Rechte? Welche Rechte?

Nach der Strafprozessordnung ist alles so einfach:

Bei Beginn der ersten Vernehmung ist … der Beschuldigte darauf hinzuweisen, dass es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen…

Schauen wir mal, wie das in der täglichen Praxis läuft. Etwa in einer Verkehrsstrafsache. In der Anzeige der Polizei lesen wir folgendes:

Nachdem das Fahrzeug zum Stillstand gekommen war, haben die Beamten das Fahrzeug verlassen und sich zu dem Fahrer begeben. Der Fahrer teilte gegenüber den Beamten mit, er sei kurz zuvor während der Fahrt eingenickt. Sein Fahrzeug sei gegen den Randstein gestoßen. Er habe Alkohol konsumiert.

Aha, spätestens jetzt war höchste Zeit für die gesetzlich vorgeschriebene Belehrung über das Schweigerecht. Denn der Anfangsverdacht einer Straftat war unzweifelhaft spätestens in dem Augenblick gegeben, in dem der Autofahrer was von Alkohol sagte. Dann lesen wir weiter:

Nach Eintreffen der Kollegen wurde der Fahrzeugführer erneut zum Vorfall befragt. Gegenüber den Beamten bestätigte er die zuvor gemachten Angaben. Der spätere Beschuldigte wirkte auf die eingesetzten Beamten orientiert.

Jetzt war der Autofahrer schon zwei Mal befragt worden. Belehrung? Aber nicht doch. Vielmehr geschah folgendes:

Aufgrund seiner Aussage und des Alkoholgeruchs in der Atemluft des Fahrzeugführers, wurde bei diesem ein freiwilliger Atemalkoholtest durchgeführt. Dieser ergab einen Atemalkoholwert von 0,47 mg/l.

Zwei Befragungen, zwei Mal die Angabe des Beschuldigten, er habe Alkohol getrunken, ein „freiwilliger“ Atemalkoholtest. Die Ermittlungen waren in diesem Augenblick sozusagen abgeschlossen, der Beschuldigte hatte tatkräftig an seiner Überführung mitgewirkt (obwohl er gar nichts hätte sagen oder tun müssen).

Nun fiel den Beamten immerhin ein, dass da noch was fehlte:

Aufgrund dessen wurde der Fahrzeugführer entsprechend belehrt und erneut zum Sachverhalt befragt. Auch nach erfolgter Belehrung bestätigte er die zuvor gemachten Angaben.

Ja, so macht die vom Gesetz vorgeschriebene Belehrung natürlich viel Sinn. Am schönsten finde ich, dass der Polizist an einer Stelle vom „späteren Beschuldigten“ fabuliert. Dem kann man wohl entnehmen, dass er der Meinung ist, den Zeitpunkt selbst bestimmen zu können, wann er jemand zum Beschuldigten macht.

Dass dieser selbstgewählte Zeitpunkt nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht, ist dem Beamten möglicherweise gar nicht bekannt. Das ist noch die harmloseste Interpretation. Ebenso ist es möglich, dass er genau weiß, wann ein Beschuldigter nach dem Gesetz zu belehren ist. Und dass es ihn schlicht nicht interessiert, wie so vielen seiner Kollegen auch.

Ministerium: Leipziger Polizei sollte sachlicher informieren

Im Beitrag „Hetzer in Uniform“ hatte ich auf eine Pressemitteilung der Polizeidirektion Leipzig hingewiesen, die nicht nur nach meiner Meinung mit den Aufgaben einer Behörde unvereinbar ist. Stichworte: Unschuldsvermutung, Sachlichkeitsgebot und Diskriminierungsverbot.

Nun liegt auch eine offizielle Stellungnahme des Sächsischen Innenministeriums vor. Darin heißt es, die Medieninformation hätte in der gewählten Ausdrucksweise nicht herausgegeben werden dürfen. Die durchaus lesenswerte Reaktion möchte ich hier nicht vorenthalten. Sie ist hier auf Twitter veröffentlicht.

Was erlauben Anwalt?

Was erlauben Anwalt? Auf jeden Fall zu viel, wenn es nach dem Präsidenten eines ostdeutschen Landgerichts ging. Dieser Präsident stellte Strafantrag gegen einen Rechtsanwalt. Der Anwalt hatte sich erdreistet, eine Verhandlung vor dem Amtsgericht als „Musikantenstadl“ zu kritisieren.

