Pay TV: Gericht untersagt Mogelpackung

Der Pay-TV-Anbieter Sky darf ein Bundesligapaket nicht mit einer Preissenkung bewerben, wenn der Kunde dafür weniger Leistung enthält als im angeblich verbilligten Ausgangsangebot. Mit dieser Entscheidung bestätigte das Landgericht München die Auffassung der Verbraucherzentrale Bayern. Die Verbraucherschützer hatten die Werbung als irreführend kritisiert und Sky verklagt.

Mit einem Angebot startete „Sky Deutschland Fernsehen“ im August in die neue Bundesliga-Saison. Das Unternehmen warb damit, dass die Verbraucher alle Spiele der aktuellen Saison live und in HD verfolgen könnten. Der Preis dieser Flatrate wurde zum Bundesligastart im Rahmen einer Werbeaktion von 34,90 Euro auf 29,90 Euro gesenkt. Nach Vertragsschluss mussten die Kunden jedoch feststellen, dass sie für den günstigeren „Statt-Preis“ auch weniger Leistung erhielten. So war beispielsweise die Funktion „Sky Go“ im Aktionsprodukt nicht enthalten.

Die Verbraucherzentrale Bayern wertete das als unzulässige Irreführung. „Werden Statt-Preise höheren Preisen gegenübergestellt, müssen die Produkte auch denselben Leistungsinhalt haben“, sagt Verbandsjuristin Katharina Grasl. Sky dagegen hielt die Werbung für zulässig. Das Landgericht München schloss sich der Auffassung der Verbraucherschützer an. Mittlerweile hat Sky nachgegeben und die Verfügung anerkannt (1 HK O 19035/13).

„Lex Gurlitt“: Einen Schritt zu kurz gedacht

Die Rechtslage im Fall Cornelius Gurlitt muss wirklich veheerend sein – für die Behörden. Indirekt bestätigt jetzt der bayerische Justizminister, was auf der Hand liegt. Sämtliche Fristen für eventuelle Rückgabeansprüche gegenüber Gurlitt sind abgelaufen.

Ein Umstand, von dem auch andere profitieren. Selbst staatliche Museen verweigern öfter die Rückgabe kriminell erworbener Kunstwerke trotz recht eindeutiger Beweislage. Einfach, weil sie hierzu juristisch nicht (mehr) verpflichtet sind.

Nun präsentiert der bayerische Justizminister Winfried Bausback laut Spiegel online seine Idee einer „Lex Gurlitt“.  Er habe einen Gesetzesvorschlag erarbeiten lassen, wonach jemand, der beim Erwerb „bösgläubig“ war, sich nicht auf Verjährung berufen kann. Alles andere, so der Minister, wäre „schwer erträglich“.

Allerdings dürften einige Hürden zu nehmen sein, bevor der Minister sein schlechtes Gefühl loswird. Und das sind keineswegs nur juristische.

Grundsätzlich ist ein rückwirkendes Gesetz auf dem Gebiet des Zivilrechts nicht unzulässig. Das Grundgesetz ordnet ein Rückwirkungsverbot ausdrücklich nur für das Strafrecht an. Allerdings gilt auch für das Zivilrecht das Rechtsstaatsprinzip. Ein Element ist der Wunsch nach Rechtssicherheit. Deshalb gibt es Verjährungs- und Ausschlussfristen für fast alle Sachverhalte. Irgendwann soll mit denkbaren Ansprüchen Schluss sein – unabhängig davon, wie berechtigt die Forderungen im nachhinein wirken mögen.

Losgelöst vom Fall Gurlitt wird man kaum behaupten können, dass sich die maximale Verjährungsfrist für Eigentumsansprüche im Bürgerlichen Gesetzbuch, 30 Jahre, als wahnsinnig unpraktikabel erwiesen hat. Immerhin hat diese Frist auch die letzte große Zivilrechtsreform überlebt, wobei im Detail die Tendenz des Gesetzgebers sogar eher in Richtung Verjährungsverkürzung ging.

