LESETAG

„Wie er aufwacht, ist es elf. Jetzt mußt du wissen, immer wenn der Brenner mehr als acht Stunden geschlafen hat, ist er mit Kopfschmerzen aufgewacht. Jetzt hat er aber vierzehn Stunden geschlafen. Und genau in dem Moment, wie ihm ein Arzt mit der elektrischen Handstichsäge den Schädel absägen will, wacht er auf. Natürlich gleich ins Klo gekotzt, aber das Kopfweh ist nachher nur noch heftiger gewesen. Möchte man glauben, man kann es hinauskotzen, aber nichts.“

Wolf Haas, Auferstehung der Toten

GEFÄHRTEN

Aus dem Schriftsatz eines Anwalts:

Richtig ist, dass die Antragstellerin einen neuen Lebensgefährten in ihre Wohnung aufgenommen hat. … Diese Lebensgemeinschaft ist bewusst auf eine wirtschaftliche Trennung der jeweiligen Partner ausgelegt.

Ist vielleicht nur mein Eindruck, aber das könnte man geschickter formulieren.

KEINE LUST MEHR

Ein Polizeibeamter regt sich darüber auf, dass ich mich erdreiste, für meinen Mandanten um Verlegung eines Vernehmungstermins zu bitten. Mein Mandant soll als Zeuge befragt werden.

Ich weise darauf hin, dass man von einem Berufstätigen ja wohl kaum erwarten kann, dass er am Montag um 9.30 Uhr Zeit hat. Vor allem, wenn man ihm die Ladung am Freitag schickt. Hilft nichts. Der Beamte will nicht mit sich reden lassen.

Ich weise auf den schönen Zusatz hin, der in der Ladung steht:

Im Fall der Verhinderung (z.B. berufliche Gründe, Krankheit) wird um rechtzeitige (telefonische) Mitteilung gebeten, damit ein neuer Termin vereinbart werden kann.

Das steht da? Na ja, muss wohl. Er murmelt was von Formblättern aus dem Computer, für die er nicht verantwortlich ist. Trotzdem: Einen neuen Termin gibbet nischt.

Am Ende habe ich auch keine Lust mehr. Dann kommt mein Mandant halt gar nicht. Und eine Aussage macht er auch nicht. Schließlich ist er zu gar nichts verpflichtet, so lange er nicht von der Staatsanwaltschaft vorgeladen wird.

Der Staatsanwalt, den der Polizeibeamte dann anscheinend angerufen hat, scheint sich bedankt zu haben. Jedenfalls kriege ich jetzt ein Fax von der Polizei mit einer neuen Vorladung. Zum Wunschtermin meines Mandanten.

AUF BEWÄHRUNG

Das Amtsgericht Düsseldorf soll einen Straftäter „auf Bewährung“ freigelassen haben, der wegen einer anderen Straftat bereits zu fünf Jahren Haft verurteilt war. Wie der WDR berichtet, hatten Gericht, Staatsanwaltschaft und Wachtmeister übersehen, dass gegen den Mann noch ein entsprechender anderer Haftbefehl bestand.

Der Straftäter soll nach wie vor flüchtig sein.

(Danke an M.A. für den Hinweis)

FORMALE KARTE

Im Rechtstreit zwischen den Eltern des Hackers Tron und dem deutschen Wikipedia-Verein ist heute keine Entscheidung gefallen. Wie heise online berichtet, zieht der Klägeranwalt jetzt die formale Karte.

Er bezweifelt, dass der Wikipedia-Anwalt ordnungsgemäß mandatiert ist. Angeblich handelt es sich bei der Verteidigung um einen Alleingang einiger Vorstandsmitglieder.

Klingt so, als falle der Klägerseite nichts Gescheites mehr ein.

ELEGANT

Wenn die Zeugenvernehmung schlecht für die Anklage läuft, sucht das Gericht gerne eine Exitstrategie. Den Freispruch meiden heißt die Staatskasse schonen. Die müsste sonst die Anwaltskosten tragen.

