Mit den Augen besitzen

Das Hamburger Oberlandesgericht meint in einem aktuellen Urteil, auch das bloße Anschauen kinderpornografischer Inhalte sei strafbar. Das wurde bisher anders gesehen, denn nach dem Wortlaut des Gesetzes beginnt die Strafbarkeit beim „Besitz“, genau genommen beim Versuch, sich Besitz zu verschaffen.

Ich habe Johannes Boie von der Süddeutschen Zeitung dazu einige Fragen beantwortet und gebe für alle, die es interessiert, ab zur „Schaltzentrale“.

Keine Kreuze mehr im Gerichtsaal

Wenn ich die Rheinische Post richtig verstehe, sind am Düsseldorfer Amts- und Landgericht in diesen Tagen alle Kreuze aus den Sitzungssälen entfernt worden. Auf jeden Fall wird es im Neubau an der Werdener Straße, der Anfang März bezogen wird, keine Kreuze in den Sitzungssälen mehr geben. So berichtet es die WZ und liefert die ergänzende Information, dass es damit fortan in keinem Düsseldorfer Gericht unter dem Kreuz verhandelt wird. Aus Oberlandesgericht, Arbeitsgericht und Verwaltungsgericht soll das christliche Symbol schon länger verschwunden sein.

Ich hatte bislang einen einzigen Mandanten, der sich an einem Kreuz im Sitzungssaal störte; das sagte er mir vor der Verhandlung. Anruf bei der zuständigen Richterin. Die musste erst mal nachschauen, ob in ihrem Stamm-Sitzungssaal überhaupt ein Kreuz an der Wand hängt. Was wohl der Fall war, denn sie rief zurück und gab durch, dass wir nun in einem anderen, kreuzlosen Raum verhandeln werden.

Rüder Ton

Frau N. hat eine Zahlung von der ARGE erhalten. Nur ein paar Euro, und die waren auch nicht für sie bestimmt. Denn Frau N. bezieht gar keine Sozialleistungen. Wie es zu der Zahlung kam? Vermutlich hat ihr früherer Ehemann in seinem Hartz IV-Antrag etwas nicht auf die Reihe gekriegt – und das Konto seiner Ex genannt.

Frau N. sagt, sie hat den kleinen Betrag nicht bemerkt. Umso heftiger ist jetzt das, was die zuständige ARGE veranstaltet. Schon im ersten (!) Schreiben ist davon die Rede, Frau N. habe die „Zuvielzahlung“ (?) bemerken und das Geld unaufgefordert erstatten müssen. Da sie nicht zurücküberwiesen habe, liege „Betrugsvorsatz“ vor. Frau N. müsse deshalb mit einer Strafanzeige rechnen.

Mag ja sein, dass die ARGE meint, im Umgang mit ihren Kunden einen rüden Ton anschlagen zu müssen. Oder zu dürfen. Aber hier hat sie es mit einer unbescholtenen Bürgerin zu tun, die nichts beantragt hat, die ihre Kontonummer nicht genannt und auch den Zahlungseingang nicht bemerkt hat. Und selbst wenn wäre es höchst fraglich, ob jemand von sich aus aktiv werden muss, bloß weil ein Geldbetrag bei ihm eingeht, den er nicht genau zuordnen kann.

Aber damit nicht genug. Die ARGE kündigt auch noch vollmundig an, gegen Frau N. einen „Rückforderungsbescheid“ zu erlassen. Einen Bescheid außerhalb eines Leistungsverhältnisses? Ohne es jetzt (schon) überprüft zu haben, klingt das für mich wie ein ganz normaler Fall der ungerechtfertigten Bereicherung. Dafür ist der Zivilrechtsweg gegeben, und mit Bescheiden ist gar nichts zu machen.

Aber wir werden es vermutlich auch nicht klären müssen. Frau N. möchte das Geld nicht behalten. Sie wird den Kleckerbetrag zurücküberweisen – und noch nicht mal mit den Anwaltsgebühren für die von mir noch zu diktierende verbale Retourkutsche aufrechnen.