Die Frage ist also, ob ein als unerträglich empfundenes Einzelergebnis – so man dies bei Gurlitt wirklich tun will – dazu taugt, eine brauchbare Regelung insgesamt zu kippen. Das Problem bei Gesetzen ist halt, dass sie für eine unbestimmte Zahl von Fällen gelten müssen, deren Verlauf sich im Detail nicht voraussagen lässt. Recht ist eben eine abstrakte Messlatte. Aber immerhin eine, auf deren Maßstab man sich als Bürger vorher einrichten kann. Genau das schafft Rechtssicherheit und schützt uns vor dem Regiment des „gesunden Rechtsempfindens“ und, ja auch, der Willkür von Richtern.

Eins sollte den Bayern ohnehin klar sein. Ein Spezialgesetz, das nur für den Fall Gurlitt gilt, wäre selbst greifbares Unrecht. Spezialgesetze sind aus den soeben dargelegten Gründen verboten. Spätestens das Bundesverfassungsgericht würde so eine Lösung für unwirksam erklären.

Eine derart krass zurückwirkende Regelung wie die Vorgeschlagene müsste also für alle gelten. Auch für die bereits erwähnten staatlichen Museen, die heute mit berechtigtem Hinweis auf eine fehlende Rechtsgrundlage die Herausgabe von Beutekunst ablehnen.

Noch weiter: Auch eine Regelung bloß über Beutekunst wäre mit einiger Sicherheit ein unzulässiges Spezialgesetz. Wenn schon, dann wäre wohl jeder mögliche Erwerb von Sachwerten durch bloßen Zeitablauf hinterfragbar zu machen.

Hier, so finde ich, gewinnt die Idee des bayerischen Justizministers dann doch einen eigenen Charme. Dann müssten sich nämlich auch wieder die heutigen Eigentümer oft ja nicht unerheblicher Sachwerte fragen lassen, wie ihre Vorfahren, insbesondere in der Zeit der NS-Herrschaft, an Betriebe, Häuser, privaten Schmuck, Geld und andere Sachwerte gekommen sind.

Hier wäre mit Sicherheit auch heute noch viel aufzuarbeiten und Gerechtigkeit herzustellen. Uns stünden spannende Jahre bevor, in denen die deutsche Justiz ächzen und so mancher um sein ererbtes Hab und Gut zittern dürfte. Auch wenn alles andere nicht zählt, ist letzteres übrigens der Grund, warum es so ein Gesetz niemals geben wird.

„Erzieherische Gründe“

In Herford soll die Polizei zwei angetrunkene Jugendliche festgenommen und stundenlang eingesperrt haben. Das einzige Vergehen der jungen Männer: Sie hatten ein Polizeiauto fotografiert, das vor dem McDonald’s am Herforder Hauptbahnhof im Halteverbot stand.

Wie der WDR berichtet, soll der Mutter eines Festgenommene am Telefon gesagt worden sein, ihr Sohn müsse aus „erzieherischen Gründen“ einige Stunden im Gewahrsam bleiben. Bevor sie in Einzelzellen gesperrt wurden, mussten sich die Männer noch komplett ausziehen.

Die Staatsanwaltschaft wertet die Sache als gemeinschaftliche Freiheitsberaubung und Nötigung in einem besonders schweren Fall. Im Februar sollen sich die Beamten vor Gericht verantworten.

Nicht angeklagt ist ein Nebenaspekt: Als die Jugendlichen wieder nach Hause durften, sollen die Fotos auf ihren Handys verschwunden gewesen sein.

Flucht aus dem Landgericht

In Kleve ist ein 61-jähriger Angeklagter aus dem Gericht geflohen. Er war gerade zu drei Jahren Haft wegen eines Steuerdelikts (Kaffeeschmuggel) verurteilt worden.

Vor der Urteilsbegründung bat der Mann den Richter am Landgericht, die Toilette aufsuchen zu dürfen. Möglicherweise war das nur vorgeschoben. Denn während vor der Tür ein Wachtmeister wartete, kletterte der 61-Jährige aus dem Fenster der WC-Kabine im zweiten Obergeschoss. Er schwang sich auf ein vor dem Fenster stehendes Gerüst, stieg das Gerüst herunter und flüchtete.