Man darf schon erstaunt sein über den Strafantrag als solchen. Noch erstaunlicher ist es allerdings, dass der Rechtsanwalt wegen dieser Äußerung tatsächlich wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Seine Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts nahm das Landgericht noch nicht einmal zur Entscheidung an, weil diese „offensichtlich unbegründet“ sei.

Etwas länger darüber nachdenken, hätte wahrscheinlich geholfen. Letztlich müssen sich die Vorinstanzen nun nämlich vom Bundesverfassungsgericht sagen lassen, dass selbst scharfe Kritik zum Kernbereich dessen gehört, was vor Gericht gesagt werden darf. Und zwar schon deswegen, weil es möglich sein muss, „Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können“.

So einfach ist das. Ob sich an der Ehrpusseligkeit mancher Gerichte etwas ändert, ist eine andere Frage. Zum einen wehren sich nur die wenigsten Betroffenen bis zum Bundesverfassungsgericht. Und selbst dort werden ja nur die wenigsten Fälle zur Entscheidung überhaupt angenommen. Der Betroffene kann also von Glück reden, viele andere, denen es ähnlich geht, schauen ohne Hilfe aus Karlsruhe in die Röhre (Aktenzeichen 1 BvR 180/17; RA Detlef Burhoff zum gleichen Thema).

Schaden immer zügig melden

Bei der Meldung eines Unfallschadens am Auto darf man sich nicht zu lange Zeit lassen. Wer seine Versicherung nicht innerhalb einer Frist von einer Woche informiert, bleibt möglicherweise schon alleine deswegen auf dem Schaden sitzen. So erging es jedenfalls einem Autofahrer. Dieser blitzte mit einer Klage gegen seine Kaskoversicherung vor dem Oberlandesgericht Hamm ab.

Der Mann behauptete, sein Porsche Boxster sei im Dezember 2015 verkratzt worden. Darüber informierte er die Versicherung aber erst im Juni 2016. Für den Schaden selbst interessierten sich die Richter nicht. Sie verweisen stattdessen auf die Versicherungsbedingungen, die eine Meldung innerhalb einer Woche erfordern.

Das ändere sich auch nicht dadurch, dass der Kläger nach eigenen Angaben zunächst hoffte, er könne vom Schädiger selbst Geld bekommen. Der Kläger hatte nämlich einen Namen und eine Handynummer auf einem Zettel an der Windschutzscheibe gefunden. Die „Spur“ ging jedoch ins Leere.

Die kurze Meldefrist sei auch sinnvoll, so das Gericht. Nur so könne die Versicherung zügig selbst ermitteln (Aktenzeichen 20 U 42/17).

Unter falscher Flagge

In Bamberg haben sich 80 Vorsitzende von Strafkammern und Strafsenaten getroffen, um über die „Zukunft des Strafprozesses“ zu sprechen und konkrete Forderungen an den Gesetzgeber zu formulieren. Das Ergebnis dieses zweiten bundesweiten Strafkammertages ist ebenso erwartbar wie bürgerunfreundlich (vorausgesetzt, dass der Bürger einmal Angeklagter in einem Strafverfahren wird).

Die Forderungen entsprechen wenig fantasievoll jenem Katalog, der seit Jahren ohnehin häppchenweise abgearbeitet wird. Erhöhte Anforderungen an – lästige – Beweisanträge der Verteidigung, weitere Aushöhlung des ohnehin schon ins fast nicht mehr Erkennbare abgeschliffenen Befangenheitsrechts, Verkürzung des Instanzenzuges, neue und höhere Begründungsanforderungen an Rechtsmittel.

Dies alles verfolgt angeblich das Ziel, den Strafprozess „gerechter“ zu machen, wie es vollmundig in der Abschlusserklärung heißt („Gerechter Strafprozess braucht gute Gesetze“). Seltsamerweise finden sich in dem Forderungskatalog aber ausschließlich Punkte, die den Strafprozess leichter und schneller abwickeln lassen. Überdies sind es nur Punkte, die den Angeklagten, die Verteidigung, aber etwa auch Nebenkläger in ihren Rechten einschränken. Es ist schon erstaunlich, wie wenig, besser gesagt keinen Verbesserungsbedarf die Runde offenbar auf der eigenen Seite gesehen hat.

