Gericht: Anwalt musss Schriftsätze nicht vorlesen

Blinde und sehbehinderte Menschen stehen im Umgang mit der Justiz vor einem gravierenden Problem. Prozesse werden zum großen Teil schriftlich geführt. Sehbehinderte dürfen nicht einfach darauf verwiesen werden, sich die Schriftsätze von ihrem Anwalt vorlesen zu lassen. Das ergibt sich aus einer aktuellen Entscheidung des Landgerichts München.

Im Gerichtsverfassungsgesetz (§ 191a GVG) ist ausdrücklich festgelegt, dass alle Schriftsätze barrierefrei zugänglich gemacht werden müssen – und zwar kostenlos. In dem entschiedenen Fall ging es um eine ältere Dame, die wegen einer Augenkrankheit erblindet war. Sie sollte aus ihrer Wohnung geklagt werden. Blindenschrift beherrscht sie nicht. Deshalb beantragte sie, dass ihr die Schriftsätze als Audiodatei zur Verfügung gestellt werden.

Das Amtsgericht war ernsthaft der Auffassung, die im Gesetz an sich festgelegte Verpflichtung zum barrierefreien Zugang könne auch der jeweilige Anwalt umsetzen. Er müsse die Schriftsätze halt vorlesen.

Die Beschwerderichter schauten etwas näher hin. Wer gesundheitlich eingeschränkt sei, habe das Recht, die Dokumente selbst und eigenständig zur Kenntnis zu nehmen. Und zwar so oft wie gewünscht. Eine Vorlesestunde durch den Anwalt erfülle das nicht. Deshalb müsse die Betroffene Audiodateien erhalten (Aktenzeichen 14 T 9699/23).

Das Wort „Transe“ ist (noch) nicht verboten

Das Landgericht Dortmund hat kein Verbot des Worts „Transe“ ausgesprochen – auch wenn viele Medien dies heute so berichten. Es geht um einen Rechtsstreit des Berliner Entertainers Riccardo Simonetti. Dieser hatte gegen einen Instagram-Post geklagt.

Das Landgericht Dortmund erließ wegen des Posts eine einstweilige Verfügung. Untersagt wurde folgende Äußerung:

„Kann diese übergriffige Transe, die selbst nie eigene Kinder haben wird, mal irgendwer wegsperren bitte, damit sie sich nicht an anderer Leute Kinder vergeht!“.

Die Richter haben sich mit der Aussage insgesamt auseinandergesetzt und darin eine Persönlichkeitsrechtsverletzung gesehen. Allerdings geht es eben um den Gesamtkontext – und nicht um die Bezeichnung „Transe“ im Speziellen. In einer besonderen Pressemitteilung des Landgerichts Dortmund heißt es dazu wörtlich:

„Aus den Gründen der Entscheidung geht hervor, dass die Äußerung als Gesamtes einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers darstellt. Zu der alleinigen Verwendung des Begriffes „Transe“ verhält sich die Entscheidung nicht.“

Das Wort Transe ist also (noch) nicht verboten.

Gutachten: Auch AfD-Stiftung müsste Geld erhalten

Die politischen Stiftungen der Parteien können sich jährlich über 700 Millionen Euro freuen. Während es bei der Linken keinerlei Berührungsängste gibt, erhält die der AfD nahestehende Desiderius-Erasmus-Stiftung keinen Cent. Das Bundesinnenministerium hilft nun mit einem Gutachten, dass dies auch so bleibt.

Staatsrechtler haben im Auftrag des Ministeriums untersucht, welche Möglichkeiten es zum Ausschluss der „Feinde der Freiheit“ (FDP-Politiker Johannes Fechner) gibt. Nach der Holzhammer-Methode in Form eines schlichten „Ausschluss-Vermerks“ im Bundehaushalt geht es jedenfalls nicht mehr. Das Bundesverfassungsgericht stellte Anfang des Jahres fest, dass parteinahe Stiftungen nur aufgrund eines Bundesgesetzes von der Förderung ausgeschlossen werden können, und das auch nur aufgrund belastbarer Tatsachen. So ein Gesetz gibt es bislang nicht.