Allerdings spricht viel für einen persönlichen Glücksfall, den der 61-Jährige ausnutzte. Normalerweise ist es den Justizwachtmeistern untersagt, Gefangene auf Toiletten außerhalb der besonders – unter anderem mit vergitterten Fenstern – gesicherten Gewahrsamsräume zu lassen. So wie ich das kenne, halten sich die Mitarbeiter auch strikt daran.

Etwas anderes ist es natürlich, wenn ein Richter kraft seiner Autorität eine Ausnahme zulässt. Womöglich wollte der Vorsitzende hier einfach Zeit sparen, denn kein Richter lässt sich natürlich gern bei der Urteilsbegründung unterbrechen, nachdem er vorher schon die Entscheidung verkündet hat.

Wäre nur schade, wenn andere Gefangene unter der Geschichte leiden müssten. Schon heute gelten an vielen Gerichten so strenge Regeln, dass man manchmal mit Engelsgeduld und vielen freundlichen Worten für etwas Menschlichkeit sorgen muss. Etwa, wenn eine Mutter mal in einer Verhandlungspause ihren inhaftierten Sohn drücken will. Oder wenn es darum geht, dass du als Verteidiger dem Gefangenen ein Päckchen Zigaretten mitbringen darfst.

Die Polizei fahndete gestern mit einem Großaufgebot nach dem Mann. Dabei gab es Verkehrskontrollen; auch der Polizeihubschrauber war im Einsatz. Bislang ist der Angeklagte jedoch verschwunden. Dabei wäre er womöglich leicht zu erkennen, denn an einem seiner Handgelenke war zu Beginn seiner Flucht noch eine Handschelle befestigt.

In Untersuchungshaft saß der Mann, weil er an einem Raubmord beteiligt gewesen sein soll. Deswegen läuft ein gesondertes Verfahren.

Übelkeit am Rand der Autobahn

Wer es versäumt, bei einem Stopp auf der Autobahn sofort ein Warndreieck aufzustellen, haftet für mindestens 50 % des Schadens bei einem Auffahrunfall. Das gilt nach Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm auch dann, wenn der Lenker des auffahrenden Fahrzeugs selbst unaufmerksam war.

Ein Lkw-Fahrer hatte seinen Sattelzug am Rande der Autobahn angehalten, weil ihm schlecht war. Einen Seitenstreifen gibt es an der Stelle nicht. Das Fahrzeug ragte noch deutlich in die Fahrbahn. Ein Warndreieck stellte der Fahrer nicht auf. Er schaltete aber das Warnblinklicht ein. Von hinten kam ein weiterer Lkw, dessen Fahrer zwar ausweichen konnte, wegen Unachtsamkeit aber das abgestellte Fahrzeug noch streifte. Es entstand ein Sachschaden von knapp 30.000 Euro.

Laut Gericht muss der Lenker eines haltenden Fahrzeugs alle notwendigen Sicherungsmaßnahmen ergreifen. Dazu gehört insbesondere auch, ein Warndreieck aufzustellen. Auf die Frage, ob der Lkw-Fahrer wegen seiner Übelkeit zunächst einfach so halten durfte (Notstopp), kam es in diesem Fall nicht an. Nach den Feststellungen des Gerichts hatte der Mann nämlich erst mal sein Fahrzeug gereinigt, nachdem er sich übergeben hatte. Vor der Reinigung hätte er aber in jedem Fall das Warndreieck aufstellen müssen.

Bei diesen Umständen hält es das Oberlandesgericht für angemessen, dass jede Seite nur 50 % ihres Schadens bezahlt bekommt (26 U 12/13).

Schnell einen Termin

Der Mandant hatte es eilig. Sehr eilig. Kein Wunder, er hatte gerade erfahren, dass die Polizei bei ihm zu Hause war. Mit einem Haftbefehl.

Wie ebenfalls so häufig in diesen Fällen, hatte ich Probleme, den Anrufer in seinem Redefluss zu bremsen. Mein Zwischenruf, dass er mir am Telefon jetzt erst mal gar nichts erzählen sollte, ging mehrfach unter. Bis er dann wohl begriff, wie schlecht es ist, in so einer Situation zu reden. Vor allem ins eigene Handy.

