Empfehlung der Polizei rechtfertigt kein Stadionverbot

Der Deutsche Fußballbund (DFB) darf Fans nicht einfach deswegen ein Stadionverbot erteilen, weil die Polizei dies so empfohlen hat. Vielmehr bedarf es einer tatsächlichen Grundlage, die der DFB auch selbst feststellen muss, wie das Amtsgericht Frankfurt am Main entschieden hat.

Geklagt hatte ein Fußballfan, der bisher nie negativ aufgefallen war. Sein Auto wurde auf einem Parkplatz kontrolliert, wo sich auch andere Fußballfans trafen. Insgesamt wurden 177 Personen kontrolliert, in einigen Autos fanden sich Vermummungs- und Schlaggegenstände. Im Auto des Klägers war nichts. Er erhielt zwar einen Platzverweis und wurde wie die anderen eine Nacht festgehalten, aber später wurde nicht weiter gegen ihn ermittelt.

Zwar steht es dem DFB laut Urteil grundsätzlich frei, über den Zutritt Dritter zu Stadien zu entscheiden. Der Ausschluss eines Einzelnen dürfe jedoch nicht ohne sachlichen Grund und nicht willkürlich erfolgen. Allein der Platzverweis und die Ingewahrsamnahme reichen aber nicht aus, um auf eine mögliche Gewaltbereitschaft des Klägers zu schließen. Zwar bedürfe es für eine Gefahrenprognose nicht unbedingt des Nachweises einer Straftat. Der DFB hätte aber eine „eigene Tatsachengrundlage“ ermitteln müssen. Auf die Empfehlung der Polizei alleine könne ein Stadionverbot nicht gestützt werden (Aktenzeichen 30 C 3466/17 (71)).

Der Kommissar hat das Geheule satt

Vor einigen Tagen habe ich einen Mandanten verteidigt, dem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorgeworfen wurde. Dass er sich verteidigen musste, ist deshalb schon interessant, weil es am Ende mein Mandant war, der zwei gebrochene Rippen und eine gebrochene Nase hatte, während es den beteiligten Polizisten noch super ging. Verletzungen, die sich mein Mandant angeblich bei einer Widerstandshandlung zugezogen hatte, nachdem ihn mehrere Polizisten zu Boden gebracht hatten.

Ich will gar nicht in die Tiefen der Geschichte gehen. Vielleicht genügt es als Zusammenfassung, dass die Geschichte, welche die Beamten vor Gericht erzählten, schon etwas merkwürdig war. Ich hatte dem Mandanten geraten, dass er offen zu seinem Fehler steht. Nämlich dem Versuch, um die Ausweiskontrolle rumzukommen. Und auch dazu, dass er die Beamten auf jeden Fall verbal angegangen ist und sich auch dagegen gesperrt hat, als ihm Handfesseln angelegt werden sollten.

Die Hoffnung war, um eine Vorstrafe rumzukommen. Ich hatte keine Ahnung, ob das klappt – bis der Hauptbelastungszeuge sich in den Zeugenstand setzte. Auf das, was der Herr Kommissar sagte, will ich gar nicht eingehen. Sondern nur darauf, wie er auf die Entschuldigung reagierte, die mein Mandant am Ende der Vernehmung auf meine Empfehlung vorbrachte.

Der Beamte lief tiefrot an und tillte regelrecht aus. Mein Mandant solle ihm bloß nicht so kommen. So was könne er schon gar nicht mehr hören. Er habe dieses Geheule satt, das er von Angeklagten immer im Gerichtssaal zu hören bekomme. Die Entschuldigung nehme er auf keinen Fall an, mit so was könne man ihn grundsätzlich in Ruhe lassen.

Auf den Richter und den Staatsanwalt wirkte dieser Ausbruch ebenso wie auf mich. Nämlich als Beleg, dass es in der Geschichte sicher nicht nur schwarz und weiß gab. Zwei Minuten später war das Verfahren eingestellt, gegen Zahlung eines dreistelligen Betrages für Amnesty International.