Das nun vorliegende Gutachten zeigt, dass eine Ungleichbehandlung durch Bundesgesetz nicht ganz einfach sein wird. So lange die AfD nicht verboten sei, müsse es bei ihrer parteinahen Stiftung allein auf deren Programm, Personal und Aktivitäten ankommen. Als Prüfungmaßstab sehen die Professoren nicht erst mal die bekannte Frage, ob sich die betreffende Stiftung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richtet. Hier müsste eine aktive Gegnerschaft zu Demokratie, Rechtsstaat, Menschenwürde und Völkerverständigung nachgewiesen werden.

Das könnte natürlich schwierig werden, so lange ein AfD-Verbot nicht mal ernsthaft im Raume steht. Deswegen haben sich die Professoren eine „Pflicht zu verfassungsfreundlichen Aktivitäten“ ausgedacht. Die Stiftungen müssten also nicht nur nachweisen, dass sie nichts gegen die Verfassung haben. Vielmehr müssten sie belegen, dass sie diese auch supertoll finden und sich mit aller Kraft dafür einsetzen. Was damit letztlich konkret gemeint sein könnte, wird allerdings nicht gesagt.

Ganz klar sagen die Gutachter, dass eine Stiftung nicht von vornherein per Gesetz ausgeschlossen werden kann. Vielmehr bedürfe es einer genauen Prüfung, wobei einzelne Verstöße nicht ausreichen würden. Wer über den Ausschluss entscheiden sollte, ist die nächste große Frage. Der Rechtsweg lasse sich keinesfalls ausschließen und würde lange dauern. Deshalb überlegen die Juristen, ob nicht gleich das Bundesverwaltungsgericht als „oberste“ Instanz tätig werden könnte.

Nach aktuellem Stand wird es also sehr schwierig werden, der AfD als demokratisch gewählter und nicht verbotener Partei jede Förderung zu entziehen.

Bericht in der Legal Tribune Online

Düsseldorf zeigt Schwarzfahrer nicht mehr an

Ich will meine Heimatstadt Düsseldorf nicht als Schwarzfahrer-Paradies bezeichnen. Aber ein klein wenig geht es schon in diese Richtung. Im Hoheitsgebiet der örtlichen Rheinbahn müssen ertappte Schwarzfahrer zwar nach wie vor das erhöhte Beförderungsentgelt von 60,00 € bezahlen. Auf ein Strafverfahren verzichten die Verkehrsbetriebe aber. Sie zeigen Schwarzfahrer einfach grundsätzlich nicht mehr an.

Dabei handelt die Rheinbahn auf „Anweisung von oben“. Die Zurückhaltung bei der Strafverfolgung ordnete eine Mehrheit von Grünen, SPD, Linken, FDP und der Partei-Klima-Fraktion im Stadtrat förmlich an. An diese Weisung ist die Rheinbahn als stadteigenes Unternehmen wohl gebunden.

Selbst wer in Düsseldorf permanent schwarz fährt, muss also keine Geldstrafen oder gar Freiheitsstrafe fürchten. Beförderungserschleichung kann mit bis zu einem Jahr Gefängnis oder Geldstrafe bestraft werden.

Tatsächlich hat häufigeres Schwarzfahren für viele Menschen drastische Folgen. Rund 7.000 Schwarzfahrer landen jährlich im Knast. Die meisten, weil sie ihre Geldstrafen nicht bezahlen können. Momentan gibt es Gesetzesiniativen, das Schwarzfahren zu entkriminalisieren, zum Beispiel durch Herabstufung auf ein Bußgeld.

Wenn das Düsseldorfer Modell Schule machte, könnte man sich das Ganze allerdings sparen.

