Zellenbesuch weckt Geständnisfreude

Was für Gestalten es mitunter auf einen Richtersessel schaffen, zeigt eine heute verkündete Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Immerhin sorgen die Karlsruher Richter dafür, dass einer ihrer Kollegen am Amtsgericht Eschwege für sein Verhalten womöglich doch nicht ungeschoren davon kommt. Sie heben nämlich ein Strafurteil des Landgerichts Kassel auf, mit dem der Amtsrichter vom Vorwurf der Rechtsbeugung freigesprochen wurde.

Der damalige Richter auf Probe verhandelte gegen einen Angeklagten, dem Exhibitionismus vorgeworfen wurde. Schon vor der Sitzung soll er entschlossen gewesen sein, den Betroffenen mit einem Schuldspruch unter Strafvorbehalt zu belegen und ihm eine Therapieauflage zu geben.

Doch der damalige Angeklagte widersetzte sich. Er stritt die Tat ab. Der Richter soll dann aufgeregt und drohend auf ihn eingeredet haben, damit er die Therapie akzeptiert und auf Rechtsmittel verzichtet. Als dies nicht fruchtete, griff der Richter zu härteren Methoden:

Schließlich unterbrach er unvermittelt die Sitzung, sagte zum damaligen Beschuldigten: "Sie kommen jetzt mit! Ich zeige Ihnen mal, wie Ihre Zukunft aussehen kann", und begab sich – mit angelegter Robe – mit dem Beschuldigten und einem Wachtmeister in den Keller des Amtsgerichts, wo sich mehrere Gewahrsamszellen befanden.

Er veranlasste den vollständig verunsicherten Beschuldigten, sich in eine Zelle zu begeben, die daraufhin geschlossen wurde. Nach etwa 20 Sekunden wurde die Tür auf Veranlassung des Angeklagten wieder geöffnet. Während dieser Zeit war die Türe von dem Zeugen nicht mehr zu öffnen.

Im Anschluss daran hatte der Richter sein Ziel erreicht. Der Angeklagte, der als unsicher und beeinflussbar galt, legte nun das gewünschte Geständnis ab und verzichtete auf Rechtsmittel. Das Landgericht Kassel fand das Verhalten des Kollegen zwar nicht gut, wollte ihn aber auch nicht bestrafen. Deshalb verneinten die Richter den Vorsatz zur Rechtsbeugung.

Das gelang ihnen wohl nur, indem sie wesentliche Teile ausblendeten. Der Bundesgerichtshof beanstandet nun, der Vorsatz des Amtsrichters sei gar nicht ausreichend geprüft worden. Um die Frage, ob es ihm auch um die Therapieauflage und den Rechtsmmittelverzicht ging, hätten sich die Juristen am Landgericht gar nicht gekümmert.

Diese Prüfung muss nun nachgeholt werden. Möglicherweise kostet die Sache den Amtsrichter doch noch seinen Job. Auf Rechtsbeugung steht nämlich eine Mindeststrafe von einem Jahr Gefängnis. Bei so einer Verurteilung muss ein Richter entlassen werden.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 31. Mai 2012, Aktenzeichen 2 StR 610/11

Doch keine Fingerabdrücke im Reisepass?

Sich in Deutschland einen Pass und gar ein Visum zu verschaffen, bedeutet eine persönliche Erniedrigung. Kurt Tucholsky

Seit 2007 erhalten Bundesbürger nur noch dann einen Reisepass, wenn sie in dem Dokument ihre Fingerabdrücke auf einem RFID-Chip speichern lassen. Möglicherweise ist die Fingerabdruckpflicht rechtswidrig. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat jedenfalls erhebliche Zweifel, ob dem Bürger so eine Prozedur zugemutet werden darf. Die 17. Kammer des Verwaltungsgerichts fordert deshalb nun eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs an.