Der Beamte saß hinten im Saal und verstand die Welt nicht mehr. Es fand sich aber niemand, der ihm erklärte, was sich da jetzt zugetragen hat.

Keine Verzugspauschale für Arbeitnehmer

Das Gesetz hört sich mitunter super an. Zum Beispiel § 288 BGB. Nach dieser Vorschrift ist eine Pauschale von 40 Euro fällig, wenn jemand sich mit einer fälligen Zahlung zu viel Zeit lässt. Die gesetzlichen Zinsen kommen obendrauf.

Interessant klingt die Regelung natürlich auch für Arbeitnehmer, deren Chef notorisch unpünktlich zahlt. 40 Euro sind ja schon mal eine Ansage. Womöglich auch für eine Zeitarbeitsfirma, mit der ich es in einem Fall derzeit zu tun habe.

Ich unterstütze eine Jurastudentin aus der Familie. Diese hat während der Semesterferien bei einer Zeitarbeitsfirma angeheuert. Abgerechnet wurde ihr Lohn schon vor knapp zwei Wochen. Nur – es kommt kein Geld. Da fand ich es doch eine gute Idee, in meinem Mahnschreiben vom gestrigen Tage auf die Verzugspauschale in § 288 BGB hinzuweisen und diese auch geltend zu machen.

Wir reden über den ersten Arbeitsrechtsfall, den ich seit zehn Jahren bearbeite. Da ist es fast schon ein Treppenwitz, wenn das Bundesarbeitsgericht am gleichen Tag in einem Grundsatzurteil alle Arbeitnehmer von der Verzugspauschale ausnimmt. Einem Arbeitnehmer steht die Pauschale nach Auffassung der Richter nicht zu, obwohl sich aus dem Gesetz nach meiner Meinung (und zum Beispiel der des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf) doch eher genau das Gegenteil ergibt. Einzelheiten zum BAG-Urteil stehen in diesem Artikel der LTO.

Die 40-Euro-Drohung ist jetzt futsch. Bleiben also noch die gesetzlichen Verzugszinsen. Diese sind wegen des negativen Basiszinssatzes ja kaum der Rede Wert (aktuell sprechen wir in dem Fall über Zinsen in Höhe von 2,10 Euro).

Auch ansonsten bleiben anscheinend wenig Möglichkeiten, den Arbeitgeber zur Zahlung zu bewegen. So ist es im Arbeitsgerichtsverfahren so, dass es keine Kostenerstattung in der 1. Instanz gibt. Wenn ich die Studentin zu einem Arbeitsrechtler geschickt hätte, würde sie in jedem Fall auf dessen Anwaltskosten sitzenbleiben – selbst wenn sie den Prozess gewinnt. (Was natürlich zum Beispiel für alle Kollegen der Studentin schlecht ist, die ebenfalls noch kein Geld haben, aber auch keinen Anwalt kennen, der ihnen pro bono hilft).

Halten wir fest: Es gibt wenige Möglichkeiten, einen Arbeitgeber, der einfach nicht zahlt, zügig an die juristische Kandare zu nehmen. Seit gestern gibt es – danke, Bundesarbeitsgericht – noch eine Möglichkeit weniger. Bleibt also nur eine zügige Klage vor dem Arbeitsgericht; die Uhr mit dem Insolvenzrisiko tickt ja ansonsten gnadenlos.

Vielleicht hilft ja noch meine Ankündigung einer Strafanzeige hinsichtlich der abgerechneten Sozialabgaben, sofern diese nicht fristgerecht abgeführt wurden. Mal schauen. Wenigstens habe ich es zum Arbeitsgericht nicht sonderlich weit. Ich habe gerade mal vorsorglich gegoogelt, ob das Gericht noch an der letzten mir bekannten Adresse ist…

Nachtrag 27.09.: Juchhu, die Gegenseite hat alles bezahlt, auch die Verzugspauschale. Manchmal sind wir Anwälte halt auch für was gut.