Bericht zum Thema

Demokratie: minus 18 Prozentpunkte

Das sind Zahlen, die mich schon etwas schockieren. Sie stammen aus der neuen ARD-Akzeptanzstudie:

„… wurden auch Fragen zum gesellschaftlichen Umfeld gestellt. Danach ist die Zufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland deutlich auf 54% gesunken. Das entspricht im Bundesdurchschnitt einem Minus von 18 Prozentpunkten. In Ost- und Westdeutschland gibt es dabei deutliche Unterschiede: Im Osten Deutschlands sind nur 33% mit der Demokratie zufrieden (-22 Prozentpunkte) im Westen beträgt die Zufriedenheit 58%, (-17 Prozentpunkte).“

Noch dazu folgendes Ergebnis:

„Die ARD erreicht aber auch die Menschen, die mit der Demokratie nicht zufrieden sind: 71% dieser Menschen nutzen täglich die Angebote der ARD, die Reichweite des Medienverbunds mit aktueller politischer Information liegt hier bei 60%.“

Besonders segensreich scheint die hohe ARD-Reichweite ja nicht (mehr) zu sein. Woran mag das wohl liegen…

„Nicht geimpft“: Gericht sieht keine Volksverhetzung

„Nicht geimpft“ wäre als Aussage in einem Facebook-Post von der Meinungsfreiheit umfasst. Zumindest nach meiner Kenntnis. Aber wie sieht es aus, wenn der Ausspruch auf einem sechseckigen gelben Stern steht? Ist das Volksverhetzung? Diese Frage musste das Oberlandesgericht Braunschweig beantworten.

Nicht jede moralisch fragwürdige Aussage ist eine Volksverhetzung, so das Gericht. Vielmehr müsse sich die nach § 130 StGB strafbare Verharmlosung der NS-Taten nauf eine konkrete Völkermordhandlung beziehen. Die mit dem Judenstern bezweckte Ausgrenzung sei eine Art Vorbereitungshandlung für die Vernichtung gewesen. Mit der eigentlichen Tathandlung dürfe sie jedoch nicht gleichgesetzt werden.

Nun ja, das kann man auch anders sehen. Allerdings führt das Gericht einen wichtigen Punkt an, der bei Volksverhetzung oft nur nachlässsig behandelt wird. Die Aussage muss immer geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören. Es muss also Ziel sein, Dritte zu Gewalttaten oder Rechtsbrüchen zu bewegen. Dieses Motiv, so das Gericht völlig zu Recht, sei dem Facebook-Post erkennbar nicht zu entnehmen. Freispruch.

Aktenzeichen 1 ORs 10/23

Täter verweigert Fußfessel – und nun?

Wie kann es sein, dass ein mehrfach verurteilter Straftäter die elektronische Fußfessel einfach verweigert – und trotzdem frei herumläuft? Das ist eine Frage, die sich aus dem aktuellen Missbrauchsfall in Edenkoben ergibt. Versuch einer Antwort.

Wenn Straftäter ihre Haft verbüßt haben, kommen sie raus. Bei schweren Straftaten oder hartnäckigen Wiederholungstätern gibt das Gesetz dem Strafgericht die Möglichkeit, den Verurteilten weiterhin zu kontrollieren. Das nennt sich Führungsaufsicht. Das Gericht kann aus einem bunten Strauß von Auflagen wählen. Typisch für Sexualstraftäter sind der Besuch von Präventionsprogrammen, Aufenthaltsverbote an Kindergärten und Schulen, Kontakt- und Fahrverbote.

Auch die elektronische Fußfessel kann angeordnet werden. Die Betonung liegt auf „kann“. Denn obwohl die elektronische Fußfessel vor 12 Jahren ihren Weg ins Strafgesetz gefunden hat, ist sie alles andere als eine Standardmaßnahme. Tatsächlich mussten im Jahr 2020 ganze 122 Verurteilte eine elektronische Fußfessel tragen – bundesweit! Bayerische Gerichte hatten 30 Fußfesseln angeordnet, im bevölkerungsreichsten Land NRW waren es gerade mal sieben.

Aktuellere Zahlen kann ich nicht finden, weil Justiz ist ja Ländersache. Nach meinem Eindruck steigen die Zahlen, aber sicher nicht sprunghaft. Im Verhältnis zur Zahl der Personen, die sich nach ihrer Haftentlassung für eine Fußfessel qualifizieren, ist die Zahl der tatsächlichen Fußfesselträger sicherlich auch heute noch vernachlässigenswert gering.