Wenn man auf Seiten dieser Richter ehrlich wäre, geht es gar nicht um mehr Gerechtigkeit im Strafprozess. Sondern um Effizienz auf Kosten der Gerechtigkeit. „Gerecht“ sind solche Forderungen für den betroffenen Bürger jedenfalls nicht. Keine einzige von ihnen erhöht seine Chance auf ein richtiges bzw. richtigeres Strafurteil.

Richter verlangen im Gerichtssaal Tag für Tag Ehrlichkeit. Sie sollten deshalb selbst besser nicht unter falscher Flagge segeln.

Pressemitteilung zum Strafkammertag

Gericht bestraft Soldaten wegen Volksverhetzung

Ein Berufssoldat kann wegen Volksverhetzung bestraft werden, wenn er auf Facebook kriminelle Ausländer und Flüchtlinge als „Gesochse“, „Affen“, „Ungeziefer“ und kriminelles „Pack“ beschimpft. Dies hat das Oberlandesgericht Hamm entschieden.

Im Januar 2016 schrieb der damals 33 Jahre alte Soldat auf einer Facebook-Seite mehrere Kommentare. Zu einem Artikel über einen in einem Zugabteil straffällig gewordenen Flüchtling schrieb er: „Grenzen sofort schließen alle illegalen Einwanderer oder die so genannten Flüchtlinge sofort abschieben. Das Geld was aufeinander für die Affen da ist sollte lieber unseren eigenen obdachlosen oder Rentnern zu gute kommen das War nie Geld für da aber auf einmal können wir die alle durchfüttern? Der große knall Wird kommen und das sehr bald.“

Wenige Minuten später fügte er das Bild eines Transall-Flugzeuges ein und schrieb: „Deutschland will Transall-Maschinen der Bundeswehr einsetzen, um abgelehnte Asylbewerber schneller abzuschieben. In der CSU streitet man noch, aus welcher Höhe der Abwurf erfolgen soll.“

Einen Artikel über einen Ladendieb mit arabischen Wurzeln kommentierte der Angeklagte: „Irgendwann wird auch das kriminelle Regierungspack merken dass die Integration für dieses gesochse voll in die Hose gegangen ist und dieses Ungeziefer nur unsere Geld haben will. Denn wenn die wirklich Hilfe brauchen würden sieht Dankbarkeit meiner Meinung aber ganz anders aus.“ Wenige Minuten später schrieb der Angeklagte: „Wieder ein so genannter bedauerlicher Einzelfall hahahahahahahaha Abschieben dieses Pack.“

Der Mann war über sein Facebook-Profil identifizierbar, wobei er sich dort auch ausdrücklich als Berufssoldat vorstellte. Von daher, so schon die Vorinstanzen, handeltee es sich nicht nur um die Äußerung einer Privatperson, sondern um die eines Berufssoldaten, bei dem die Allgemeinheit davon ausgehe, dass er die verfassungsmäßigen Rechte auch von Ausländern schützte. Deshalb sei das Verhalten geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören. Der Mann muss nun eine Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 25 Euro zahlen; bei der Bundeswehr ist er nicht mehr beschäftigt (Aktenzeichen 4 RVs 103/17).

Nachtrag: Der Autor Akif Pirinçci ist auch wegen Volksverhetzung verurteilt worden.

Hetzer in blauer Uniform

Etwas fassungslos macht mich momentan ein Pressebericht, den die Polizei Sachsen – Polizeidirektion Leipzig – gestern offiziell verbreitet hat. Am Tag, nachdem die AfD bei der Bundestagswahl stärkste Kraft in dem Bundesland geworden ist.

Hier ist der Text:

Auf Twitter rudert @PolizeiSachsen nach Kritik etwas zurück. Der Text bzw. ein Tweet sei gelöscht. Er entspreche nicht den Standards der Behörde. Mit den verantwortlichen Kollegen soll „intern“ gesprochen werden.

Ja, sicher.