Kein neues Recht für alte Fälle

Gastbeitrag von Dr. André Bohn, Assessor und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ruhr-Universität-Bochum

Die 79 Kommentare zu dem letzten Post „Was, wenn Ulvi K. doch ein Mörder ist?“ zeigen, dass das Thema Interesse weckt und zu Diskussionen anregt. Daher noch mal ein kleiner Überblick zur Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Angeklagten bei Vorliegen neuer Beweise:

Art. 103 Abs. 3 GG normiert den Grundsatz „ne bis in idem“. Nach seinem Wortlaut verbietet er nur jede erneute Bestrafung, aber es besteht Einigkeit, dass der Schutz sich über den Wortlaut hinaus auch auf erneute Verfolgungen bezieht. Ulvi K. darf also nicht noch einmal der Prozess gemacht werden.

In § 362 StPO sind momentan als Ausnahme zu Art. 103 Abs. 3 GG vier Wiederaufnahmegründe normiert. Die Nummern 1-3 betreffen Fehler im Ausgangsverfahren, Nr. 4 normiert das Geständnis des Freigesprochenen als Wiederaufnahmegrund.
In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Gesetzesinitiativen, um in § 362 StPO einen Wiederaufnahmegrund wegen neuer Beweise einzuführen – den es bislang nicht gibt.

In der Regel werden Einzelfälle, deren juristisches Ergebnis als unhaltbar angesehen wird, zur Grundlage solcher Initiativen. Der letzte die Gemüter erhitzende Fall, der zu einer solchen Initiative führte, betraf ein damals 17-jähriges Mädchen, das vergewaltigt und ermordet worden war. Die Polizei ermittelte einen Tatverdächtigen, der zunächst zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Dieses Urteil hob der Bundesgerichtshof auf.

In dem darauf folgenden zweiten Prozess erging ein Freispruch. Jahre später konnte dann aufgrund neuer Untersuchungsmethoden DNA des Freigesprochenen an der Binde des Opfers gefunden werden. Eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens war aber nicht möglich. Der Vater der Getöteten initiierte eine Online-Petition zur Erweiterung des § 362 StPO, die über 105.000 Unterschriften erreichte.

Zu einer Gesetzesänderung kam es zwar nicht, aber auch im momentan geltenden Koalitionsvertrag findet sich der Satz: „Wir erweitern die Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten der oder des freigesprochenen Angeklagten in Bezug auf die nicht verjährbaren Straftaten.“

Eine solche Änderung wäre juristisch aber alles andere als unproblematisch, um nicht zu sagen verfassungswidrig:
Art. 103 Abs. 3 GG stellt ein schrankenlos gewährleistetes (Justiz-)Grundrecht dar. Es kann daher nur durch verfassungsimmanente Schranken, also andere Güter von Verfassungsrang, beschränkt werden. Die materielle Gerechtigkeit, der die Wiederaufnahme des Strafverfahrens dient, ist ein solches Gut.

Ausgehend von dem Prinzip der praktischen Konkordanz muss § 362 StPO aber die sich gegenüberstehenden Rechtsgüter in einen möglichst schonenden Ausgleich bringen, sodass die beiden Rechtsgüter – jeweils beschränkt durch das andere – zu möglichst optimaler Wirksamkeit gelangen. Bei Einführung eines Wideraufnahmegrundes wegen neuer Beweise würde die in Art. 103 Abs. 3 GG verbürgte Rechtssicherheit des Freigesprochenen jedoch in solchen Fällen gar keine Wirksamkeit mehr entfalten.

Im Übrigen könnte eine entsprechende Änderung aufgrund des Rückwirkungsverbots nicht auf Altfälle angewendet werden. Die in solchen Fällen oft eingeforderte Gerechtigkeit kann daher in Bezug auf die Altfälle ohnehin nicht erreicht werden.