Im Fall Edenkoben muss man den Behörden somit anrechnen, dass sie den Verdächtigen zu einer Fußfessel verdonnert haben. Das ist weder vorgeschrieben noch die Regel. Anders gesagt: Die Behörden haben erst mal nichts falsch gemacht.

Auf Unverständnis stößt natürlich, dass der Verdächtige die gerichtlich verordnete Fußfessel schlicht verweigert hat und er trotzdem nicht einkassiert wurde. Die Ohnmacht der Behörden in diesem Fall hat seine Ursache in der Art und Weise, wie der Gesetzgeber Verstöße gegen Auflagen bei der Führungsaufsicht sanktioniert.

Wer die Fußfessel verweigert, kann nicht zum Anlegen gezwungen werden. Vielmehr macht sich der Betreffende erneut strafbar (§ 145a StGB). Den Behörden bleibt in diesem Fall nur, ein neues Ermittlungsverfahren einzuleiten. Das alles kostet bekanntlich Zeit.

Natürlich könnte man bei einer beharrlichen Verweigerung der Fußfessel auch mal an Wiederholungsgefahr denken. Aber die Voraussetzungen für einen Haftbefehl auf dieser Grundlage sind kompliziert, auch weil ein Gericht die Verhältnismäßigkeit im Auge behalten muss. Die Höchststrafe für einen Verstoß gegen Auflagen im Rahmen der Führungsaufsicht beträgt drei Jahre Gefängnis. Das ist halt normalerweise keine Maximalstrafe, die automatisch einen Haftbefehl rechtfertigt.

Die Ereignisse in Edenkoben zeigen auf jeden Fall die greifbare Ohnmacht der Behörden, wenn sich ein Verurteilter der Fußfessel kategorisch verweigert. Aber man muss auch sehen, dass die Fußfessel auch bei entlassenen Sexualstraftätern heute nicht die Regel ist. Ohne entsprechende Auflage hätte wahrscheinlich kaum jemand danach gefragt, wieso der Verurteilte keine Fußfesselauflage hat. Das Resultat bleibt aber so oder so schrecklich genug.

Bericht auf SWR aktuell

Mit besten Wünschen für die Zukunft

Die heftigsten Streitigkeiten gibt es oft erst nach Ende des Arbeitsverhältnisses – ums Arbeitszeugnis. Eine ehemalige Assistentin der Geschäftsführung war besonders hartnäckig. Sie setzte mehrere Änderungen am Zeugnis durch. Erfolgreich. Aber damit begann der Stress erst…

Nachdem er das Zeugnis auf Druck mehrfach verbessert hatte, platzte dem Chef der Kragen. Aus der letzten Fassung strich er die Dankesformel. Wogegen seine frühere Angestellte vor Gericht zog.

Laut Bundesarbeitsgericht gibt es kein Recht auf gute Wünsche vom Arbeitgeber. Die beliebte „Dankesformel“ erhöhe zwar die Chancen auf dem Arbeitsmarkt, der Arbeitgeber könne sie aber auch weglassen. Allerdings nicht in diesem Fall. Da der Arbeitgeber das erste Zeugnis mit einem Dank schloss, könne er später nicht mehr darauf verzichten.

Das Gericht begründet dies mit dem sogenannten Maßregelverbot nach § 612a BGB. Einem Arbeitnehmer darf es nicht angekreidet werden, wenn er nur sein gutes Recht wahrnimmt. Nachkarten ist dem Arbeitgeber somit untersagt, das Zeugnis darf nicht verschlechtert werden (Aktenzeichen 9 AZR 272/22).

Schlechtes Wetter im Urlaub? Nein! – Doch! – Ohh!

Schlechtes Wetter im Urlaub? Das hätten eine Frau und ihr Reisepartner nun wirklich nicht für möglich gehalten. Sie verklagten den Reiseveranstalter, weil sie auf ihrer zweiwöchigen Rundtour durch Ecuador wegen Nebel und Starkregen kaum was von Landschaft und Tierwelt zu sehen bekamen.