Geklagt hat der Bochumer Rechtsanwalt Michael Schwarz. Er wendet sich gegen das Überwachungspotenzial, welches mit einer faktischen Fingerabdruckpflicht für jeden Bürger geschaffen werde. Die offizielle Begründung, die Zuwanderung illegaler Flüchtlinge soll erschwert werden, nimmt der Jurist den Behörden nicht ab. Vielmehr erkennt er ein allgemeines Bestreben, den Menschen nur noch zum Objekt staatlicher Verwaltung (und Verfolgung) zu machen.

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen nimmt die Argumente gegen die Fingerabdruckpflicht ernst. Sie hält es für möglich, dass bereits die europäische Richtlinie, auf der die deutschen Regeln beruhen, rechtswidrig ist. Deshalb soll nun der Europäische Gerichtshof vorab entscheiden.

In ihrer Begründung zitieren die Gelsenkirchener Richter gravierende Bedenken gegen die Fingerabdruckpflicht. Damit sei ein erheblicher Grundrechtseingriff verbunden, der möglicherweise in keinem Verhältnis zum Nutzen stehe. So bestünden große Zweifel, ob mit den RFID-Chips überhaupt illegale Einreise in nennenswertem Umfang vermieden werden könne. Es gebe vielfältige Möglichkeiten, die Kontrolleure zu täuschen. Als wichtigste nennen die Richter die Verwendung echter Pässe mit einer erschlichenen Identität. Hier sei eine Fingerabdruckkontrolle völlig wirkungslos.

Ausdrücklich weist der Beschluss auch auf die Gefahren des Datenmissbrauchs hin. Ebenso auf das Risiko, dass staatliche Stellen ohne Kenntnis des Inhabers auf die sensiblen Daten zugreifen, diese zentral speichern und zweckentfremden können.

Außerdem sehen die Richter auch formale Probleme. So sei das Europäische Parlament möglicherweise nicht richtig an der EU-Verordnung beteiligt worden. In der Vorlage, über die das Parlement entschieden habe, sei lediglich eine freiwillige Aufnahme der Fingerabdrücke vorgesehen gewesen. Die Fingerabdruckpflicht sei erst nachträglich eingefügt worden.

Insgesamt, so die Verwaltungsrichter, sei keinesfalls eindeutig, dass die EU-Vorgaben rechtmäßig sind. Damit seien die Voraussetzungen für eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs gegeben.

Für den Kläger sowie alle Betroffenen heißt es nun weiter warten, bis eine Entscheidung auf europäischer Ebene ergeht. Kläger Michael Schwarz ist das Geduldsspiel bereits gewohnt. Er hat bereits im Jahr 2007 geklagt. Die Gelsenkirchener Richter haben rund fünf Jahre gebraucht, um ihren Vorlagebeschluss zu fassen.

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Beschluss vom 15. Mai 2012, Aktenzeichen 17 K 3382/07

Früherer Bericht im law blog

Spyware im Laternenmast

In amerikanischen Städten werden immer öfter Systeme installiert, die Schüsse erkennen und auswerten. Die Audiodetektoren speichern und orten nicht nur die Töne, sie steuern auch Überwachungskameras, um möglichst Bilder vom Geschehen zu erhalten. Wie netzpolitik.org berichtet, hat der Hersteller die Preise nun drastisch gesenkt, so dass die Überwachungsanlagen für Kommunen immer erschwinglicher werden.

Damit steigt aber auch die Gefahr eines ganz neuen Überwachungsszenarios. Die Mikrofone sind nämlich unauffällig im öffentlichen Raum verborgen, zum Beispiel in Laternenmasten. Die Standorte werden zumindest in den USA auch nicht bekanntgegeben.

Bei derart intelligenten Systemen liegt es natürlich auch nahe, dass eben nicht nur Schüsse – und damit Fälle möglicher Schwerkriminalität – belauscht werden. Selbst Polizisten sollen schon berichtet habe, sie hätten auf Aufnahmen des Pistolenradars Vogelgezwitscher, das Schlagen von Türen oder vorbeifahrende und hupende Autos gehört.