Schockbilder vor einer Grundschule

Ein Abtreibungsgegner hatte sein Auto mit Fotos abgetriebener und zerstückelter Föten beklebt. Es handelte sich um Bilder von seiner Internetseite, welche die Bundesaufsicht für jugendgefährdende Medien bereits als jugendgefährdend eingestuft hat. Außerdem nutzte der Mann das Fahrzeug als Fläche für Slogans wie „damals Holocaust – heute Babycaust“. Als er sein Auto während der Unterrichtszeiten direkt vor einer Grundschule abstellte, ließ die Stadtpolizei Darmstadt das Auto abschleppen. Der Streit, wer die Kosten zu tragen hat, führte nun zu einem Rechtsstreit.

Das Verwaltungsgericht Darmstadt billigt dem Mann zwar zu, auf seinem Auto „Werbung“ auch für politische Ansichten zu machen. Allerdings sei die Grenze jedenfalls dort überschritten, wo das Wohl der Grundschulkinder unmittelbar gefährdet sei. Die Kinder seien konkret in Gefahr gewesen, ohne jede pädagogische oder erzieherisch Unterstützung mit den brutalen Bildern und den Slogans konfrontiert zu werden.

Darin sieht das Gericht eine Belästigung der Allgemeinheit (§ 118 OWiG), die mit einem Bußgeld geahndet werden kann. Dementsprechend sei die Polizei auch berechtigt gewesen, die damit verbundene Gefahr zu beseitigen, indem sie das Auto abschleppte. Ob der Mann tatsächlich auf Kinder einwirken wollte oder nur zufällig vor der Schule parkte, spielt laut dem Gericht keine Rolle (Aktenzeichen 3 K 1937/17.DA).

Mann schießt sich Wattestäbchen in den Kopf

Mit einem ungewöhnlichen Fall aus dem Waffenrecht musste sich das Amtsgericht München beschäftigen. Es ging um einen Mann, der mit einem illegalen Revolver Russisch Roulette spielte. Die Patrone hatte er allerdings durch ein halbiertes Wattestäbchen ersetzt.

Das wiederum war erst mal gar nicht dumm, denn ansonsten wäre der Mann jetzt wahrscheinlich tot. Immerhin hatte er die Waffe tatsächlich ausgelöst in der Meinung, dass die Kammer mit dem Wattestäbchen nicht „scharf“ ist. Tatsächlich wurde das Stäbchen aber in Bewegung gesetzt. Es drang durch die Schädeldecke zwei Millimeter ins Gehirn des Mannes ein. (Ich kann mir das wirklich schlecht vorstellen, aber so steht es tatsächlich in der Pressemitteilung des Amtsgerichts München.)

Der Mann bekam eine Titanplatte eingesetzt und wurde auf eigenen Wunsch nach acht Tagen aus dem Krankenhaus entlassen. Er will noch immer an Schwindelattacken leiden und hofft nun darauf, dass ihm eine Schwerbehinderung anerkannt wird. Auf die Frage des Gerichts, wie ein erwachsener Mensch auf so eine Idee kommen könne, wies er darauf hin, dass er schon seit Jugendtagen Marihuana und später auch härtere Drogen konsumiere.

Den Revolver (Kaliber 4 mm) hatte der Mann nach eigenen Angaben in einer Mülltonne gefunden. Der Richter verurteilte den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes einer Schusswaffe und unerlaubtem Führen einer Schusswaffe zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen. Dass es bei einer Geldstrafe blieb, begründete das Gericht mit den Folgen der Tat, die den Angeklagten schon schwer getroffen hätten (Aktenzeichen 1116 Ds 117 Js 217523/17).

Kompliment

„Ein Arschloch bleibt ein Arschloch“, schallte es heute sehr laut durchs Amtsgericht Ratingen.

Der Ausspruch fiel aus dem Mund der Hauptbelastungszeugin und vermeintlich Geschädigten. Kurz zuvor war mein Mandant freigesprochen worden.

