„Deutschland im Jahr 2007, das ist ein Land, als sei es regiert von Franz Kafka als Bundeskanzler und George Orwell als Innenminister, der Geißen-Peter hat das Wirtschaftsressort inne und Enid Blyton ist Familienministerin.“
Demonstranten dürfen näher an den Zaun
Statt auf acht bis zehn Kilometer Abstand verbannt zu bleiben, dürfen sich Demonstranten beim G8-Gipfel dem Sicherheitszaun jetzt bis auf 200 Meter nähern – wenn Rettungswege freibleiben. Das Verwaltungsgericht Schwerin erklärte die Allgemeinverfügung der Rostocker Polizei für rechtswidrig und hob sie in weiten Teilen auf.
Zu den Gründen heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts:
Maßgebend hierfür war die Überlegung, dass den von der Versammlungsbehörde vorgetragenen Sicherheitsbedenken bezogen auf die äußere Zone in einer das Grundrecht der Versammlungsfreiheit schonenderen Weise durch den Erlass von Auflagen Rechnung getragen werden kann. Solche Auflagen hat das Gericht bereits teilweise selbst erlassen.
Danach werden die von den Antragstellern geplanten Aufzüge auf bestimmte, von ihnen im Vorwege allerdings selbst hilfsweise angebotene Routenführungen beschränkt. Damit ist z. Bsp. sichergestellt, dass im Falle etwaiger Rettungseinsätze, aber auch für sonstige Zwecke eine freie Straßenverbindung von Heiligendamm in Richtung Bad Doberan gegeben ist.
Zum anderen ist den Veranstaltern aufgegeben worden, mit Hilfe der von ihnen einzusetzenden Ordner dafür Sorge zu tragen, dass die Gleisanlagen der Mecklenburgischen Bäderbahn „Molli“ von den Versammlungsteilnehmern nicht betreten und der Bahnbetrieb sowie der Zugang der mit der Molli-Bahn zum Tagungsort beförderten Personen über die an der Küste im Bereich Kleiner Wohld gelegene Kontrollstelle seitens der Versammlungsteilnehmer nicht behindert werden.
Traurig an der Sache ist, dass die Sicherheitsbehörden die Rechtswidrigkeit ihrer Anordnung unschwer selbst hätten erkennen können. Doch statt mit Augenmaß vorzugehen, wurde versucht, Maximalpositionen durchzusetzen. Das wirft kein gutes Licht auf die Damen und Herren, welche die Verantwortung tragen.
Feindbild, selbstgemacht
„Der Staat liefert das Feindbild Staat“: Hans-Ulrich Jörges spricht auf stern.de einen drastischen Audiokommentar.
Hamburg: Postkontrolle durch Polizei?
Zwölf Beamte sollen im Hamburger Briefzentrum einen eigenen Raum haben. Dort kontrollieren sie, so Spiegel online unter Berufung auf die taz, den Postverkehr von Globalisierungsgegnern. Die Briefe sollen den Zustellern bestimmter Reviere teilweise aus dem Beutel genommen und der Überprüfung zugeführt werden.
In den Stadtteilen wohnen ja auch zahlreiche Journalisten. Die werden begeistert sein. Deshalb sind die Chancen gut, dass wir zügig erfahren, ob, in welchem Umfang und vor allem mit welchen Argumenten Richter die Postüberwachung angeordnet haben. Dann wird sich zeigen, wie weit hier möglicherweise der Boden des Rechtsstaats verlassen worden ist.
Bisher steht es ja leider 3 : 0. Gegen den Staat. Razzien, Geruchsproben und Demonstrationsverbot waren schon arge Belastungen für den Vertrauensvorschuss, der für die Sicherheitsbehörden derzeit so gerne eingefordert wird.
Nachtrag: Die Post bestätigte inzwischen die Kontrollen (tagesschau.de). Nach einem Bericht der Welt dient die Postkontrolle dazu, Bekennerschreiben an Redaktionen abzufangen. Das ist interessant. Hat schon jemand davon gehört, dass Redaktion bei ihnen eingehende Bekennerschreiben der Polizei vorenthalten?
Links 96
Ärger für Justiz-Hardliner
Der Berliner Oberstaatsanwalt Roman Reusch muss sich wegen seiner Äußerungen in einem Spiegel-Streitgespräch disziplinarisch verantworten. Die Justizsenatorin hat das angeordnet, berichtet der Tagesspiegel.
Über die Auffassungen des Strafverfolgers haben wir auch im law blog diskutiert.
Versteckte Kosten
Bei meinem Privatkonto kann ich jetzt auch Bausparverträge online einsehen. Da lese ich bei einem Darlehen:
03.04.2007 30.06.2007 Einzahlung 306,77 EUR
03.05.2007 30.06.2007 Einzahlung 306,77 EUR
Das erste Datum ist der Zahlungseingang. Das zweite ist der Tag, an dem die Einzahlung wertgestellt wird. Ich gucke erstmals in meinem Leben in Bausparbedingungen. Tatsächlich, Zahlungen werden nur vierteljährlich gebucht. Das gilt auch für Sondertilgungen. Wenn man taggenaue Gutschrift haben will, kostet das Darlehen von vornherein 0,25 Prozent Zinsen mehr.
Solche Tricks kannte ich bisher nur von Tagesgeldkonten. Es gibt Anbieter, die schreiben die Zinsen monatlich gut. Oder zumindest einmal im Quartal. Was den Vorteil hat, dass man früher Zinsezins erhält und faktisch eine höhere Rendite erzielt. Andere Banken warten stur bis zum Jahresende, bevor sie die Zinsen ausweisen.