Nachtrag: Nun scheint die Polizeimeldung doch online zu sein. Diesmal ist sie ergänzt durch eine Stellungnahme. Diese lautet:

Gerade weil wir uns der aktuellen politischen Lage bewusst sind, möchte die Pressestelle auf folgendes explizit hinweisen: Die Pressemitteilung erfolgte im Wissen um die einseitige Wahrnehmung der Polizei, welche berufsbedingt fast ausschließlich mit negativen Aspekten des Flüchtlingszustroms befasst ist. Die Polizisten kennen, bedingt durch ihre Aufgaben der Straftatenverfolgung, nur eine Seite der Medaille. Sie dient daher ausdrücklich nicht der Pauschalisierung und der Ausbildung/Bestärkung von Stereotypen. (KG)

Was da steht, ist eigentlich noch unerträglicher als der Originaltext.

Kurzer Prozess mit einem sehr alten Mann

Mit einem hochbetagten Mann hat das Landgericht Baden-Baden im wahrsten Sinne des Wortes kurzen Prozess gemacht. Die Richter verurteilten den zur Tatzeit 94-Jährigen zu 9 Monaten Gefängnis – ohne Bewährung. Dem Angeklagten zwar der zweimalige Missbrauch eines Kindes nachgewiesen worden.

Laut dem Urteil war der Mann schwer krank. Er litt an Diabetes, Herzrhythmusstörungen, Osteochondrose und den Folgen eines Schlaganfalls. Er konnte sich altersbedingt nur noch mit einem Rollator oder einem Gehstock fortbewegen. Das Landgericht Baden-Baden beschrieb ihn selbst als „hochbetagt“. Hinzu kam, dass der Mann strafrechtlich bisher noch nie aufgefallen war.

Man muss kein studierter Jurist sein, um sich zu fragen, wieso eine Strafkammer am Landgericht nicht eine naheliegende Frage stellt. Nämlich die, ob der Angeklagte möglicherweise schuldunfähig war. Oder ob er zumindest in seiner Schuldfähigkeit eingeschränkt war. Doch genau diese Frage diskutierte das Gericht mit keinem Wort – was jetzt wenig überraschend zu einer Urteilsaufhebung durch den Bundesgerichtshof führt.

Das Alter alleine zwingt auch nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht dazu, dass die Schulfähigkeit eines Angeklagten grundsätzlich zu hinterfragen ist. Auch dann nicht, wenn der Täter erstmals straffällig wird. Aber so ein hohes Alter und die Vielzahl der Erkrankungen sowie die damit verbundenen Einschränkungen waren in diesem Fall doch deutliche Indizien, die auf „die Möglichkeit einer durch Altersabbau bedingten Enthemmung hindeuten“.

Dem Gericht, das über die Sache jetzt neu entscheiden muss, empfiehlt der Bundesgerichtshof die Einschaltung eines Sachverständigen mit besonderer Erfahrung auf dem Gebiet des Altersabbaus. Und eine weitere Warnung folgt auf dem Fuß: Wenn es überhaupt erneut zu einer Freiheitsstrafe kommt, muss die Bewährungsfrage besonders sorgfältig geprüft werden (Aktenzeichen 4 StR 190/17; RA Detlef Burhoff zum gleichen Thema).

„Wir können jetzt nur abwarten“

Ich habe einen neuen Mandanten. Dieser sitzt seit geraumer Zeit in Untersuchungshaft. Dort möchte er verständlicherweise raus. Demgemäß möchte er – natürlich – auch alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, die er hat.

Sein bisheriger Verteidiger, laut Briefkopf Fachanwalt für Familienrecht mit den Interessenschwerpunkten Arbeits- und Mietrecht, hat sich auch für eine Haftentlassung eingesetzt. Unter anderem mit einer Haftbeschwerde. Über die Begründung will ich jetzt nicht groß was sagen; jedenfalls wurde die Beschwerde verworfen.

Aber jetzt kommt’s, und ich zitiere aus dem Schriftverkehr zwischen Mandant und Anwalt:

Mandant: Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt, bitte holen Sie mich hier raus. Ich bitte Sie inständig, gehen Sie bis nach Karlsruhe, wenn es sein muss.

Verteidiger: Leider können wir derzeit nichts weiter tun. Die Entscheidung des Gerichts ist erst einmal verbindlich, denn der Rechtsweg ist insoweit ausgeschöpft. Wir können jetzt nur die Hauptverhandlung abwarten.