Demgemäß nehme ich es einfach mal als Kompliment.

Was, wenn Ulvi K. doch ein Mörder ist?

Im Mordfall Peggy K. gibt es nun zwar einen Verdächtigen, gegen den wegen Mordes ermittelt wird. Trotzdem bleibt der Mann in Freiheit, weil die Staatsanwaltschaft keinen dringenden Tatverdacht sieht.

Der dringende Tatverdacht ist aber Voraussetzung für einen Haftbefehl. Angesichts der Umstände spricht also vieles dafür, dass die Ermittler dem Mann derzeit eher glauben (müssen), dass er Peggy nicht getötet, sondern dass er lediglich die Leiche des Kindes vergraben hat. Strafbar wäre auch dies gewesen. Nur sind 17 Jahre nach Peggys Verschwinden so gut wie alle in Fragen kommenden Delikte (zum Beispiel Störung der Totenruhe) verjährt. Verfolgt werden könnten im hier interessierenden juristischen Spektrum noch Totschlag und einige Sexualdelikte, zum Beispiel die Vergewaltigung mit Todesfolge (§ 178 StGB), die alle frühestens 20 Jahre nach einer Tat verjähren. Außerdem natürlich Mord, bei dem die Verjährung ja abgeschafft wurde. Gleiches gilt für eine mögliche Beihilfe, aber von einer gemeinschaftlichen Tat scheinen die Ermittler ja eher nicht auszugehen.

Laut den Behörde benennt der jetzt ermittelte Verdächtige sogar die Person, von der er Peggys Körper übernommen haben will. Preisgegeben wird der Name dieser Person nicht. Es ist auch keine Rede davon, dass der Betreffende ernsthaft im Fokus von Ermittlungen stünde. Entweder bindet der jetzt Ermittelte den Behörden einen Bären auf. Oder, das scheint mir viel naheliegender, diese Person ist Ulvi K, der schon einmal wegen des Mordes an Peggy verurteilt wurde.

Nachdem Ulvi K. aber sein – sicherlich mehr als fragwürdiges – Geständnis widerrufen hatte, wurde er in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen. Rechtskräftig. Was aber ist, wenn sich jetzt herausstellt, dass Ulvi K. doch der Täter ist?

Trifft das zu, wird er trotzdem nicht mehr bestraft werden können. Das liegt am Grundsatz, wonach niemand zwei Mal wegen derselben Straftat vor Gericht gestellt werden kann. Steht so im Grundgesetz, Art. 103 GG. Von diesem Grundsatz gibt es nur eng begrenzte Ausnahmen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Verurteilten überhaupt zulässig machen.

Am besten erschließt sich die Problematik (oder der rechtsstaatliche Segen), wenn man zunächst einen Blick auf die Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten wirft. Hier lässt § 359 StPO eine Wiederaufnahme zu, „wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, die … die Freisprechung des Angeklagten … zu begründen geeignet sind“.

Genau dieser Wiederaufnahmegrund fehlt aber in § 362 StPO, welcher die Wiederaufnahme zuungunsten des meist freigesprochenen Angeklagten regelt. Kurz gesagt: Neue Beweismittel – etwa ein bisher nicht bekannter Zeuge oder auch ein Mittäter, der erst spät sein Schweigen bricht – können nicht zu einer Neuauflage des Prozesses führen. Sollte das aus rechtsstaatlicher Sicht seinerzeit sicherlich falsche Urteil gegen Ulvi K. dummerweise „richtig“ und die spätere Korrektur vom Ergebnis her gesehen „falsch“ gewesen sein, gäbe es jetzt keinerlei Möglichkeit mehr, Ulvi K. als Täter zur Rechenschaft zu ziehen.