Das vollständige Zitat

Der bloggende Richter „Ballmann“ veröffentlicht ein Schreiben von mir an ihn (natürlich ohne zu fragen, ob ich damit einverstanden bin). In dem Brief geht es um einen Beitrag aus dem law blog, den „Ballmann“ auf sein Blog kopiert hat (natürlich ohne zu fragen, ob ich damit einverstanden bin). Dummerweise vergisst der Jurist, der sich jedenfalls hinsichtlich eines Impressums nicht ans Gesetz gebunden fühlt, zu zitieren, an wen mein Fax gerichtet war:

Fax 03… 611
Amtsgericht B…
Herrn Direktor H.-O. …
…platz
3…. B…

Wenn schon, dann doch bitte vollständige Textwiedergabe. (Wobei ich jetzt auch nicht gefragt habe.)

Nachtrag: Das betreffende Blog existiert nicht mehr; ich habe die Adressdetails gelöscht.

Einsprüche powered by Google

Bei Radar- und Videomessungen geht es momentan drunter und drüber. Dürfen Fotos und Filme gegen den Betroffenen als Beweismittel verwendet werden? Hier herrschen Ratlosigkeit, Uneinigkeit und entsprechende Verunsicherung – bei Polizei, Ordnungsämtern, Gerichten und Anwälten.

Ausgelöst hat die Ungewissheit das Bundesverfassungsgericht mit einem aufsehenerregenden Beschluss. Danach haben auch Verkehrssünder Persönlichkeitsrechte. Es bedarf einer – derzeit meist wohl fehlenden – gesetzlichen Ermächtigung, um Tempo- oder sonstige Verkehrsverstöße zu filmen.

Dabei interpretieren mittlerweile viele die Aussage des Bundesverfassungsgerichts so, dass selbst Messungen, bei denen nur derjenige gefilmt oder fotografiert wird, der in diesem Augengblick tatsächlich gegen Verkehrsregeln verstößt, nicht zulässig sind. So etwa das Amtsgericht Wurzen in einem Beschluss vom 22. Oktober 2009.

Manche Gerichte stellen inzwischen alle Tempoverfahren ein, wenn bestimmte Messgeräte verwendet wurden. Es kann natürlich Zufall sein, dass ich ausgerechnet jetzt den ersten Bußgeldbescheid in Händen halte, in dem das Messverfahren nicht mehr ausdrücklich genannt wird. Bislang kenne ich es nur so, dass unter „Beweismittel“ stets das verwendete Gerät nach Hersteller und Typ genannt genannt wird. Der Landkreis Rotenburg (Wümme) schreibt dagegen nur:

Messung mit einem Geschwindigkeitsmessgerät

Ob man damit Einsprüche powered by Google vermeiden möchte?

Deutschsprachiger Anwalt

Sprachkenntnisse sind heute ja das A und O. Peter F., Rechtsanwalt aus Düsseldorf, verfügt über so seltene und damit schwierig zu findende Qualifikationen, dass er damit sogar seinen Briefbogen schmückt:

zweisprachig deutsch/englisch

Die Mädchen kamen gerade aus dem Hallenbad

Aus dem Polizeibericht:

Zwischen 8.45 und 11.15 Uhr kontrollierten Polizisten am Montagvormittag insgesamt neun schulpflichtige Jugendliche, die sie im Isenburgzentrum sowie im Bürgerpark von Sprendlingen antrafen. Rücksprachen mit den Sekretariaten ihrer Schulen ergaben jedoch, dass die fünf „IZ-Besucher“ gerade Freistunden oder sogar schon Schulschluss hatten. Die im Sprendlinger Bürgerpark überprüften vier Mädchen kamen gerade aus dem Hallenbad. Dort hatten sie am Schwimmunterricht teilgenommen und trotteten anschließend zurück in ihre Schule.

(Quelle des Links)

Grenzen für den Mahnterror

Das außergerichtliche Mahnverfahren nutzen viele Unternehmen auch zur psychologischen Kriegsführung. Der Kunde wird mit Schreiben und Kontoauszügen zugeschüttet. Die Briefe enthalten regelmäßig nur Textbausteine und „letzte Fristen“ – auch wenn der Kunde sich gegen die Forderung mit sachlichen Argumenten wehrt. Sobald Inkassobüros eingeschaltet werden, wird es in der Regel noch schlimmer.

Mit Hilfe des Amtsgerichts Düsseldorf wollte der genervte Kunde einer Telefonfirma nun dem Mahnterror entfliehen. Er forderte die Firma auf, auch außergerichtlich nur noch mit seinem Anwalt zu korrespondieren. Das Unternehmen hielt sich nicht dran. Der Kunde beantragte eine einstweilige Verfügung – und verlor.