Aber er hatte gleich eine andere Lösung. „Ich bin in 20 Minuten bei Ihnen im Büro, o.k.?“ Na ja, so richtig ist meine Botschaft dann wohl doch nicht durchgedrungen. Auch das mit dem spontanen Treffen habe ich ihm ausgeredet. Wir fanden eine andere Lösung , die uns auch zusammenbringt. Näheres möchte ich dazu allerdings nicht sagen.

Ich bin allerdings gespannt, ob das wird aus unserem Treffen. Er erzählte, nachher habe er noch einen Termin bei seiner Bewährungshelferin, den er unbedingt wahrnehmen möchte. Den Termin hat er auch über sein Mobiltelefon ausgemacht. Toll. Die Bewährunshelferin unterliegt zwar der Schweigepflicht. Aber was hilft das alles, wenn durch einen Zugriff erst mal vollendete Tatsachen geschaffen werden?

Schauen wir mal. Die Supernanny bin ich ja nun auch nicht.

(Hinweis für Mitleser im Dienst: Mit der Veröffentlichung dieser kleinen Geschichte habe ich einige Tage gewartet.)

Getrennte Säle für Hoeneß und Zschäpe

Das Münchner Strafjustizzentrum ist kein einladender Ort. Deshalb gibt es ja auch Pläne für einen Neubau. Der lässt allerdings noch Jahre auf sich warten. Was momentan zu einer unverhofften Problematik führt: Muss etwa Bayern-Präsident Uli Hoeneß demnächst in seiner Verhandlung wegen Steuervergehen auf demselben Stuhl Platz nehmen wie eine andere prominente Angeklagte? Die Rede ist von Beate Zschäpe, der Hauptangeklagten im NSU-Prozess.

So weit wird es aber wohl nicht kommen, ist heute in der Süddeutschen Zeitung zu lesen. Als Ausweichquartier wird nämlich rechtzeitig zum Beginn des Hoeneß-Prozesses ein frisch renovierter Verhandlungssal im Justizpalast, in dem derzeit Zivilverfahren abgewickelt werden, zur Verfügung stehen. In dem neuen Saal sollen auch andere Großverfahren stattfinden, etwa der Untreue-Prozess gegen Manager der Bayerischen Landesbank. Oder das Verfahren gegen den Rennsportzaren Bernie Ecclestone – sofern dieser sich dem Prozess überhaupt stellt.

An sich ist das alles kein spektakulärer Vorgang, zumal der Mangel an großen Sälen im Justizzentrum unbestreitbar ist. Die Süddeutsche Zeitung erwähnt aber, die Bayerische Justiz wolle es ausdrücklich vermeiden, Angeklagte wie Hoeneß auf den gleichen Stuhl zu setzen wie Beate Zschäpe. Sollte das zutreffen, wäre so viel vorauseilende Rücksichtnahme allerdings zu hinterfragen. Dem angeklagten Normalbürger wird so was nach meiner Erfahrung in Bayern jedenfalls eher nicht zuteil.

DNA-Pläne: Verwandt, verdächtig, verhaftet

Die künftige Große Koalition erwägt eine deutliche Ausweitung von DNA-Tests. Künftig soll es auch möglich sein, „family searching“ zu betreiben. Dies bedeutet, dass DNA-Proben nicht nur darauf verglichen werden dürfen, ob eine bestimmte Person selbst als Straftäter in Betracht kommt. Vielmehr können dann lediglich ähnliche Proben der Anlass sein, in der Verwandtschaft des Unverdächtigen nach Personen zu suchen, bei denen das DNA-Profil möglicherweise genau passt.

Damit würden Union und SPD eine Rechtslage aufweichen, die der Bundesgerichtshof erst vor kurzer Zeit bestätigt hat. In einem Vergewaltigungsfall waren die DNA-Proben von Teilnehmern an einem freiwilligen Massen-Gentest zunächst darauf untersucht worden, ob sie mit dem Erbgutmuster des möglichen Täters übereinstimmen. Da dies nicht der Fall war, hielt man Ausschau, ob Proben wenigstens der Täter-DNA ähnlich sind. Über diese Methode gelangte man dann an einen jungen Mann in der Verwandtschaft, lud diesen zum DNA-Test und hatte dann den erhofften Treffer.