Nur Ulvi K. selbst könnte daran noch etwas ändert – wenn er die Tat gesteht und das auch noch glaubwürdig (§ 362 Nr. 4 StPO). Ob ein Gericht in dieser Konstellation allerdings einem erneuten Geständnis K.s überhaupt glauben und eine Verurteilung hierauf stützen könnte, wäre dann die große Frage.

Facebook ist nicht gleich Facebook

Facebook ist nicht gleich Facebook. Jedenfalls können die Rechte Betroffener sehr unterschiedlich ausfallen, je nachdem welches Angebot von Facebook sie nutzen. Für den Facebook-Messenger entschied das Oberlandesgericht Frankfurt jetzt, dass die dortige Kommunikation nicht zu den sozialen Netzwerken im Sinne des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes gehört.

Geklagt hatte eine Frau, über die via Facebook Messenger zwischen einzelnen Personen übel geredet wurde. Sie wollte von Facebook wissen, wer die Informationen verbreitet. Doch einen Anspruch auf Auskunft hat sie nach Meinung der Frankfurter Richter gegenüber Facebook nicht. Der besondere Auskunftsanspruch nach § 14 TMG gelte nur für soziale Netzwerke, nicht aber für private Kommunikation.

Allein die Möglichkeit, über den Messenger private Nachrichten an einen größeren Empfängerkreis zu senden, führe noch nicht zu der Annahme eines sozialen Netzwerks. Ein soziales Netzwerk müsse vielmehr dazu bestimmt sein, beliebige Inhalte mit anderen Nutzern zu teilen oder zugänglich zu machen. Beim Facebook Messenger steht nach Auffassung des Gerichts aber die private Kommunikation im Vordergrund.

Das Gericht weist darauf hin, dass man die Rechtslage als unbefriedigend empfinden könne. Allerdings müsse hier der Gesetzgeber tätig werden (Aktenzeichen 16 W 27/18).

Handschriftliche Verfügung

Die Situation kennt jeder Jurist, der ab und zu Gerichtsakten lesen muss. Oftmals finden sich darin handschriftliche Notizen von Staatsanwälten und Richtern, auch näher bekannt als „Verfügung“ oder „Vermerk“. Wie das halt so ist, zeichnen sich die Werke insbesondere dadurch aus, dass sie oft nur schlecht lesbar sind.

Allerdings ist es fast immer mit ein wenig Fantasie und Intuition möglich, den Inhalt zu erraten. Nun bin ich aber in einem Fall endgültig gescheitert. In der Notiz, die vier Zeilen lang ist, konnte ich nur „Jochen/Maria“ oder „Joachim/Maria“ entziffern und etwas, was möglicherweise „DOS“ oder „DUS“ heißen könnte. Außerdem ein „monachm. 1743“.

Nichts davon ließ sich irgendwie mit den bisherigen 243 Seiten Text vereinbaren, welche die Gerichtsakte mittlerweile umfasste. Da ich auf der anderen Seite nicht riskieren wollte, etwas zu verpassen, das für die Verteidigung wichtig sein könnte, rief ich die zuständige Richterin an.

Die hatte dann eine ganz plausible Erklärung. Die Notiz besagte, dass ihre Schwiegereltern (Joachim und Maria) am Montagnachmittag in Düsseldorf mit dem Flugzeug ankommen, und zwar um 17.43 Uhr. Dann wollen sie abgeholt werden.

„Schon komisch“, sagte die Richterin. „Ich weiß noch genau, dass ich den Zettel mit den Flugzeiten später gesucht, aber partout nicht mehr gefunden habe.“ Na ja, jetzt ist immerhin klar, wo sie die Notiz gemacht hat.

Kleingedrucktes hilft Airlines nicht

Flugverspätung? Flugausfall? In solchen Fällen steht Reisenden eine pauschale Entschädigung zu, die oft sogar deutlich über dem Flugpreis liegt. Auf die Geltendmachung dieser Ansprüche haben sich mehrere Internetportale spezialisiert. Der Kunde muss sich um nichts kümmern, dafür erhalten die Anbieter im Erfolgsfall eine Provision.