„Zur Kenntnisnahme“
Das Gericht schickt mir einen frisch erlassenen Haftbefehl. „Zur Kenntnisnahme“. Das ist auch eher selten. Sogar höchst ungewöhnlich. Aber womöglich hofft man, dass ich meinen Mandanten dazu bewege, sich dem Verfahren zu stellen.
Aber er ist unbekannten Aufenthalts. Außerdem ist nicht klar, was ich dem Mann rate. Und ob er gegebenenfalls auf mich hört. Wäre es da nicht reizvoll, nun meine Kommunikation zu überwachen? Denn spricht nicht eine Vermutung dafür, dass ich mich jetzt mit ihm in Verbindung setze, sofern ich dies überhaupt kann? Immerhin gehört es zu meinen Pflichten, den Auftraggeber über wichtige Dinge zu informieren, die das Mandat betreffen.
Allerdings ist es verboten, mich als Verteidiger zu überwachen. Und zwar nicht erst seit dem neuen El-Masri-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts.
Ich glaube, ich rufe den Richter mal an.
Auf den Hund gekommen
„Die Bundesanwaltschaft ist auf den Hund gekommen.“ Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, übt in einem Interview mit WDR 5 harte Krtik an der neuen Schnüffelpraxis. Gleichzeitig fordert er, dass Demonstrationen in „in diesem friedlichen Land Deutschland“ möglich sein müssen – auch nahe des G8-Gipfels.
Dubiose Werbung gerichtlich gestoppt
Im Streit um Datenschutzverletzungen (früherer Bericht) bei der Werbung um EDV-Programme in Düsseldorfer Arztpraxen, ist jetzt die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) gerichtlich gegen die werbende Softwarefirma aus Solingen vorgegangen.
Die Firma kannte aus dubiosen Quellen die vertrauliche Abrechnungssoftware von Psychotherapeuten und bot einen zahlungspflichtigen Umtausch an. Diese Praxis hat jetzt das Landgericht Wuppertal in einer einstweiligen Verfügung unter Androhung von Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro untersagt.
Der Solinger Firma ist zugleich verboten worden, auf ihren Briefumschlägen das nordrhein-westfälische Staatswappen zu führen und sich „kv-abrechnung.info“ zu nennen: „Das ist eine irreführende Behauptung, die eine falsche Autorität suggeriert “, sagte gestern KVNO-Sprecherin Ruth Bahners. (pbd)
Zeigt doch mal
Heute erzählte mir ein Mandant, wie er – als Mitglied einer Gruppe junger Reisender – von Polizisten im deutsch-holländischen Grenzgebiet angesprochen wurde:
Zeigt uns doch mal, was ihr dabei habt. Ihr habt doch nur Eigenbedarf. Der ist kein Problem, das wisst ihr doch.
Natürlich wurde dann ungerührt auch wegen der kleinsten Menge ein Strafverfahren angeschoben.
Komplett reguliert
Handy-Telefonate im Ausland werden billiger. Das freut den Verbraucher. Auf der anderen Seite sollte es vielleicht in wenig nachdenklich machen, wie die EU par ordre de Mufti einen kompletten Markt reguliert.
Früher war so was ein Schreckgespenst. Es hörte auf den Namen Sozialismus.
Private Verwendung
Bei einem Mandaten sind einige Sachen beschlagnahmt worden, darunter auch hochwertige Handschellen. Die Staatsanwaltschaft ist mit einer Einstellung des Verfahrens einverstanden. Allerdings soll mein Auftraggeber auf die Fesseln verzichten.
Am Telefon begründete der Staatsanwalt dies so:
Wir können doch nichts zurückgeben, wofür man im zivilen Leben keine Verwendung hat.
Ich wies darauf hin, dass es für Handschellen durchaus Verwendungsmöglichkeiten gibt, sogar höchst private. Das führte dann zu einem heiteren Erfahrungsaustausch, unter anderem über Razzien in Dominastudios.
In der Sache hatte ich leider keinen Erfolg. Die Handschellen verstauben jetzt erst mal in der Asservatenkammer.
Zur Einsicht fähig
Werter Herr Udo Vetter,
das Urheberrecht ist ein sehr schwieriges Gesetz. … Aber egal, ich akzeptiere Ihre Meinung und betrachte die Angelegenheit als beendet.
Mit freundlichen Grüßen
Es gibt doch noch einsichtsfähige Menschen.
„Schnüffelstaat in Perfektion“
Politiker von SPD, Grünen und FDP haben entsetzt auf die Praxis der Polizei reagiert, bei G8-Gegnern Körpergeruchsproben zu nehmen, berichtet tagesschau.de.
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse und der DDR-Bürgerrechtler Gunter Weißgerber fühlen sich an Stasi-Zeiten erinnert. Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele erkennt den „Schnüffelstaat in Perfektion“. Der stellvertretende FDP-Fraktionschef Max Stadler spricht von „unverständlichen Methoden“, die vermutlich „ins Blaue hinein“ gesammelt werden. Immerhin sei unklar, woher man heute schon wisse, wer Anfang Juni gewalttätig demonstrieren wolle.
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble rechtfertigt die Maßnahmen mit dem Hinweis, die Polizei müsse für die Sicherheit des Gipfels sorgen. Geruchsproben seien ein Mittel, um in gewissen Fällen Tatverdächtige zu identifizieren. Die Polizeigewerkschaft verbittet sich in der Netzeitung jedwede Kritik. Für die Polizeifunktionäre sind Geruchsproben eine rechtsstaatlich abgesicherte Fahndungsmethode.
Zum Thema gibt es auch einen Hintergrundbericht von Spiegel online.