Juristisch war dies unzulässig, so der Bundesgerichtshof. Denn DNA-Proben dürfen nach dem Wortlaut des Gesetzes nur auf direkte Übereinstimmungen untersucht werden. Hierin sehen die Unterhändler der Parteien laut Zeit online „inaktzeptable Schutzlücken“ vor allem im Sexualstrafrecht.

Gegen die Pläne sprechen viele Gründe. Sie sind zunächst naturwissenschaftlicher Art. So würde bei der Zulassung von Beinahetreffern die Fehleranfälligkeit sehr stark, möglicherweise sogar in Unkontrollierbare steigen. Außerdem erinnere das Verfahren an eine „biologische Rasterfahndung“, sagte etwa der Berliner Genetiker Lutz Roewer Zeit online. In letzter Konsequenz würde die Zahl potenziell Verdächtiger ins Unermessliche gehen.

Damit würden dann auch Menschen ins Visier geraten, die nicht einmal über irgendwelche konkreten Anhaltspunkte (etwa Wohnort in Tatortnähe) mit einem Verbrechen in Verbindung gebracht werden könnten.  Verfassungsrechtlich wäre „family searching“ ebenfalls höchst bedenklich. Schon heute wird bei freiwilligen DNA-Tests die Unschuldsvermutung weitgehend umgedreht. Wer das Wort freiwillig ernst nimmt, gibt den Behörden damit Anlass zu weiteren Ermittlungen (siehe etwa einen aktuellen Fall in Münster). Deshalb ist es auch eher nur noch Makulatur, wenn die Pläne der Großen Koalition die Pflicht vorschreiben, Testteilnehmer über die weiteren Auswertungsmöglichkeiten zu informieren.

Aber vielleicht schlägt ja gerade das Verlangen, rechtsstaatliche Grundsätze aufzuweichen, in diesem Fall ins Gegenteil um. Sich selbst von einem Beinahe-Verdacht reinzuwaschen, ist das eine. Etwas anders könnte es aber schon empfunden werden, wenn man durch einen Test die gesamte eigene Verwandtschaft als potenziell Verdächtige ins Spiel bringt, noch dazu auf wissenschaftlich ungesicherter Basis. Gut möglich, dass in dieser Konstellation die Mitwirkungsfreude der zum Test Geladenen auch mal auf eine zu niedrige Quote sinkt, um noch sinnvoll weiter bohren zu können.

Noch besser wäre es allerdings, gleich gar nicht weiter am Rechtsstaat zu sägen.

Mehr als grenzwertig

Einer der mutmaßlichen Polizistenmörder von Augsburg wird womöglich um einen Prozess herumkommen. Das Augsburger Landgericht stellte nun das Verfahren gegen ihn ein. Raimund M. ist derzeit verhandlungsunfähig.

Ungewöhnlich ist es nicht, dass Angeklagte krank werden. Auch so schwer, dass gegen sie nicht weiter verhandelt werden kann. Im Fall des 60-jährigen M., der mit seinem Bruder gemeinsam einen Polizisten getötet haben soll, kommen aber besondere Umstände ans Licht. Der Zustand des Angeklagten dürfte nämlich wesentlich mit den Haftbedingungen zusammenhängen, die M. seit seiner Festnahme im Herbst letzten Jahres erdulden musste.

Offenbar ist die Augsburger Justiz bei der Verwahrung des Angeklagten bis an die Grenzen gegangen – oder sogar darüber hinaus. Fest steht, dass M. in strenger Isolation gehalten wurde. Täglich 23 Stunden allein in der Zelle, 1 Stunde allein beim Hofgang. Das Gefängnispersonal hatte ein Sprechverbot gegenüber dem Angeklagten. Hinzu kamen Dauerfesselungen außerhalb des Haftraums, selbst im Anstaltsbereich. Und nicht zuletzt entwürdigende Nacktkontrollen, teilweise mehrmals täglich, auußerdem nicht auf die gesundheitlichen Probleme des Angeklagten angepasste Ernährung. Wie die Isolationshaft aussah und welche Folgen sie hatte, beschrieb Julia Jüttner jüngst eindrücklich auf Spiegel online. 

