Polizist muss mit TikTok aufhören

Ein Berliner Polizist darf nicht mehr auf TikTok und Youtube aus seinem Berufsalltag als Polizist berichten. Als „Officer Denny“ trat der Mann vor der Kamera als Polizist auf, teilweise in Dienstkleidung. Unter anderem interviewte er Arafat Abou-Chaker am Rande des Bushido-Prozesses und organisierte Online-Fragerunden zu Polizeithemen.

Der Dienstherr untersagte dem Polizisten die Auftritte in den sozialen Medien. Sowohl das Verwaltungsgericht als auch jetzt das Oberverwaltungsgericht bestätigen diese Entscheidung in Eilverfahren. Die Videos würden dienstliche Interessen beeinträchtigen. Hiergegen hatte der Polizist eingewandt, er er werbe um Verständnis für die Polizei und entkräfte die Argumente von Polizeikritikern. Er leiste also Öffentlichkeitsarbeit für die Polizei.

Spielt keine Rolle, meinen die Gerichte. Es sei Sache des Polizeipräsidenten, die „dienstlichen Interessen“ der Polizei zu wahren. In diesem Rahmen dürfe der Vorgesetzte entscheiden, welche Öffentlichkeitsarbeiter er für geeignet hält und welche nicht (Aktenzeichen OVG 4 S 4/23).

Gericht: „Aperol Spritz“ ist keine Erfrischung

Rechtsstreite um Flugverspätungen gibt es en masse. Im Rahmen einer Auseinandersetzung vor dem Amtsgericht Hannover wurde jetzt geklärt, für welche „Erfrischungen“ die Fluggsesellschaft bei unplanmäßigen, langen Wartezeiten zahlen muss. „Aperol Spritz“ gehört nicht dazu.

Da die Fluggesellschaft für die in London gestrandeten Passagiere keinen eigenen Service anbot, durften diese sich auf Kosten der Airline „Mahlzeiten und Erfrischungen in angemessenem Verhältnis zur Wartezeit“ kaufen. So sieht es die Fluggastrechteverordnung vor. Das Amtsgericht Hannover legt den Begriff „Erfrischung“ allerdings seeeeeehr eng aus. Alkohol sei schon deshalb nicht erfrischend, weil seine Wirkung „im Regelfall gegenteilig“ sein dürfte. Alkoholfreies Bier, so das Gericht, könne jedoch eine Erfrischung sein. Aperol Spritz aber eben nicht.

Bei Wodka pur wäre die Argumentation des Gerichts vielleicht etwas nachvollziehbarer. Aber dem Kläger wird es vermutlich leicht fallen, auf die umgerechnet 18 Euro zu verzichten, die er für die beiden Aperol Spritz investierte. Seine sonstige Klage, unter anderem auf die Verspätungspauschalen, war erfolgreich (Aktenzeichen 513 C 8538/22).

Kein „Feuerteufel“

Ein 19-Jähriger ist vom Amtsgericht Kassel wegen dreifacher Brandstiftung verurteilt worden. Das Besondere an dem Fall: Der junge Mann ist in der Jugendfeuerwehr. Die Brände legte er nach eigenen Angaben, um sich anschließend an den Löscharbeiten beteiligen zu können.

Der Angeklagte gab zu, im Oktober und November letzten Jahres Feuer in einer Schutzhütte und einer Buchhandlung gelegt zu haben. Außerdem zündete er einen Stapel Baumstämme an. Er habe nach sich nach einem Umzug gesorgt, in der neuen Feuerwehrgruppe den Anschluss zu verpassen. Er habe seine „Teamfähigkeit“ beweisen wollen. Vor den Taten habe er Alkohol getrunken.

Das Gericht hielt ihm zu Gute, dass er die Gefährdung von Menschen bewusst vermieden hat. Das Gericht sah auch seine eher vorbildliche Karriere bei der Feuerwehr seines früheren Wohnorts. Ein „Feuerteufel“ sei der junge Mann jedenfalls nicht. Insgesamt hatte er wirklich Glück. Das Gericht verzichtete auf eine Jugendstrafe, behielt sich aber entsprechend § 27 JGG die Möglichkeit vor, im Falle erneuter Straftaten noch eine Jugendstrafe zu verhängen.

Damit blieb das Gericht unter dem Vorschlag der Staatsanwaltschaft, die ein direkte Bewährungsstrafe von einem Jahr gefordert hatte. Auch der Verteidiger des 19-Jährigen hatte darauf plädiert. Da fiel es dem Angeklagten natürlich leicht, schon mal direkt auf eine Berufung zu verzichten.