Das Dementi des Hersteller klingt dagegen merkwürdig dünn. Die Anlagen seien nur zur Schusserkennung konzipiert. Sie schalteten sich auch nur an, wenn ein Schuss erkannt werde. Das mag ja sein, aber die technischen Möglichkeiten dürften weit darüber hinaus gehen. Immerhin scheint klar zu sein, dass jedenfalls alle Gespräche im Umfeld aufgezeichnet werden können, sobald ein Schuss die Anlage ausgelöst hat.

Es wäre also ein leichtes, die Schussdetektoren auch für einfache Lauschangriffe auf Passanten zu nutzen. Die Zeiten, in denen man sich draußen grundsätzlich unbelauscht fühlen durfte, wären damit offiziell vorbei. Kommentatoren bei netzpolitik.org erinnern dann auch schon an Szenen aus 1984 oder Blade Runner, die bald Wirklichkeit werden könnten.

Parallel dazu kommen in den USA auch Straßenlaternen mit Überwachungsfunktionen in Mode.

Am Mikro verhaftet

Für den Verhafteten gelte die Unschuldsvermutung, betont die Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Eine Selbstverständlichkeit, die eigentlich auch zu Zurückhaltung bei Verhaftungen führen sollte. Doch damit scheint man es bei der Rostocker Kripo nicht so zu haben: Die Beamten nahmen jetzt publikumswirksam einen Radiomoderator fest, als dieser für eine Livesendung vor dem Mikrofon stand.

Der Radiomann Marcus J. moderierte gerade, wie jeden Werktag, die Guten-Morgen-Show bei der Ostseewelle. Die Beamten kamen ins Studio und führten ihn in Handschellen ab. Seine Co-Moderatorin musste die Sendung alleine zu Ende bringen. Kurz darauf wurde der Moderator vor der versammelten Presse ins Amtsgericht Rostock gebracht. 

Dem Betroffenen wird vorgeworfen, eine 13-Jährige sexuell missbraucht zu haben. Die Taten sollen sich in den Jahren 2005 und 2006 ereignet haben. Ob und was an der Sache dran ist, wird sich sicher zeigen. Dass die Beamten aber nicht mal warten konnten, bis Marcus J. seine Sendung zu Ende bringen konnte, lässt sich sicher nicht mit der von der Staatsanwaltschaft ins Feld geführten “Wiederholungsgefahr” begründen. Zumal laut der Behördensprecherin bei Sexualstraftätern stets der Haftgrund der Wiederholungsgefahr angenommen werden kann. Was in dieser Allgemeinheit schlichtweg juristischer Unfug ist. 

Mit der medial wirksamen Polizeiaktion ist jedenfalls schon mal eine schöne Grundlage für die Vorverurteilung und soziale Hinrichtung des Moderators gelegt. Das Konzept derartiger Öffentlichkeitsarbeit der Ermittlungsbehörden kennt man ja mittlerweile aus dem Fall Jörg Kachelmann. Oder dem der Ex-No-Angels-Sängerin Nadja B., bei der am Rande eines Konzertauftritts die Handschellen klickten.

Die Verantwortlichen in Rostock scheinen nicht sehr lernfähig zu sein.

Die fremde Verhältnismäßigkeit

Weit mehr als ein Jahr hat das Amtsgericht Dresden offenbar gegrübelt, wie es sich zu der Abfrage von mehr als einer Million Mobilfunk-Standortdaten bei einer Demonstration im Februar 2011 stellt. Nun hat das Gericht, welches die großflächige Handy-Überwachung der Dresdner Innenstadt auch selbst angeordnet hat, entschieden: Die Maßnahme sei rechtmäßig gewesen.

Bislang ist nur eine Pressemitteilung der sächsischen Justiz bekannt, die interessanterweise am Freitagabend – zwei Tage nach dem Beschluss – herausgegeben wurde. Betroffene Antragsteller sollen, so die taz, erst aus der Presse von der Entscheidung erfahren haben.

