eine halbe Stunde den Verkehr lahmgelegt: „Zig Autofahrer kamen nicht weiter, weil die Frau die Fahrbahn versperrte und dabei sowohl Hupen als auch wütende Proteste der Autofahrer beharrlich ignorierte.“

Zuvor hatte ihr ein Autofahrer aufgrund eines Rückstaus den Weg über den Zebrastreifen versperrt. Dass der Mann sein Auto beim Anblick der Frau mit ihrem Rollator zurücksetzte und den Weg frei machte, stellte die 52-Jährige jedoch nicht zufrieden. Sie fühle sich als Verkehrsteilnehmerin nicht ernstgenommen, erzählte die Frau den alarmierten Polizeibeamten. Deswegen habe sie eine „erzieherische Maßnahme“ für notwendig gehalten.

Die Beamten lösten den Stau auf und zeigten die 52-Jährige an. Sie erwartet jetzt ein Strafverfahren wegen Verdachts der Nötigung. (pbd)