M. ist an Parkinson erkrankt. Dass die Krankheit, verbunden mit heftigsten Depressionen, aber jetzt so durchschlägt, liegt nach Auffassung von M.s Anwalt an eben jenen Haftverhältnissen. Was zunächst als Vorwurf gegen die Justiz im Raum stand, hat aber auch der gerichtlich bestellte Gutachter mittlerweile mehrfach bestätigt. Bei vernünftigeren Haftbedingungen und besserer medizinischer Versorgung würde es dem Verdächtigen heute vermutlich besser gehen. Wahrscheinlich so gut, dass gegen ihn verhandelt werden könnte.

Das Landgericht Augsburg hat das Verfahren jetzt ausgesetzt. Der Prozess gegen M. muss also später komplett neu aufgerollt werden. Ob es jemals so weit kommt, ist allerdings fraglich. Der Sachverständige geht wohl davon aus, es spreche viel für eine dauernde Verhandlungsfähigkeit. Stünde dies fest, müsste M. auch aus dem Gefängnis entlassen werden. Er wäre dann ein freier Mann, zumindest so lange er weiter als verhandlungsunfähig gilt.

Für die Angehörigen des erschossenen Polizisten ist das natürlich schwer zu ertragen. Hierfür müssen sie die Schuld aber nicht beim Angeklagten suchen. Sondern bei denen, die sich solch mehr als grenzwertige Haftbedingungen ausgedacht haben.

Kein Demo-Verbot ohne „Notstand“

Auch entlang der Strecke von Castortransporten darf demonstriert werden. Ein generelles Verbot auch friedlicher Demonstrationen ist unzulässig, entschied der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg.

Die Stadt Karlsruhe hatte im Jahr 2011 für die Strecke entlang eines Castortransports ein komplettes Versammlungsverbot verhängt, und zwar für einen 50 Meter breiten Korridor entlang der Transportstrecke. Zwar verneint das Gericht nicht die Möglichkeit von Ausschreitungen bei Demonstrationen gegen Castortransporte. Allerdings rechtfertige dies kein generelles Versammlungsverbot, sondern nur Maßnahmen gegen konkrete Störer.

Ein vollständiges Versammlungsverbot sei nur zulässig, wenn ein „polizeilicher Notstand“ vorliege. Dazu bedürfe es aber eine Situation, in der die Polizei mit den ihr zur Verfügung stehenden – eventuell durch andere Behörden verstärkte – Mitteln die Sicherheit nicht mehr gewährleisten könne. Hierfür gab es für das Gericht aber keine Anhaltspunkte. Auch die Stadt Karlsruhe konnte nicht darlegen, dass ein polizeilicher Notstand vorlag (1 S 1640/12).

Gericht kippt Googles Kleingedrucktes

Das Landgericht Berlin hat 25 Vertragsklauseln für unwirksam erklärt, die Google in seinen Nutzungs- und Datenschutzbestimmungen verwendet. Die Richter halten die Klauseln für zu unbestimmt und damit unwirksam. Geklagt hat der Bundesverband der Verbraucherzentralen.

Google hatte sich in der Datenschutzerklärung unter anderem das Recht vorbehalten, „möglicherweise“ gerätespezifische Informationen und Standortdaten zu erfassen oder „unter Umständen“ personenbezogene Daten aus den verschiedenen Google-Diensten miteinander zu verknüpfen. Für Verbraucher blieb nach Auffassung der Verbraucherschützer völlig unklar, wozu sie ihre Zustimmung genau erteilen sollten.

Zwölf Nutzungsbedingungen enthielten Formulierungen, die die Rechte der Verbraucher einschränkten. Google behielt sich unter anderem vor, sämtliche in den Diensten eingestellte Daten zu überprüfen, zu ändern und zu löschen. Außerdem reservierte sich Google das Recht, Anwendungen sogar durch direkten Zugriff auf das Gerät zu entfernen sowie Funktionen und Features der Dienste nach Belieben komplett einzustellen. Nur sofern es „vernünftigerweise möglich“ sei, müsse der Nutzer vorab über die Änderung des Dienstes informiert. Eine Erläuterung, was darunter zu verstehen ist, fehlte.