Der dürftige Inhalt der Erklärung lässt darauf schließen, dass sich das Amtsgericht Dresden streng ans Gesetz gehalten, aber bei der entscheidenden Frage die Augen verschlossen hat. Die Strafprozessordnung lässt eine Funkzellenabfrage bei Straftaten von “erheblicher Bedeutung” zu, wenn sonstige Fahndungsmaßnahmen aussichtslos oder wesentlich erschwert sind.

Nun hatte die sächsische Polizei am Demonstrationstag wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung durch mutmaßlich gewaltbereite Demonstranten ermittelt, außerdem wegen gefährlicher Körperverletzung. Ob und wie konkret der Tatverdacht war, ist bis heute nicht klar. Jedenfalls ist gerade die Bildung einer kriminellen Vereinigung ein beliebtes Instrument, um eine Sache auf gehobenes Kriminalitätsniveau zu hieven – gerade wenn man auf Ermittlerseite ansonsten kaum was in der Hand hat.

Dass die Daten dann auch in zahlreiche Ermittlungsakten gelangt sind, die mit den auslösenden Verfahren gar nichts zu tun haben, spricht in diesem Zusammenhang eine deutliche Sprache. Die taz schreibt von 45 leichteren Fällen, in die Ergebnisse der Funkzellenabfrage eingeflossen sein sollen.

Selbst wenn die Voraussetzungen für eine Abfrage theoretisch vorgelegen hätten, gibt es immer noch ein Korrektiv. Das ist die Verhältnismäßigkeit. Bei der Funkzellenabfrage in Dresden sind ja nicht nur über eine Million Standortdaten verarbeitet worden, es waren auch abertausende Menschen davon betroffen. Jeder mit Mobiltelefon, der am Demonstrationstag  unterwegs war (oder daheim vor dem Fernseher saß), wurde standortmäßig erfasst. Darunter auch Ärzte, Priester, Anwälte und Journalisten.

Hier muss gefragt werden, ob der mögliche Erfolg einer Fahndung noch mit dieser Unzahl beeinträchtigter Bürger- und Datenschutzrechte in Einklang zu bringen ist. Für mich lautet die Antwort ganz klar nein. Das Amtsgericht Dresden hat dagegen erklärt, die Funkzellenabfrage sei noch der mildeste Eingriff in die Rechtspositionen Dritter gewesen.

Was, so könnte man dem entgegenhalten, hätte die Polizei denn sonst an dem Tag mit allen Handynutzern in Dresden veranstalten können? Die Stadt in Gewahrsam nehmen, jedermann Fingerabdrücke abnehmen, gleich mal alle Handys abhören, Alibis verlangen? Das anklingende Argument, der Handynutzer spüre es nicht, wenn seine Handydaten abgefragt werden und er habe auch nichts zu befürchten, wenn er nichts zu verbergen hat, greift hier doch offensichtlich etwas kurz.

Wenn man nicht zumindest über die Verhältnismäßigkeit Grenzen für Fahndungsmaßnahmen setzt, verkommen diese zu Standardinstrumenten. Denn genutzt werden alle technischen Möglichkeiten, sobald sie vorhanden sind. Die einzige Hürde kann die Juristische sein. Die Grenzen müssen Richter setzen. In Dresden hat jemand diese Chance erst mal verspielt.  

(via netzolitik.org)

Gutschein abgelaufen – so einfach ist es nicht

Gutscheine kommen wieder in Mode. Einen erheblichen Anteil daran hat Groupon. Die Plattform lebt davon, Gutscheine unter die Leute zu bringen. Da es sich oft um “Aktionen” handelt, sind die Geschäftspartner von Groupon natürlich daran interessiert, die Gutscheine zu befristen. Aber auch hierfür gelten Grenzen. Eine Befristung auf ein Jahr ist bei einem über Groupon erworbenen Gutschein jedenfalls zu kurz, befand jetzt das Amtsgericht Köln.

Ein Reinigungsunternehmen hatte vier Stunden Putzarbeit angeboten, “inklusive Material, Wischen und Saugen von Böden, Reinigung von Fenstern und Rahmen, Bad, WC und Küche”. Es kam wegen verschiedener Punkte zum Streit mit dem Käufer. Deswegen berief sich die Putzfirma auch darauf, ihr Gutschein sei nur auf ein Jahr befristet.