Einigen Airlines scheint der Service nicht zu gefallen. Sie wehren sich mit einem Abtretungsverbot, das sie in ihre Buchungsbedingungen reinschreiben. Wäre das Abretungsverbot wirksam, könnte das Portal das Geld nicht für den Kunden bei der Fluggesellschaft eintreiben.

Allerdings scheinen die Gerichte hier eher auf der Seite der Fluggäste zu sein. Aktuell gibt es jetzt einen Hinweisbeschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth, in dem ein Abtretungsverbot im Kleingedruckten als unzulässig angesehen wird. Die Richter bestätigten damit eine Entscheidung der Vorinstanz. Die Airline nahm daraufhin ihre Berufung zurück.

Über weitere Einzelheiten berichtet die Legal Tribune Online. Dort werden auch noch einige ältere Entscheidungen genannt, die ebenfalls zu Gunsten der Reisenden ausfielen.

Als Fluggast sollte man sich also nicht abschrecken lassen, wenn man ein Fluggastrechte-Portal eingeschaltet hat.

Der Richter kennt das Recht – oder auch nicht

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte: So lautet der Vorwurf, den das Amtsgericht meinem Mandanten macht. In einem Strafbefehl, der wie üblich von der Staatsanwaltschaft vorformuliert wurde. Für mich wird es nicht ganz einfach, den Mandanten zu der Frage zu beraten, ob wir den vorsorglich eingelegten Einspruch gegen den Strafbefehl aufrecht erhalten sollen. Riskant ist es allemal…

… weil mein Mandant mit der verhängten Geldstrafe von 30 Tagessätzen möglicherweise gut weg kommt. Die Gefahr ist groß, dass er mit Zitronen handelt, wenn er die Sache durchkämpft. Der Vorwurf, der sich auf einen Vorfall vom 13. Februar 2018 stützt, liest sich so:

Sie haben Amtsträgern, die zur Vollstreckung von Gesetzen … berufen sind, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt Widerstand geleistet und ihn dabei tätlich angegriffen. Vergehen des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 StGB.

Wer den verlinkten Gesetzeswortlaut liest, dem fällt gleich auf, dass § 113 StGB gar nicht von einem tätlichen Angriff spricht. Das liegt daran, dass das Gesetz mit Wirkung zum 30.05.2017 geändert wurde. Der tätliche Angriff gegen Vollstreckungsbeamte ist in den neuen § 114 StGB gewandert, dank der unermüdlichen Lobbyarbeit von Rainer Wendt & Co. Nach diesem neuen Paragrafen ist nichts mehr mit Geldstrafe; das untere Straflimit liegt bei drei Monaten Freiheitsstrafe.

Es kommt schon mal vor, dass Staatsanwälte die aktuelle Rechtslage nicht kennen. Für eher bemerkenswert halte ich den Umstand, dass auch dem Richter nichts aufgefallen ist. Immerhin soll er den Strafbefehlsentwurf im Idealfall auf seine Richtigkeit prüfen, bevor er ihn unterschreibt. Hat er wohl eher nicht.

Der Mandant muss nun überlegen, was er macht. Spätestens im Verhandlungstermin dürfte der Fehler ja auffallen (so viel Glück kann man gar nicht haben, dass bis zum bitteren Ende niemand was merkt). Dann folgt unausweichlich ein rechtlicher Hinweis – und dann droht die Mindeststrafe von drei Monaten. Natürlich nur für den Fall, dass der Richter von der Schuld meines Mandanten überzeugt ist. Deshalb der einleitende Hinweis, dass wir hier sehr leicht mit Zitronen handeln können, wenn der Mandant seinen Einspruch nicht zurücknimmt.

(Hinweis: Der Text ist schon älter. Ich habe erst mal abgewartet, was der Mandant macht. Jetzt kann ich den Text veröffentlichen – das Risiko einer Haftstrafe wollte der Mandant dann doch nicht auf sich nehmen.)