Ganz billig war der Trip mit 18.000 Euro wirklich nicht. Allerdings übernimmt auch der Veranstalter einer Luxusreise keine Gewähr dafür, dass die Sonne scheint. So zumindest die Auffassung des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. Auch eine besondere „Aufklärungspflicht“ übers allgemeine Wetter im Zielgebiet sehen die Richter nicht. Übers weltweite Wetter, einschließlich Regenzeiten in exotischen Ländern, könne man sich heute problemlos im Internet informieren (Aktenzeichen 16 U 54/23).

Androgyne Person jüngeren Alters

Er hat mich genötigt. Er hat mir den Stinkefinger gezeigt. Mit diesem und ähnlichem Inhalt werden Tag für Tag hunderte Autofahrer angezeigt. Die Strafanzeigen haben häufig einen Schwachpunkt: Wer war denn jetzt genau der vermeintliche Bösewicht hinter den getönten Autoscheiben?

In den weitaus meisten Fällen gibt es nur das KfZ-Kennzeichen. Vielleicht noch eine vage Beschreibung. „Brillenträger“ etwa. Oder, wie ich neulich gelesen habe: „androgyne Person jüngeren Alters“.

Ein Polizist zeichnete sich in solch einem Fall durch messerscharfen Spürsinn aus. „Die Halterin des Pkw kommt als Beschuldigte nicht in Betracht“, lesen wir, „da die Zeugen von einem Mann als Fahrzeugführer sprechen.“

So weit, so richtig. Jetzt kommt’s: „Nach allgemeiner Lebenserfahrung kann gesagt werden, dass der Halter des Fahrzeugs oder seine nahen Angehörigen auch die regelmäßigen Nutzer des Fahrzeugs sind. Daher wird der Ehemann der Halterin als Beschuldigter in diesem Verfahren geführt.“

Die Richter am Bundesverfassungsgericht haben übrigens eine völlig andere Lebenserfahrung. Sie schrieben schon 1993:

„Daraus alleine, dass der Betroffene Halter eines Kraftfahrzeuges ist, darf beim Fehlen jedes weiteren Beweisanzeichens nicht gefolgert werden, er habe das Fahrzeug bei einer bestimmten Fahrt auch tatsächlich geführt. Auch bei privat genutzten Fahrzeugen ist die Möglichkeit, dass sie von Familienangehörigen, Angestellten, Freunden oder Bekannten des Halters geführt wurden, im allgemeinen zu naheliegend, als dass das Gericht sie ohne weiteres außer Acht lassen könnte.“

Prima im Ergebnis, wenn der Polizeibeamte eher sitzende Tätigkeit bevorzugt. Wie im vorliegenden Fall. Etwas engagiertere Polizisten können da durchaus noch was reißen. Wenn sie rausfahren oder zumindest anrufen, um mit höflichen Fragen vielleicht was Näheres rauszufinden. Das gelingt ihnen aber auch nur bei Leuten, die sich in Unkenntnis der Vorgaben des Verfassungsgerichts um Kopf und Kragen reden. Kann man natürlich machen, man muss es aber bekanntlich nicht.

Drecksstaat darf man über den Staat nicht sagen

Das schrieb ein Student zur Corona-Zeit auf Twitter:

„Ich kriege das absolute Kotzen bei diesem Drecksstaat und jeder einzelnen Person, die dieses menschenverachtende System unterstützt.“

Der Anlass war nachvollziehbar traurig. Der Student durfte seine Großmutter nicht im Altenheim besuchen. Verlassen durfte sie das Heim auch nicht, weil es in der Einrichtung eine Erkrankung gegeben haben soll. Die alte Dame musste ihren 90. Geburtstag alleine feiern. Das führte zur Unmutsäußerung des Studenten.

Aufgrund eines anonymen (!) Hinweises nahm sich der Düsseldorfer Staatsschutz der Sache an. Die Details kann man in verlinkten Artikel nachlesen. Am Ende stand ein Strafbefehl des Amtsgerichts München. 1.500 Euro Geldstrafe soll der Betroffene zahlen, wegen „Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole“ gemäß § 90a StGB.