Das Amtsgericht Köln hält das zeitliche Limit für zu kurz:

Die Befristung des Gutscheins auf ein Jahr verstößt gegen den Grundgedanken grundsätzlich dreijähriger Verjährungsfrist und ist als allgemeine Geschäftsbedingung daher unwirksam, § 307 BGB.

Es kann sich also lohnen, auch bei “abgelaufenen” Gutscheinen sein Glück zu versuchen.

Amtsgericht Köln, Urteil vom 4. Mai 2012, Aktenzeichen 118 C 48/12

Nachtrag: Das Landgericht Berlin hält dagegen für zulässig, dass Groupon-Gutscheine kürzere Geltungszeiten haben. Nach Auffassung der Richter handelt es sich um zeitlich befristete Sonderangebote bzw. -aktionen. Da der Kunde hier von erheblich niedrigeren Preisen profitiere, sei die Befristung durchaus angemessen (Urteil vom 25.10.2011, Aktenzeichen 15 O 663/10).

Verbraucherschützer mahnen Frauenärzte ab

Zum ersten Mal legt sich die Verbraucherzentrale NRW mit Ärzten an. Die Verbraucherzentrale hat  Mediziner abgemahnt, weil diese “Kasse mit der Angst machen“, wie es Vorstandschef Klaus Müller formuliert.

Die Verbraucherschützer hatten im Internet speziell nach Angeboten von Gynäkologen gefahndet. Sie entdeckten Frauenfachärzte, die sich als „Meister des Verkaufs“ erwiesen. So wurden kostenpflichtige Ultraschalluntersuchungen als „wunderbare Möglichkeit“ angepriesen, um in der Gebärmutter Zysten und Tumore rechtzeitig zu erkennen”. Das „erhöhe die Heilungschancen bei bösartigen Verän­derungen zu einem hohen Prozentsatz“.

Solche vollmundigen Aussagen hält die Verbraucherzentrale für wettbewerbswidrig. Wissenschaftliche Studien hätten belegt, dass solche Leistungen medizinisch nicht notwendig sind. Dennoch gebe es dubiose Angebote, die gerade diese nutzlosen Leistungen anpreisen und auf die Angst der Patientinnen spekulieren. Mit „Vorsorge plus“ werde geworben oder mit „erweiterter Krebsvorsorge“.

Die Patientinnen müssen solche ärztliche Arbeit mit 16 bis 31 Euro aus der eigenen Tasche bezahlen. Überflüssig, kritisiert Klaus Müller. „Besteht tatsächlich Verdacht auf Eierstock­krebs, dann ist der Ultraschall eine Kassenleistung.“

Die Internet-Auftritte von 157 Frauenärzten sind überprüft worden. Das entspricht laut Verbraucherzentrale etwa einem Viertel der insgesamt 611 Fachmediziner in den Kassenbezirken Nordrhein und Westfalen-Lippe. Zehn Prozent der Webseiten haben die Verbraucherschützer als „unseriös“ eingestuft. Von zehn Ärzten fordern sie in einem weiteren Schritt Unterlassungserklärungen.

„Wir hoffen“, so Klaus Müller, „dass sich das rumspricht“. Er will die unliebsa­men Nebenwirkungen des Modells „Arzt als Verkäufer“ kurieren. „Wir stehen damit erst am Anfang“, sagt Müller in Richtung übertrieben geschäftstüchtiger Mediziner. (pbd)

Erotik darf auch auf Reisen sein

Ein Erotik-Laden im Untergeschoss des Münchner Hauptbahnhofs darf nun auch an Sonn- und Feiertagen geöffnet sein. Die Stadtverwaltung hatte gemeint, das Geschäft verkaufe keinen “Reisebedarf”; deshalb müsse es sonntags geschlossen bleiben.