Schuhe? Kokain!

Die Polizei hat Telefonate belauscht. Das geschah in einem ganz eigenen Ermittlungskomplex. Auf verschlungenen Pfaden kam auch mein Mandant – ich vermute eine Namensverwechslung – zu dem Vergnügen, dass ihm jemand zuhörte. Das Ergebnis mündete in einer Strafanzeige:

Anschließend unterhielten sich beide über Schuhe, für die N. zwei mögliche Kunden habe, die sich dafür interessieren. Im gesonderten Verfahren gegen J. und in dem Verfahren gegen Z. konnte das Wort „Schuhe“ als Synonym für Kokain entschlüsselt werden. Offensichtlich sprachen N. und B. im vorliegenden Gespräch ebenfalls über Kokain bzw. ein mögliches Kokaingeschäft.

Tatsächlich redet mein Mandant N. oft über Schuhe. Er hat ein Schuhgeschäft, das kann man sehr leicht googeln. B. macht in Im- und Export. Er hat einen Namen für, man mag es kaum glauben, extravagante Schuhe. Bei der Durchsuchung im Laden meines Mandanten wurden dann überraschenderweise keine Drogen gefunden.

Der Mandant macht das Beste draus. Immerhin zwei Beamte wollen bei Gelegenheit noch mal privat reinschauen, vielleicht werden sie ja zu Kunden.

Richter geht heute auch ohne „Prädikat“

Richter sind längst nicht mehr allesamt lupenreine „Prädikatsjuristen“. Die Anforderungen für ein Richteramt sind in der letzten Zeit so weit zurückgeschraubt worden, dass durchaus auch Juristen ohne zwei Prädikatsxaman (Note mindestens vollbefriedigend) eine Stelle erhalten können – und auch erhalten.

Grund für die zurückgeschraubten Erwartungen an künftige Richter ist der Konkurrenzdruck aus anderen Marktsegmenten. So bieten Anwaltskanzleien und auch die Wirtschaft geeigneten Bewerbern Einstiegsgehälter, die schnell über 100.000 Euro liegen können. Ein junger Richter muss sich mit gut der Hälfte zufrieden geben. Während woanders dann (hoffentlich) erst der Karriereturbo zündet, müssen Richter sich mit den vergleichsweise moderaten Steigerungen gemäß Besoldungsgesetz zufriedengeben.

Die Legal Tribune Online hat in einem Bericht zusammengestellt, mit welchen Noten man in vielen Bundesländern heute schon Richter werden kann. Und offensichtlich ist es so, dass die Einstiegshürden in nächster Zukunft wegen des greifbaren Bewerbermangels künftig noch flexibler werden.

Doch nicht unwürdig

Weil sie sich gegenüber ihrem Ausbilder bei der Staatsanwaltschaft deutlich im Ton vergriff und dafür auch eine Geldstrafe wegen Beleidigung kassierte, sollte einer Volljuristin der Weg in den Anwaltsberuf versperrt werden – endgültig. Die Anwaltskammer Köln erklärte die Assessorin für „unwürdig“ und verweigerte ihr die Zulassung.

Die Vorgeschichte kann man hier hier nachlesen und auch, dass erst das Bundesverfassungsgericht eingreifen musste, um die Maßstäbe zwischen Berufsfreiheit und Standesrecht zurechtzurücken.

Seit der Zurückverweisung der Sache an den Anwaltsgerichtshof scheint man es dort allerdings nicht sonderlich eilig gehabt zu haben. Fast ein Jahr verging, bevor man sich dort wieder mit der Sache beschäftigte. Allerdings brachte die mündliche Verhandlung Ende August wohl eine Sinnesänderung, auch bei der Kölner Anwaltskammer. Nun darf die Juristin doch Anwältin werden. Sie wurde vor einigen Tagen vereidigt.

Bericht in der Legal Tribune Online