Gerichte (interessanterweise auch Organe des Staates, also in gewisser Weise selbst betroffen) haben schon öfter darüber gebrütet, wie weit unfreundliche Worte frustrierter Staatsbürger gehen dürfen. Besonders viel Nachsicht ließ man nicht walten. So titulierte ein Bürger die Bundesrepublik als „frischgestrichene Coca-Cola Bude“ – strafbar. Auch die „Bimbes-Republik“ ging nicht mehr als deftige Meinungsäußerung durch, ebenso wenig der „käufliche Saustall“. Das Berliner Abgeordnetenhaus muss sich nach einem anderen Strafurteil nicht als „Allerheiligstes des bürgerlichen Volksbetrugs“ bezeichnen lassen.

Der Student kann gegen den Strafbefehl Einspruch einlegen. Ganz aussichtslos ist die Sache für ihn nicht. Eine Staatsbeschimpfung bzw. -verunglimpfung liegt nur vor, wenn mit der Aussage tatsächlich der Bestand des Landes im Gesamten angegriffen wird, also die freiheitlich-demokratische Grundordnung als solche. Das war hier aber gerade nicht der Fall, denn der Unmut des Studenten richtete sich erkennbar gegen eine konkrete Maßnahme im Zusammenhang mit COVID. Mit etwas gutem Willen könnte man das Ganze noch als Kritik am Staat in einer Sachfrage durchgehen lassen. Ich würde sagen, spätestens am Bundesverfassungsgericht stehen die Chancen hierfür nicht schlecht.

Besser wäre es natürlich gewesen, wenn der Fall sofort wegen Geringfügigkeit eingestellt worden wäre. Laut dem Bericht wurde stattdessen eine Riesenakte angelegt, die etliche Male zwischen Düsseldorf und München hin- und hergeschickt wurde.

Bericht auf Nius

#Befreiung #Niederlage

Zeigt mir bitte Geschichtsbücher aus Frankreich, England, den USA, Russland oder Polen, in denen die bedingungslose Kapitulation des zu diesem Zeitpunkt ohnehin nicht mehr vorhandenen 3. Reiches in erster Linie als „Befreiung“ beschrieben wird, verbunden mit dem mahnenden Hinweis, dass man von einer Niederlage der Deutschen oder einem Sieg über sie aber bitte nicht sprechen darf.

Wir haben den Krieg verloren, und so sehen es die Sieger völlig zu Recht. Der Rest der Welt übrigens auch. Es war und bleibt eine Niederlage im größtmöglichen Umfang. Was ganz einfach daran liegt, dass eure und meine Großeltern und Urgroßeltern sich eingefügt und nicht in nennenswerter Zahl gegen das System aufbegehrt haben. Bis zum Schluss.

Vorrangiges Motiv der Siegermächte war zu keinem Zeitpunkt, uns die Freiheit zu bringen. Ihnen ging es (notgedrungen) darum, den Kriegsgegner Deutsches Reich unschädlich zu machen, der Europa und halb Afrika mit beispielsloser Aggressivität und Menschenverachtung okkuppiert hatte – und der offen nach dem Rest der Welt gierte.

Dieser Gegenwehr hatte Nazideutschland letztlich nichts entgegenzusetzen. Auch deshalb ist der Kern des damaligen Geschehens die Niederlage. Dieser Niederlage wohnte auch ein Element der Befreiung inne. Aber eine „Befreiung“ bezieht sich von ihrer Wirkung her auf die Wochen, Monate und Jahre nach der Niederlage. Bis zur Gründung der Bundesrepublik sind nach dem letzten Schuss noch Jahre vergangen. Dies war die eigentliche Zeit der Befreiung. Es gab die Entnazifizierung. Und es war längst nicht ausgemacht, dass man uns wieder mit offenen Armen integrieren würde (Stichwort: Morgenthau-Plan). Letztlich waren die Vorboten des Kalten Krieges unser Glücksfall. Wir wurden wieder gebraucht, und – vor allem – deshalb hat man uns gut behandelt. Wofür ich persönlich auch dankbar bin.