Das sehen die Richter am Verwaltungsgericht München anders. Für sie sind DVDs, Bücher, Zeitschriften, Magazine, Kondome, Cremes und Einwegkameras durchaus Reisebedarf – auf den möglicherweise erotischen Kontext kommt es nach Auffassung der Juristen nicht an. Deshalb erklärten sie gestern das Sonntagsverkaufsverbot für unwirksam.

Andere Gegenstände als die Genannten darf der Laden im Hauptbahnhof dagegen sonntags nicht anbieten. Dazu gehören etwa Spiele und Geschenkartikel, die es in dem Geschäft auch zu kaufen gibt.

Höchste Zeit

So läuft das mit den Massengentests: Wer nicht erscheint und freiwillig seine Speichelprobe abgibt, ist verdächtig – obwohl er bislang nichts Illegales getan hat. Derzeit kann man das im Mordfall Nelli Graf beobachten. Über 200 Männer, Nachbarn des Opfers im westfälischen Halle, sind nach einem Zeitungsbericht dem Gentest ferngeblieben. Nun sollen sie Besuch von der Polizei erhalten. Diese will ihre Alibis überprüfen.

Was die Polizei “Ausschlussverfahen” nennt, ist in Wirklichkeit die Abschaffung der rechtsstaatlichen Regel, nach der man nicht seine Unschuld beweisen muss. Um an diesem Grundsatz wenigstens formal festhalten zu können, sind die Tests offiziell noch “freiwillig”. Aber eben nur auf dem Papier, wie das Verhalten der Polizei in Halle nun gerade wieder zeigt.

Die Männer, die jetzt Besuch von der Polizei bekommen und Auskunft zu ihren Alibis geben sollen, haben sich nämlich nichts zuschulden kommen lassen. Außer dass sie von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, die staatlich postulierte “Freiwilligkeit” für sich in Anspruch zu nehmen.

Wenn die Polizei via Presse erklärt, die Verweigerer müssten als “Zeugen” Auskunft geben, geht das Ganze sogar noch einen Schritt weiter – und verkennt die Rechtslage. Ob nun fahrlässig oder vorsätzlich, lasse ich mal offen. Jedenfalls scheint der Polizei in Halle den Bürgern lieber nicht sagen zu wollen, dass niemand, Zeugen eingeschlossen, mit der Polizei reden muss. Dazu bedürfte es zumindest einer Vorladung durch den Staatsanwalt. Einem Kommissar, der mal so an der Haustür klingelt, muss man schlicht und einfach nicht Rede und Antwort stehen.

Überdies ist natürlich höchst zweifelhaft, ob die 200 tatsächlich noch Zeugen sind. Es spricht viel dafür, sie als Beschuldigte zu betrachten. Immerhin kommt die Polizei ja nicht ohne Grund vorbei. Aber selbst wenn sie noch Zeugenstatus hätten, dürfte jeder auch beim Staatsanwalt, sofern dieser eine Ladung schickt, die Auskunft zu seinem Alibi verweigern. Das sind nämlich Angaben, durch die man sich selbst (noch stärker) in Verdacht bringen könnte, eine Straftat begangen zu haben.

Dafür gibt es, aus gutem Grund, ein Auskunftsverweigerungsrecht auch für Zeugen. Das ist der Grundsatz, dass man sich nicht selbst belasten muss. Wieder so eine rechtsstaatliche Sache, die den Ermittlern offenbar nicht recht in den Kram passt. Letztlich können da nur mutige Richter helfen, die legales Verhalten nicht als Grundlage für einen Tatverdacht akzeptieren – und der Polizei die dann absehbaren Durchsuchungsbeschlüsse verweigern. Ich wäre allerdings positiv überrascht, wenn mal ein Richter an der Basis den Mut hat, auf Einhaltung von Recht und Gesetz zu pochen. Höchste Zeit wäre es in jedem Fall. 

Bitte ich um Mitteilung

In einem ziemlich umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren hatte ich für meinen Mandanten Stellung genommen. Ziemlich umfangreich, wie nicht anders zu erwarten. Diverse Bitten, das Verfahren nach meinen goldenen Worten doch nun einzustellen, blieben unerhört. Erst wurde angeblich noch weiter ermittelt. Dann wollte der Staatsanwalt erst mal sehen, was er mit den anderen Beschuldigten macht.