Das ist dann doch eher eine suboptimale Auskunft. Wenn eine Haftbeschwerde vom Landgericht abgewiesen wird, ist der Rechtsweg keineswegs ausgeschöpft. Das steht eigentlich recht deutlich in § 310 StPO. Danach ist die weitere Beschwerde zwar grundsätzlich unzulässig. Aber es gibt halt Ausnahmen, und dazu gehören ausdrücklich Beschlüsse, die eine „Verhaftung“ betreffen. Abschließend entscheidet also das Oberlandesgericht.

Aber halt nur, wenn man weiß, dass es die „weitere Beschwerde“ tatsächlich gibt und man diese auch einlegt. Die Beschwerde habe ich jetzt rausgeschickt, mit komplett anderer Begründung. Das ist natürlich keine Erfolgsgarantie. Aber auch bei einem Misserfolg weiß der Mandant, dass er alle Chancen genutzt hat – und genau darauf legt er ja wert.

Wer ist der Mann?

Über einen Sachverständigen für IT-Forensik sollte man ja zumindest ein paar Google-Treffer erzielen. Zumal er auf seiner Internetseite behauptet, langjährige Erfahrung in diesem Bereich zu haben.

Normalerweise taucht bei einer schnellen Suche zumindest die eine oder andere Gerichtsreportage auf, in der jemand als IT-Forensiker erwähnt wird. Oder es finden sich sonstige Spuren auf entsprechende berufliche Tätigkeit. Wie Aufsätze, Interviews oder Erwähnungen auf Firmenseiten.

Hier: Fehlanzeige. Auch zum Privatmann ist schlicht nichts zu finden. Bis auf eine kleine Spur bei Facebook. Danach könnte der Betreffende bis vor kurzem bei einer Taxizentrale angestellt gewesen sein. Das ist zwar ehrenwert. Es führt bei mir aber jetzt nicht dazu, dass ich unbesehen sage: gut der Mann.

Weniger vielversprechend ist auch die Unterschrift unter dem Gutachten. Normalerweise liest man dort was wie Dipl.-Ing., Diplom-Informatiker oder sonst einen Zusatz, der einem eine kleine Vorstellung über den (womöglich sogar akademischen) Background des Sachverständigen gibt. Aber in dem Gutachten steht nur der Name. Das ist gar nichts Ehrenrühriges, aber halt auch kein Beleg für die nötige Fachkunde des Sachverständigen.

Wäre das Gutachten jetzt fachlich in Ordnung, würde ich ja nichts sagen. Das kann man aber nun gar nicht behaupten. Es strotzt vor methodischen und inhaltlichen Mängeln. Ein Anruf beim Sachverständigen half auch nicht weiter. Es ging niemand ans Telefon.

Nun ja, dann nehme ich halt den offiziellen Weg. So lautet mein Schreiben ans Gerichts:

In der Strafsache
gegen
P.

beantrage ich,

dem Sachverständigen aufzugeben, spätestens mit Erstattung seines Gutachtens

a) Belege über seine Schulabschlüsse und Ausbildungen;
b) Belege über seine akademische Qualifikation (Studienabschlüsse);
c) Belege über wissenschaftliche und praktische Tätigkeit im Fachgebiet IT-Forensik;
d) Belege über nach der akademischen Ausbildung erworbene Zusatzqualifikationen, staatliche Anerkennungen und eventuelle Eintragungen in Sachverständigenregister sowie öffentliche Bestellungen;
e) Aktenzeichen von Verfahren, in denen vom Sachverständigen zum fraglichen Gegenstand bereits Gutachten erstattet wurden,

vorzulegen.

Es ist leider kaum möglich, valide Informationen zur Person des Sachverständigen sowie seines Unternehmens zu finden. Das Gericht mag sich hierzu gerne überzeugen, zum Beispiel bei Google oder Facebook.

Auch der Unterzeichner hat noch nie mit dem Sachverständigen oder seinem Untenehmen zu tun gehabt. Der Unterzeichner hat in mehr als 20 Jahren enorm viele Fälle aus diesem Deliktsbereich bearbeitet und auch vor Gericht vertreten, und zwar im gesamten Bundesgebiet.