Geld weg, Lamborghini weg

Falls ihr euch nach einem Gebrauchtwagen umschaut, seid beim Kauf bitte etwas vorsichtig. Gerade bei Schnäppchenpreisen. Das gilt nicht nur, wenn ihr euch für einen Supersportwagen wie einen Lamborghini interessiert. Auf dieses Geschoss muss ein Mann, der für einen Lambo 130.000 Euro bezahlte, künftig verzichten – obwohl es für das Auto ordnungsgemäße Papiere gab.

Der Mann hatte sich auf eine Online-Annonce für einen Lamborghini gemeldet. Es meldeten sich Herren, die das Auto für einen in Spanien lebenden Eigentümer verkaufen wollten. Auf dem Parkplatz einer Spielothek in Wiesbaden kam es zu einer Besichtigung. Den Wagen wollten die Männer einige Tage später übergeben, weil das Fahrzeug angeblich vorher noch für eine Hochzeitsfahrt gebraucht wurde. Die Übergabe sollte dann auf dem Gelände einer Tankstelle in Essen erfolgen.

Der Kaufvertrag wurde in Essen um ein Uhr nachts unterschrieben. Und zwar in einer Burgerbraterei. Ursprünglich war der Termin schon um 23 Uhr. Die Männer behaupteten aber, sie seien in eine Polizeikontrolle geraten. Das ist wirklich geschickt. Der Umstand, dass die Polizei sie weiterfahren ließ, legitimiert natürlich. Der Käufer bemerkte in der Tat einige Auffälligkeiten. So waren Namen und Adresse des Verkäufers im Kaufvertrag und der Zulassungsbescheinigung nicht ganz deckungsgleich. Der Käufer ließ sich auch lediglich eine Kopie des Ausweises des Eigentümers zeigen, und auch nur die Vorderseite.

Wie nicht anders zu erwarten, kriegte der Käufer bei der Ummeldung des Fahrzeugs juristische Probleme. Die Zulassungsstelle kam nämlich darauf, dass der Wagen in Spanien unterschlagen worden war. Der Eigentümer hatte das Fahrzeug einer Agentur überlassen, die es weiter vermietete. Nach der Mietzeit war das Auto – angeblich – verschwunden.

Zahlreiche rote Flaggen also, auf die das Oberlandesgericht Oldenburg in seinem Urteil hinweist. Der Käufer habe es überdies unterlassen, sich eine Vollmacht für die „Verkäufer“ vorlegen zu lassen. Da half es ihm insgesamt auch nicht mehr, dass der Wagen vor dem Verkauf ordnungsgemäß in Deutschland angemeldet wurde. Es lag also eine ordnungsgemäße Zulassungsbescheinigung vor. Aber auch auf dieses Papier könne man sich bei solchen Gesamtumständen nicht verlassen, so die Richter. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Wagen erst wenige Tage vor dem Verkauf erstmals in Deutschland angemeldet wurde. Der Käufer muss das Auto nun an den Eigentümer in Spanien herausgeben. Sein eigener Lamborghini ist auch weg. Diesen hatte er den beiden Herren für 60.000 Euro in Zahlung gegeben und die restlichen 70.000 Euro in bar bezahlt (Aktenzeichen 9 U 52/22).

Unverschämtes Glück

Strafbar oder nicht? Die Kausalität, also die Ursächlichkeit, ist ein Dreh- und Angelpunkt strafrechtlicher Verantwortung. Eine Autobahnblockade der „Letzten Generation“ im Oktober 2022 illustriert das sehr augenscheinlich. Leider geht es in dem Fall um eine 44-Jährige, die verstarb.

Die Radfahrerin war am 31.10.2022 in Berlin-Wilmersdorf von einem Betonmischer überfahren worden. Wegen einer Blockade der Stadtautobahn A 100 durch Klimaaktivisten stand ein Bergungsfahrzeug der Feuerwehr länger im Stau. Das Unfallopfer verstarb einige Tage später im Krankenhaus.

Da liegt es nahe, an eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung zu denken. Das tat die Staatsanwaltschaft auch. Nach – hoffentlich – eingehender Prüfung sieht sie jedoch nicht die notwendige Ursächlichkeit der Blockade für den Tod der Frau. Grundsätzlich wäre diese Strafbarkeit auf jeden Fall möglich. Denn auch ein Klimademonstrant wird so weit denken müssen, dass eine Blockade des Straßenverkehrs auch Rettungskräfte behindert. Mit der Folge, dass Hilfe möglicherweise zu spät kommt. Damit wäre Fahrlässigkeit nur schwer wegzudiskutieren.