Alles Grund für das Landgericht Berlin, die fraglichen Klauseln für unwirksam zu erklären. Google will gegen das Urteil Berufung einlegen (15 O 402/12).

Kunstschätze: Alle Fristen sind abgelaufen

Die im Jahr 2012 beschlagnahmte Kunstsammlung des Pensionärs Cornelius Gurlitt ist immens groß. Und mit Sicherheit exorbitant wertvoll. Doch handelten die Augsburger Staatsanwälte korrekt, als sie die Bilder einkassierten und wegschlossen? Michael Sontheimer versucht auf Spiegel online, abseits der Moral den juristischen Nebel zu lichten. Sehr gut kommen die Behörden dabei nicht weg.

Zunächst verbreiteten die bayerischen Strafverfolger eine simple Sicht der Dinge. Sie nannten Gurlitts Besitz schlicht Diebesgut, das seinen rechtmäßigen Eigentümern zurückgegeben werden müsse. Doch so einfach ist das alles nicht, wie sich laut Sontheimer nun langsam herausstellt.

So gebe es nur für ein Drittel der 1406 Bilder überhaupt ernsthaft leidlich konkrete Ansätze, dass diese sich illegal in Gurlitts Besitz befinden. Ein beträchtlicher Teil der Werke stamme von Gurlitts Urgroßvater, den Kunstmaler Louis Gurlitt. Auch bei den Werken, die möglicherweise von Gurlitts Vater, einen Kunsthändler, in der Nazizeit als „Entartete Kunst“ aufgekauft wurden, scheiden Rückgabeansprüche aus, weil dies seinerzeit aufgrund eines wirksamen Gesetzes erfolgte.

Aber auch für die möglichen Fälle von Raubkunst scheiden wohl Rückgabeansprüche aus. Der Grund ist simpel, so Sontheimer:

Seit dem Ablauf der Anmeldefrist Ende Juni 1993 gibt es keinerlei rechtliche Grundlage für Restitution mehr. Weder Museen noch Privatleute müssen noch Kunstwerke zurückgeben, die NS-Verfolgten gehörten.

Selbst deutsche Museen hätten seit Ablauf der gesetzlichen Fristen schon zahlreiche Anspruchsteller abblitzen lassen. Ein internationales Übereinkommen aus dem Jahr 1998 sehe lediglich vor, Raubkunst zu ermitteln und auf eine „faire Lösung“ zwischen den Beteiligten hinzuwirken; verbindliches Recht ist das aber nicht.

Offiziell ermitteln die Behörden ja erst mal nur wegen möglicher Steuervergehen gegen Gurlitt. Zwar darf der Staat bei einem ausreichenden Verdacht auch Vermögenswerte sichern. Das aber erst mal nur bis zur Höchstgrenze der möglichen Ersatzansprüche. Selbst wenn Cornelius Gurlitt möglicherweise Werke am Fiskus vorbei verkauft hat, dürfte die – noch zu beweisende – Steuerhinterziehung nur einen Bruchteil des Bilderwertes ausmachen. Dass Gurlitt nicht in Untersuchungshaft gewandert ist und die Behörden nach eigenen Angaben kein Interesse an seinem Aufenthaltsort haben, spricht nicht für einen sonderlich schweren Verdacht.

Deshalb stellt sich nun verstärkt die Frage: Was macht die Staatsanwaltschaft Augsburg da eigentlich? Mit welchem Recht behält sie nicht nur die Bilder ein, sondern stellt sie ins Internet und lässt es zu, dass die Person Cornelius Gurlitt bloßgestellt wird?

Immerhin scheinen die Ermittler nun doch erstmals kalte Füße zu bekommen. Sie rücken nämlich von ihrer zunächst geäußerten schneidigen Auffassung ab. Aktuell kündigt die Staatsanwaltschaft an, Gurlitt solle einen Großteil seiner Sammlung zurückerhalten, aber erst, sobald die Herkunft der Werke geklärt ist und keine Ansprüche Dritter gestellt werden.