Erhebliche Mängel des Gutachtens, die ja bereits Gegenstand von Eingaben waren und solche, die noch zu diskutieren sein werden, stellen die fachliche Eignung des Gutachters derzeit leider in Frage. Der Antrag wird bereits jetzt gestellt, um dem Sachverständigen ausreichend Zeit zu geben, die dargelegten Bedenken auszuräumen.

Schauen wir mal, was da so kommt.

Der Winter kommt – und die Frage nach den richtigen Reifen

Der vorausdenkende Autofahrer wird mit Interesse zur Kenntnis nehmen, dass es draußen schneller dunkel und auch zügig kälter wird. Damit stellt sich auch die Frage, ob Winterreifen nötig sind und, wenn ja, welche. Mit Wirkung zum 1. Juli 2017 hat der Gesetzgeber die einschlägigen rechtlichen Vorschriften überarbeitet. Hier ein kleiner Überblick.

Die wichtigste Aussage vorweg: In Deutschland gibt es auch künftig keine allgemeine Winterreifenpflicht. Man darf also auch in der kalten Jahreszeit mit Sommerreifen unterwegs sein. Aber nur dann, wenn die Witterungsverhältnisse es zulassen. Winterreifen sind nur Pflicht, wenn auf der Straße „Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eisglätte oder Reifglätte“ herrschen (§ 2 StVO). Es kommt also nicht auf die Außentemperaturen an oder auf die Wetterlage allgemein. Vielmehr müssen Glatteis etc. an dem Ort tatsächlich gegeben sein, an dem das Auto bewegt wird.

Ganz neu ist die Regelung, welche Reifen als Winterreifen gelten. Das sind künftig nur noch solche, durch deren „Laufflächenprofil, Laufflächenmischung oder Bauart vor allem die Fahreigenschaften bei Schnee gegenüber normalen Reifen … verbessert werden“ (§ 36 StVZO). Weil das in der Regel weder der Laie noch ein Polizist bewerten können, wird es darauf ankommen, ob die Reifen mit dem Alpine-Symbol (Bergpiktogramm mit Schneeflocke) gekennzeichnet sind. Das ist künftig das einzig gültige Gütesiegel, mit dem man nachweisen kann, dass es sich um Winterreifen bzw. um zulässige Ganzjahresreifen handelt.

Die alten M + S-Reifen haben somit keine Zukunft. Allerdings müssen Besitzer von M + S-Reifen jetzt nicht hektisch neue kaufen. Es gilt eine Übergangsfrist bis zum 30. September 2024, in der auch solche Reifen akzeptiert werden. Allerdings dürfen die Reifen nicht nach dem 31. Dezember 2017 hergestellt sein. Wann ein Reifen hergestellt ist, ergibt sich aus der DOT-Nummer. Diese Nummer muss auf jedem Reifen angebracht sein.

Wer bei Schnee und Glatteis ohne die passenden Reifen fährt, erhält ein Bußgeld von 60,00 €. Bei Behinderung, Gefährdung oder gar einem Unfall erhöht sich das Bußgeld auf bis zu 120,00 €. Dazu gibt es jeweils einen Punkt in Flensburg.

Viruslast unter der Nachweisgrenze

Einer meiner Mandanten ist in einer forensischen Klinik untergebracht. Ein Hauptargument gegen seine Entlassung ist seit Jahren, er sei wegen einer HIV-Infektion für andere gefährlich. Denn auch bei einvernehmlichen Sexualkontakten neige er im Zweifel dazu, auch ungeschützten Sex zu haben. Verminderte Triebkontrolle, so nennt man das wohl.

Auf mein Drängen hin hat das Gericht nun endlich mal den Fokus nicht mehr auf die HIV-Infektion gelegt. An der gibt es nichts zu diskutieren. Vielmehr wurde einem Gutachter die Frage gestellt, wie groß das Ansteckungsrisiko trotz der HIV-Infektion tatsächlich ist. Mein Mandant nimmt nämlich brav Aids-Medikamente, die auch gut wirken. So gut, dass HI-Viren in seinem Blut nicht mehr nachweisbar sind.

Aus dem Gutachten:

Im Hinblick darauf, dass Herr J. stabil eine Viruslast unter der Nachweisgrenze aufweist, verbleibt nur ein theoretisches Restrisiko, dass er andere Menschen bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr infiziert.