Das Amtsgericht Düsseldorf hält Mahnungen erst mal grundsätzlich für zulässig:

Grundsätzlich sind Mahnungen der Verfügungsbeklagten von deren berechtigten rechtlichen aber auch wirtschaftlichen Interesse gedeckt und damit nicht zuletzt von ihren Rechten gem. Art. 14 GG.

Mahnungen dienen schon von Gesetzes wegen der Wahrung weiterer Rechte des Gläubigers (vgl. §§ 286, 288, 280 Abs. 2 BGB, 93 ZPO).

Sie haben daneben aber auch den Zweck, Druck auf den Schuldner auszuüben und damit berechtigte Forderungen des Gläubigers durchzusetzen. Dass die Rechtsordnung diesen Aspekt, nämlich im wirtschaftlichen Interesse des Gläubigers durch eine gewisse Hartnäckigkeit Druck auf den Schuldner auszuüben, ergibt sich aus dem Umstand, dass allgemein anerkannt ist, dass der in Verzug befindliche Schuldner in der Regel aus dem Gesichtspunkt des Verzugsschadens Aufwendungen für mehrere Mahnungen zu ersetzen hat.

Festzuhalten ist damit, dass grundsätzlich ein auch hartnäckiges Verfolgen berechtigter Ansprüche im vorgerichtlichen Bereich von den schützenswerten Interessen des Gläubigers gedeckt ist und daher keine Verletzung der Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB und auch keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt.

Aus dem Berufsrecht der Anwälte will das Gericht keine Verpflichtung herleiten, bei Einschaltung eines Anwalts den eigentlich Betroffenen in Ruhe zu lassen. Die Beauftragung eines Anwalts müssen eben nur wiederum Anwälte berücksichtigen. Unter Kollegen ist es verboten, ohne Einverständnis den Mandanten der anderen Seite direkt zu kontaktieren. Allerdings, so das Amtsgericht nachvollziehbar, gelte das eben nicht für Nicht-Anwälte.

Allerdings ist die Entscheidung kein Freibrief für ungehemmtes Mahnen. Denn das Amtsgericht Düsseldorf zeigt gleichzeitig Grenzen auf, bei deren Überschreitung der Kunde Abwehransprüche haben könnte:

Etwas anderes wird dann gelten, wenn vorgerichtliche Maßnahmen ein noch hinzunehmendes Ausmaß übersteigen. Dies wird man bejahen können, wenn über einen Zeitraum von mehreren Wochen wöchentliche Mahnungen oder über einen Zeitraum von mehreren Monaten Mahnungen im 2-Wochen-Rhythmus versandt werden. Nicht hinzunehmen wären auch andere Methoden der Anspruchsverfolgung, z. B. Anschreiben an mit dem Schuldner in Verbindung stehende Dritte mit dem Zweck, den Schuldner zu diskreditieren oder ähnliches.

Der Wochen- bzw. 2-Wochen-Rhythmus könnte durchaus ein praktikabler Aufhänger sein, um nervige Unternehmen zurückzuärgern. Es gibt genug Firmen, die in dichteren Intervallen Post Forderungen anmahnen.

(Amtsgericht Düsseldorf, Urteil vom 06.01.2010 – 58 C 15403/09, via beck-blog)

Total unbrauchbare Atteste vom Amtsarzt

Die Geschichte um den haftunfähigen Hausarzt geht weiter. Der Arzt schuldet meinem Mandanten (und anderen Gläubigern) einen stattlichen Betrag. Urteile liegen vor, doch er zahlt nicht. Die Vollstreckung läuft mühsam. Auch deswegen, weil sich die Gerichtsvollzieherin bislang weigerte, den Arzt zu verhaften, bis er die eidesstattliche Versicherung (Offenbarungseid) abgegeben hat.

Das wird nun nicht mehr klappen. Der zuständige Amtsrichter hat nämlich durchschaut, welches Spiel hier mit (Gefälligkeits-)Attesten gespielt wird. Obwohl die Atteste von Amtsärzten stammen, stuft der Richter diese als inhaltsleer und unbrauchbar ein. Deshalb ordnet er nun auch an, dass der Schuldner endlich zu verhaften ist. Der Verhaftung kann der Schuldner einfach entgehen, indem er die eidesstattliche Versicherung abgibt.