Wer nun verlangt, man solle von Befreiung sprechen und nichts anderem, hilft den falschen. Nämlich den Feiglingen. Wer von den Siegermächten „befreit“ werden musste, war nach diesem Denkmuster selbst irgendwie Opfer des Systems. Nicht Täter. Nicht Mitläufer. Das Beharren auf „Wir sind befreit worden“ ist im Prinzip nichts anderes als eine nachträgliche Reinwaschung von der ethischen Verantwortung, die jedes Mitglied einer Gesellschaft trägt. Dieser sind die weitaus meisten Deutschen in den Jahren 1933 bis 1945 offenkundig nicht gerecht geworden.

Wobei man sich an diesem Punkt auch immer die Frage stellen muss: Was wäre zum Beispiel meine Rolle als Jurist damals gewesen mit, sagen wir, Geburtsjahrgang 1905? Eine ehrliche Antwort fällt für mich eher beschämend aus. Schön, wenn es bei euch anders ist.

Ich habe das starke Gefühl, dass genau jene, die nun das Narrativ von der Befreiung spinnen, sich genau so eine schmerzhafte Frage noch nie gestellt haben. Nur deshalb fällt es ihnen so leicht, den Deutschen im 3. Reich zu gestatten, sich als „Befreite“ zu fühlen und damit notwendigerweise auch als „Opfer“.

Natürlich könnt ihr es halten, wie ihr wollt. Ich habe kein Problem damit, wenn ihr sagt, wir wir wurden befreit.

Ich habe aus den vorstehenden Gründen aber ein Problem damit, wenn mir verboten wird zu sagen, wir haben verloren.

Jubel über Blitzer-Tod

In Berlin hat ein Smart einen der modernsten Blitzer geschrottet:

„Die Nachricht des Blitzer-„Todes“ verbreitete sich in den Sozialen Medien am Sonntag in Windeseile: Allein das Video eines Tiktok-Nutzers, der die Zerstörung des Blitzers bejubelt, erreichte bis Montagfrüh rund 100.000 Menschen. In den Kommentaren freuten sich zahlreiche Nutzer über den Totalschaden der Anlage. …

Innensenatorin Iris Spranger will die Anzahl der Blitzer in der Stadt deutlich ausbauen: von derzeit 40 auf fast 100.“

Zwischen Absatz 1 und 2 des Zitats gibt es keinen Zusammenhang.

t-online

Ein Angebot, das man nicht ausschlagen kann

Einige Städte machen ein Angebot, das man wirklich nicht ausschlagen kann: Wer seinen Führerschein zurückgibt, kriegt ein Deutschlandticket. Kostenlos!

Aber nicht dass jemand auf die Idee kommt, das Deutschlandticket sei dann 10 Jahre gratis. Oder gar bis zum Lebensende. Die Stadt Lübeck spendiert für den Führerschein längstens ein Jahr Deutschlandticket. Ein „besseres“ Angebot konnte ich nicht finden.

Als ganz schlechter Scherz darf das Angebot der Stadt Dortmund gelten. Ganze zwei (in Ziffern: 2) Monate bietet die Kommune für die Abgabe des Führerscheins. Der finanzielle „Vorteil“ beträgt somit 98 Euro. Dafür kriegt man als Fahranfänger mit etwas Glück anderthalb Fahrstunden.

Wer bei so großzügigen Offerten ernsthaft an einen Führerscheinverzicht denkt, kann das natürlich gerne machen. Man muss sich nur über eines klar sein: Die „Rückgabe des Führerscheins“ werten Führerscheinstellen juristisch völlig korrekt als Verzichtserklärung. Für immer. Es ist dann Feierabend mit dem Autofahren. Anders gesagt: Die Fahrerlaubnis lebt auch mit dem Ende des Dankeschön-Abos fürs Deutschlandticket nicht wieder auf.

Dann bleibt höchstens, einen neuen Führerschein zu machen.

Bericht im MDR