Dies wird laut dem Gutachter auch so bleiben, so lange mein Mandant regelmäßig seine Medikamente einnimmt. Das aber muss nicht unbedingt in einer Klinik kontrolliert werden. Vielmehr könne das sogar ein Pflegedienst erledigen, der täglich kommt und die Tabletteneinnahme beaufsichtigt. Oder der Mandant könnte täglich in eine Arztpraxis gehen.

Bald werden wir wieder eine Anhörung haben, in der es darum geht, ob der Mandant endlich mal wieder in Freiheit kommt, wobei das aufgrund anderer Umstände auch ein offenes Heim oder eine betreute Wohngemeinschaft sein könnte. Es wird aber jetzt wirklich Zeit, denn in der Klinik geht der Mandant auf Dauer kaputt.

Wegbleiben geht auch im Strafprozess

An sich klingt das Gesetz streng: Ohne den Angeklagten darf grundsätzlich nicht verhandelt werden (§ 230 StPO). Wobei die Betonung, wie so häufig in der Juristerei, auf grundsätzlich liegt.

Deshalb hier ein Überblick über die die wichtigsten Ausnahmen:

Die erste Ausnahme betrifft das Strafbefehlsverfahren. Ein Strafbefehl ist eine Art schriftliches Urteil. Hiergegen kann der Betroffene Einspruch einlegen, dann muss die Sache an sich ganz normal vor Gericht verhandelt werden. Dennoch ist in diesem Fall der Angeklagte berechtigt, nicht an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Er muss nur einen Verteidiger mit schriftlicher Vollmacht schicken (§ 420 StPO).

Schon diese Konstellation ist nicht so wahnsinnig bekannt. Wir erinnern uns zum Beispiel an den Fall Gina-Lisa Lohfink. Diese setzte sich gegen einen Strafbefehl zur Wehr – und nahm nach Möglichkeit brav an jedem der zahlreichen Hauptverhandlungstermine teil. Das wirkte deshalb etwas bizarr, weil die Betroffene selbst öfter mal erklärte, wie sehr die Verhandlungstermine und der Medienrummel sie belasten. Das Gericht hatte ihr persönliches Erscheinen gar nicht angeordnet, weshalb Gina-Lisa Lohfink hätte zu Hause bleiben dürfen.

Das persönliche Erscheinen des Angeklagten kann das Gericht allerdings ohne weitere Begründung auch im Strafbefehlsverfahren anordnen (§ 236 StPO). Ist das passiert und kommt der Angeklagte trotzdem nicht, kann dann doch wieder seine Vorführung oder gar Verhaftung angeordnet werden.

Deshalb ist es für uns Verteidiger immer sehr wichtig, den Mandanten zu fragen, was er für eine Ladung erhalten hat. Oft wird bei einem Einspruch gegen den Strafbefehl das persönliche Erscheinen nur in der Ladung für den Angeklagten angeordnet und dies in der Ladung für den Verteidiger nicht erwähnt. Dann ist es natürlich blöd, wenn der Anwalt seinem Mandanten gesagt hat, er muss nicht kommen.

Viele Richter ordnen das persönliche Erscheinen heute auch standardmäßig an, wenn gegen einen Strafbefehl Einspruch eingelegt wurde. Dann hat es sich mit dem Wegbleiben erledigt.

Die zweite wichtige Ausnahme gibt es, wenn über eine Berufung verhandelt wird. Hat nur der Angeklagte Berufung eingelegt, kann er sich ebenfalls durch einen Verteidiger mit schriftlicher Vollmacht vertreten lassen (§ 329 StPO). Früher war das anders. Bis zum Jahr 2015 konnte das Berufungsgericht die Berufung des Angeklagten einfach so verwerfen, wenn der Angeklagte unentschuldigt fehlte. Diese Praxis hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beanstandet. Die Argumentation des Gerichts: Wegen des Verschlechterungsverbots (§ 331 StPO) kann der Angeklagte seine Situation mit der Berufung nur verbessern. Seine bloße Abwesenheit ist kein sachlicher Grund, ihm diese Möglichkeit zu nehmen.