Aber auch diese Ankündigung macht skeptisch. Normalerweise ist es noch immer so, dass ohne einen konkreten Verdacht auf Straftaten im Regelfall erst mal gar nichts beschlagnahmt werden kann. Auch gibt es keine Beweislastumkehr in die Richtung, dass der Besitzer von Gegenständen ihren rechtmäßigen Erwerb nachweisen muss.

Es wird also noch hoch her gehen um die unverhofft aufgetauchten Meisterwerke. In seiner Wohnung wird Cornelius Gurlitt die Bilder aber mit Sicherheit nicht mehr einfach so abstellen können. So wenig ihn vielleicht die Polizei beobachtet, so sicher haben schon ganz andere Leute ein Auge auf ihn geworfen.

Der Herr Kollege

In einem Strafverfahren ging es um die Frage, ob und wer die Urkunde eines Notars gefälscht hat.

Dazu lud das Gericht auch einen Rechtspfleger aus dem Grundbuchamt ein, der die mögliche Fälschung aufgedeckt hatte. Ihm war bei der Bearbeitung einer Grundstückssache aufgefallen, dass mit dem Dokument vielleicht was nicht stimmt.

Aus der Ermittlungsakte wusste ich, die Strafanzeige war eine der letzten Diensthandlungen des Rechtspflegers gewesen. Er ging danach in Rente. Das war vor über einem Jahr.

Deshalb war ich etwas erstaunt, wie der Zeuge bei seiner Vernehmung den Gerichtssaal betrat. Unter dem Arm hatte er einen dicken, grünen Aktenordner. Den legte er mittig vor sich auf den Tisch, faltete die Hände und schaute die Richterin erwartungsvoll an.

Bevor die allerdings starten konnte, musste ich einige Fragen loswerden:

Ist das vor Ihnen die komplette Grundbuchakte?

Ja.

Wo haben Sie die her?

Ich habe sie mir vorhin auf der Geschäftsstelle besorgt.

Sind Sie nicht pensioniert? Hatte niemand was dagegen, wenn Sie die Grundbuchakte einfach so mitnehmen?

Nein, meine frühere Kollegin hat sie mir selbstverständlich ausgehändigt.

Zurücktragen musste der frühere Gerichtsmitarbeiter die Akte übrigens nicht. Der Richterin war der Vorgang jetzt auch nicht mehr geheuer. Sie verkündete, dass sie die Dokumente hiermit förmlich beizieht. Dann nahm sie die Papiere an sich.

Überdies ließ sie sie den Vorgang auf meine Bitte hin im Protokoll festhalten, einschließlich des Namens der freigiebigen Gerichtsangestellten. Möglicherweise konnte die Geschichte ja für die Verteidigung meiner Mandantin wichtig werden.

Den Namen seiner früheren Kollegin verriet der Ex-Rechtspfleger übrigens ohne mit der Wimper zu zucken. Na, die wird sich gegebenenfalls bedanken…

Flug verpasst, trotzdem kein Geld

Wenn sich ein Flugzeug wegen nicht erteilter Landeerlaubnis verspätet und der Reisende seinen Anschluss verpasst, hat er keinen Anspruch auf eine Entschädigung nach der EU-Fluggastrechteverordnung. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden.

Ein Geschäftsreisender wollte von Hamburg nach Atlanta fliegen. Als Zwischenstopp war Paris vorgesehen. Das Flugzeug war in Paris an sich pünktlich, erhielt aber keine Landeerlaubnis. Der Reisende verpasste den Anschluss und hätte erst am nächsten Tag fliegen können.

Der Mann verlangte nun die Entschädigung von 600 Euro, die bei Flugverspätungen von mehr als vier Stunden auf der Langstrecke fällig sind. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs muss die Fluggesellschaft aber nicht zahlen. Eine nicht erteilte Landegenehmigung gehöre zu den „außergewöhnlichen Umständen“, die nach der Verordnung Ansprüche ausschließen.

Ähnliches gilt nach früheren Urteilen auch bei Vogelschlag oder sonstigen Hindernissen, welche die Airline nicht selbst beeinflussen kann. Fällt ein Flieger wegen eines Defekts aus, muss aber normalerweise gezahlt werden, da die Airlines Ersatzmaschinen vorhalten muss (X ZR 115/12).