Nun gut, es gibt kaum eine Möglichkeit, ein Verfahren aus der Schwebe zu nehmen. Wenn der Staatsanwalt nicht will, dann will er halt nicht. So ging geraume Zeit ins Land, bis wir mal wieder was hörten. Und zwar in Form einer aktualisierten Ermittlungsakte. Zum Glück kam kein Kleintransporter voller Kartons. Sondern eine DVD.

“Die Akte wird übersandt mit der Bitte um Stellungnahme binnen 2 Wochen”, hieß es im Begleitschreiben. Ich guckte zwar mal in die DVD rein, konnte aber beim besten Willen nichts finden, zu dem ich nicht schon Stellung genommen hätte. Ich versuchte es deshalb mal auf diese Tour:

… bitte ich um Mitteilung, zu welchem Teil der Ermittlungsakte ich jetzt noch Stellung nehmen soll. Für eine konkrete Antwort wäre ich sehr dankbar.

Die Reaktion überraschte mich:

Ich habe das Ermittlungsverfahren gegen Ihren Mandanten mangels Tatverdachts eingestellt.

Irgendwie cool. Ich werde meine Anfrage als Textbaustein speichern.

Wiederholt erklärt

“Nicht berücksichtigt wurden im Übrigen die Aktenversendungskosten. Eine Erstattungsgrundlage gegen die Staatskasse ist nicht ersichtlich.” Schreibt mir ein Kostenbeamter des Amtsgerichts Velbert und streicht mit leichter Hand 28,56 Euro der Gebühren, die mir als Pflichtverteidiger zustehen.

Ich weiß nicht, bei wie vielen Anwälten der Beamte durchkommt. Es kann sich dabei eigentlich nur um jene Kollegen handeln, die den Betrag lieber abschreiben. Weil Briefe schreiben (lassen) Geld kostet und auch Arbeitszeit nicht beliebig vermehrbar ist. Auch ich spürte diesen Impuls, protestierte dann aber doch in knappen Worten gegen die Kostenkürzung.

Viel war da auch nicht zu sagen. Immerhin ist seit langem klar, dass Pflichtverteidiger selbstverständlich ihre Aufwendungen ersetzt verlangen können – sofern diese für das Mandat erforderlich sind. Akteneinsicht gehört auch eher zu den Dingen, die offensichtlich als unverzichtbar für eine sinnvolle Verteidigung gelten können. Wenig überraschend sieht das auch das Amtsgericht Velbert (Aktenzeichen 23 Ls 35/11) so:

Bei der Aktenversendungspauschale handelt es sich um besondere Geschäftskosten, die nicht in den Nr. 7000 ff. des Vergütungsverzeichnisses enthalten und die dem Rechtsanwalt über §§ 670, 675 BGB zu erstatten sind (vgl. Baumgärtel/Hergenröder/Hoouben, RVG 14. Aufl., 2008, Vorbem. 7 VV Rd. 4).

Diese Kosten sind einem Pflichtverteidiger grundsätzlich zu erstatten, unabhängig davon, wann er die Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragt hat oder wann diese erfolgt ist. Entscheidend ist nur, dass er in dem Verfahren als Pflichtverteidiger beige­ordnet worden ist und dass die Aktenversendung mit seiner Tätigkeit als Verteidiger für den Angeklagten in Zusammenhang stand. Von Letzterem ist grundsätzlich aus­zugehen.

Tja, nun kennt der Kostenbeamte auch die Rechtsgrundlage, die für ihn nicht ersichtlich ist. Würde mich allerdings wundern, wenn ihm das Gericht dies zum ersten Mal erklären musste. Noch mehr wundern würde mich, wenn der Kostenbeamte nun aufhört, unnötige Kosten für Anwälte und den Steuerzahler zu produzieren. Womöglich versteht er nicht nur das Gesetz, sondern auch seinen Titel nicht.