Allerdings muss das Gericht über eine Berufung des Angeklagten nicht in dessen Abwesenheit entscheiden. Hält das Gericht die Anwesenheit des Angeklagten für nötig, muss es sich vertagen und den Angeklagten zum nächsten Termin förmlich laden. Kommt der Angeklagte dann nicht, kann seine Berufung ohne Sachprüfung verworfen werden. Diese Regelung ist in sich etwas widersprüchlich, denn auch im zweiten Anlauf kann sich der Angeklagte durch seine Abwesenheit ja nur selbst schaden. Deshalb wird wohl derzeit auch erneut gegen die Neufassung des Gesetzes geklagt.

Auch wenn die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt hat, muss man als Angeklagter nicht unbedingt erscheinen. Auch in diesem Fall reicht es, wenn ein Verteidiger mit schriftlicher Vollmacht kommt. Stellt sich allerdings raus, dass die Anwesenheit des Angeklagte erforderlich ist, kann das Gericht seine Vorführung oder Verhaftung anordnen. In diesem Fall besteht nicht die Pflicht wie bei einer Berufung des Angeklagten, diesen zu einer Fortsetzung schriftlich zu laden.

Bei Berufungen der Staatsanwaltschaft muss man also sehr vorsichtig sein, wenn nicht auf der Straße einkassiert werden oder sich gar hinter Gittern wiederfinden will. Im Zweifel heißt das: besser hingehen.

Häusliche Gewalt – gegen die Einbauküche

Sicher die Polizeimeldung des Tages:

Weil sie lautes Gepolter und Schreie aus der Wohnung unter ihr hörte, rief am Montagabend, 20:30 Uhr, eine besorgte Anruferin im Ludwigshafener Stadtteil West die Polizei.

Von häuslicher Gewalt ausgehend, machten sich zwei Funkstreifen der Polizeiinspektion Ludwigshafen 2 mit Sondersignal auf, der Sache auf den Grund zu gehen. In der Wohnung trafen die Beamten auf eine Familie, die sich die Renovierung der Wohnung vorgenommen hatte, zu der auch eine neue Einbauküche gehören sollte.

Obwohl er sich selbst eingestand, nicht die optimalen Kenntnisse zu besitzen, habe er sich auf das Abenteuer Küchenaufbau eingelassen, so der Familienvater. Seit Tagen sei er schon zugange, ohne dass sich erkennbare Fortschritte eingestellt hätten.

Deshalb sei er am Abend ausgerastet und habe die Küche vor Wut kurz und klein geschlagen. Hierbei zeigte der 25-Jährige deutlich mehr Talent, die Küche war ein Trümmerfeld, Möbel und Einbaugeräte waren nur noch Schrott.

Alkoholverbot im Stadtgebiet geht zu weit

Die Stadt Forst (Lausitz) hat schon seit dem Jahr 2008 klare Vorgaben dafür, wie sich Bürger in der Öffentlichkeit nicht verhalten sollen. So ist im Stadtgebiet unter anderem folgendes verboten: aggressives Betteln, Trinkgelage, Anpöbeln von Passanten, Behinderung von Passanten bei der Nutzung der Verkehrsflächen und Anlagen, Gefährdung anderer durch Liegenlassen von Flaschen und deren Bruchstücken, Beschädigen von Pflanzen, Ausschlafen von Rausch, Schmierereien, Wegwerfen und Zurücklassen von Abfall, Verrichten der Notdurft.

Das reichte der Gemeinde aber nicht. Sie führte im Jahr 2015 ein striktes Alkoholverbot in der Öffentlichkeit ein. In sechs Straßenabschnitten nahe eines Einkaufszentrums sollte von da schon der bloße Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit verboten sein. Der Landkreis als Aufsichtsbehörde hielt das jedoch für zu weitgehend, und so landete der Streit vor Gericht.

Dort erhielt die Stadt Forst nun einen weiteren Dämpfer. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg meint, allein das Konsumieren bzw. Genießen von Alkohol in der Öffentlichkeit verletzte „als solches regelmäßig kein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit“. Die Richter vermissen eine greifbare Gefahr, die es rechtfertige, jeder sich ansonsten harmlos verhaltenden Person das Trinken in der Öffentlichkeit zu untersagen.

Die Entscheidung erging im Eilverfahren, sie ist also vorläufig (Aktenzeichen OVG 12 S 7.17).