Der Beschluss des Amtsgerichts fasst die Geschichte schön und geradezu unterhaltsam zusammen. Hier deshalb die wichtigsten Passagen:

Gegen den Schuldner, der eine – dies ist gerichtsbekannt – ärztliche Praxis in S. betreibt, wurde am 10.08.2009 Haftbefehl erlassen, da er im Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 807 ZPO unentschuldigt nicht erschienen war. Der Haftbefehl dient einzig dazu, die Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und die Abgabe der eidessattlichen Versicherung zu erzwingen.

Auf den Verhaftungsauftrag des Gläubigers hat die Gerichtsvollzieherin es mit
Verweis auf die mit amtsärztlichen Attesten des Herrn Dr. C. vom 26.09.2007
sowie der Frau Dr. K. vom 26.08.2009 angenommenen Haftunfähigkeit
des Schuldners unterlassen, den Schuldner zu verhaften.

Gegen die Weigerung der Verhaftung richtet sich der Gläubiger mit seiner Erinnerung vom 30.10.2009. Die Erinnerung des Gläubigers ist zulässig und begründet. Die Verhaftung des Schuldners wurde zu Unrecht nach § 906 ZPO mit Verweis auf die benannten amtsärztlichen Atteste verweigert.

Voraussetzung für einen Haftaufschub nach § 906 ZPO ist eine nahe und erhebliche
Gefahr für die Gesundheit des Schuldners. Da der Schuldner durch Abgabe der
Versicherung die Haft jederzeit vermeiden bzw. beenden kann, ist bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, ein strenger Maßstab anzulegen. Weniger strenge Maßstäbe sind nur dann anzulegen, wenn die Haftunfähigkeit aufgrund anderer Umstände, etwa des hohen Alters des Schuldners, ohnehin nahe liegt. Andererseits sind umso strengere Maßstäbe anzulegen, je mehr objektive Anzeichen gegen eine Gesundheitsgefährdung sprechen. …

Die bisher vorliegenden amtsärztlichen Atteste des Herrn Dr. C. vom
26.09.2007 sowie der Frau Dr. K. vom 26.08.2009 sind nicht hinreichend, um
den Nachweis einer erheblichen Gesundheitsgefährdung zu erbringen. Diese
Atteste sind so inhaltsarm und aus sich heraus nicht nachprüfbar, dass sie zum
Nachweis einer Haftunfähigkeit ungeeignet sind. Zwar handelt es sich vorliegend
um amtsärztliche Atteste, deren Inhalt und Schlussfolgerungen regelmäßig
besonderes Gewicht beizumessen ist. Jedoch muss auch ein solches
amtsärztliches Attest – wie jedes andere Attest auch – inhaltlich so konkret und
nachvollziehbar begründen, weswegen und in welcher Art Gesundheitsschäden für den Schuldner zu erwarten sind.

Diesen Maßstäben genügen vorliegenden Atteste nicht ansatzweise. Es wurden weder Diagnosen einer bestehenden Erkrankung noch die zu befürchtenden Auswirkungen einer Verhaftung des Schuldners dargetan. Demnach sind die in den ärztlichen Zeugnissen getroffenen Schlussfolgerungen, der Schuldner sei haftunfähig, in keiner Weise überprüf- oder nachvollziehbar. Weshalb die Gesundheit des Schuldners gerade aufgrund einer Inhaftierung einer nahen und erheblichen Gefahr ausgesetzt würde, erschließt sich auf der Grundlage der Atteste nicht. …

Ob allerdings bei einer ärztlichen Bescheinigung von einer Qualität, wie der
vorliegenden, weitere Prüfungen der Gerichtsvollzieherin geboten sind, erscheint
bereits grundsätzlich zweifelhaft. Diese Zweifel sind hier insbesondere deshalb
besonders gravierend, weil der attestierende Arzt Dr. C. ausweislich seines
Zeugnisses vom 26.09.2007 eine Interessenabwägung vorgenommen hat, die
nicht in seinen Kompetenzbereich fällt. Dies geht aus der Formulierung „…mit Gesundheitsschäden zu rechnen, die außerhalb des Haftzweckes liegen…“ hervor.

Weiterhin ist zu beachten, dass der Schuldner als Arzt tatsächlich und regelmäßig praktiziert. Dies indiziert zunächst eine körperliche und geistige Belastbarkeit, welche der Annahme einer auf gesundheitlichen Gründen beruhenden Haftunfähigkeit entgegensteht.

(AG Schwerte, Beschluss vom 8. Februar 2010, 6 M 0487/09)