Heute erlebte ich mal wieder eine elegante Lösung. Staatsanwalt und Gericht war gegenwärtig, dass gegen meinen Mandanten noch eine andere Sache läuft. Als sich die aktuelle Anklage – den wackeligen Belastungszeugen sei Dank – als kaum haltbar erwies, stand sofort eine Einstellung nach § 154 Strafprozessordnung im Raum. Kurz gesagt, wird das aktuelle Verfahren ad acta gelegt, weil es gegenüber der anderen Angelegenheit nicht ins Gewicht fällt.

Die Einstellung auf diesem Wege funktionert sogar, wenn der Angeklagte ausdrücklich widerspricht. Den Protest haben wir uns dann auch gespart. Meinem Mandanten fiel es schwerer als mir.

NUR GEÜBT

In einer Verkehrsstrafsache habe ich zunächst die Halterin des Fahrzeuges vertreten. Das Verfahren wurde mangels Tatverdacht eingestellt. Jetzt ist ihr Ehemann im Visier. Ihm wird Beihilfe zum Fahren ohne Fahrerlaubnis vorgeworfen.

Der Ehemann hatte in der Familienkutsche mit einer Bekannten, die den Führerschein macht, Einparken geübt. Auf einem großen, verlassenen Parkplatz. Wie nicht anders zu erwarten, fiel das einem unserer omnipräsenten Motorradpolizisten auf.

Ich musste erst einmal checken, ob ich den Ehemann überhaupt verteidigen darf, wenn ich bereits seiner Gattin aus der Patsche geholfen habe. (War nicht schwierig. Sie war nicht dabei. Und wusste von nichts.) Es gibt nämlich das Verbot der Doppelverteidigung, § 146 Strafprozessordnung. Aber selbst der Katechismus für Strafverteidiger hält die sukzessive Verteidigung für zulässig.

Dann traue ich mich mal.

VOR DEM AUSLAUFEN

Aus einem Fristverlängerungsantrag Münchner Rechtsanwälte:

Der bei den Prozessbevollmächtigten der Klägerin allein mit dieser Angelegenheit befasste Rechtsanwalt sieht sich infolge anderweitiger starker Arbeitsüberlastung außer Stande, den Stellungnahmeschriftsatz noch fristgerecht fertig zu stellen, zumal dieser entsprechend guter anwaltlicher Gepflogenheit der Klägerin vor dem Auslaufen nochmals mit der Bitte um Durchsicht und Freigabe zugeleitet werden soll.

GELDSEGEN

Ein Mandant kam zu mir, weil er sich über die Mahnung seines Vermieters ärgerte. Der Vermieter informiert über die „aktuellen Mietrückstände“. Und fordert 2.874,44 €. Der Mandant war irritiert, als dieses Schreiben bei mir ein zufriedenes Lächeln auslöste.

Die Miete mindert mein Mandant schon seit etlichen Jahren. Aus guten Gründen. Der Vermieter hat sich auch nie so richtig dagegen gewehrt. Einen Mahnbescheid, den er beantragte, nahm er sogar wieder wieder zurück und trug anstandslos die Anwaltskosten.

So kamen im Laufe der Zeit schöne Beträge zusammen. Eine Computermahnung aus dem Jahr 2004 weist zum Beispiel einen Betrag von 13.969,66 € aus. Und der ist realistisch. Also ein guter Grund, sich über die neue Mahnung zu freuen. Denn dadurch hat sich der Mietrückstand jetzt auch offiziell um 11.000 € reduziert; rechtlich wird sich der Vermieter auf seine Saldomitteilung festnageln lassen müssen.

Sieht also ganz so aus, als könnte der Mandant mal das Festgeldkonto plündern, auf das er die Minderungsbeträge vorsorglich eingezahlt hat. Als er das verstanden hatte, lächelten wir beide.