Die Fahrlässigkeit lag aber laut der Staatsanwaltschaft in diesem Fall nicht vor. Maßgeblich soll die Einschätzung einer Notärztin sein, die vor dem Bergungsfahrzeug vor Ort war. Konkret lautet der Schluss, das Unfallopfer hätte „ohnehin nicht mehr gerettet werden können“. Also fehlende Kausalität. Wie belastbar diese Schlussfolgerung tatsächlich ist, werden wir hoffentlich noch erfahren. Die Angehörigen des Opfers haben jedenfalls das Recht, die Einstellung anzufechten. Mit Beschwerden. Und sogar einem Klageerzwingungsantrag. Wie gesagt, ist die Frau erst einige Tage später im Krankenhaus gestorben und nicht bereits am Unfallort.

Für Klimaaktivisten ist die Entscheidung aber trotzdem ein Warnschuss. Die in Kauf genommene Behinderung von Rettungskräften ist jedenfalls auch nach Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht durch den immer wieder beschworenen „Notstand“ gerechtfertigt, dem sich andere Rechtsgüter klaglos unterordnen müssen. Das juristische Risiko für die Blockade von Notärzten und Rettungswagen ist damit also nicht aufgehoben. Ebenso wenig für andere negative Folgen solcher Aktionen.

Die Aktivisten hatten, wenn es bei der Einstellung des Verfahrens bleibt, lediglich eines: unverschämtes Glück.

Bericht in der Welt

Wer schreibt, der bleibt

Seit heute morgen wird der Chef des Axel-Springer-Verlags vorgeführt. Die Zeit veröffentlicht etliche mutmaßlich echte Nachrichten von ihm persönlich und aus seinem beruflichen Umfeld. Sieht so aus, als wäre Mathias Döpfner emsiger, um nicht zu sagen obsessiver Mail- und Chatnachrichtenproduzent. Döpfner ist nicht der erste und sicher auch nicht der letzte, dem sich – zu spät – eine bittere Wahrheit über unsere heutige Kommunikation aufdrängen dürfte: Wer schreibt, der bleibt. Und das ist gar nicht gut.

Das gesprochene Wort, vor allem in Form des Telefonats, ist auf dem Rückzug. Als ich vor knapp 30 Jahren mein Büro eröffnete, klingelte das Telefon alle paar Minuten. Wenn ich spätnachmittags von Gerichtsterminen zurückkam, stapelten sich die Rückrufbitten. Heute ist es meist angenehm still. Dafür läuft das E-Mail-Postfach über. Und das Piepen der Messenger-Dienste würde mich in den Wahnsinn treiben, hätte ich nicht irgendwann in den Tiefen irgendwelcher Untermenüs die Stummschaltung entdeckt.

Jeder „schreibt“ nur noch. Auch im Privaten. Vorher nicht schriftlich vereinbarte Telefonate gelten mittlerweile als leichte Form der Körperverletzung. Das kann man gut finden – bis es einen dann döpfnerisiert. Am augenfälligsten ist die flächendeckende Sorglosigkeit natürlich bei meiner Kernklientel. Also mutmaßlichen Straftätern. Oft muss der Staatsanwalt nur die CD mit den WhatsApp-Chats senden, die sich irgendwo immer auf dem Handy eines Mitglieds der betreffenden Labergruppe finden – oder im automatischen Backup in der Cloud. Eine Freispruchverteidigung aus Mangel an Beweisen schrumpft da schnell zur Strafmaßverteidigung. Und mündet im Stoßseufzer des Mandanten über sich selbst: „Wie kann man nur so bescheuert sein?“

Das gesprochene Wort hat in Punkten Vertraulichkeit deutliche Vorteile, nicht nur bei den harten und/oder smarten Jungs. Wer ein persönliches Gespräch oder Telefonat mitschneidet, muss erst mal auf die Idee kommen und das technisch umsetzen. Außerdem macht man sich strafbar (§ 201 StGB), und illegal mitgeschnittene Gespräche sind deswegen oft unverwertbar – auch im Zivilrecht. Natürlich kann der Staat schon mal mithören. Aber erst nach richterlicher Anordnung. Mit Wirkung in die Zukunft. Das ist etwas ganz anderes als die telefonbuchdicken Kladden, in denen man sich seine (Stand heute) liebsten Chatverläufe sogar ausdrucken lassen kann.

Jedes geschriebene Wort schleppt man wie einen Mühlstein mit sich rum. Unweigerlich. Und mutmaßlich auf ewig, denn irgendein Speichermedium findet sich wie gesagt fast immer. Auch privat kann einem die Schreibfreue auf die Füße fallen. Wenn sich eine Partnerschaft in Ablehnung wandelt. Oder eine Freundschaft in Hass. Chats und Mails lassen sich instrumentalisieren, das persönlich oder telefonisch gewechselte Wort hätte sich längst vaporisiert. (Im Gegensatz übrigens zu den heute so beliebten Sprachnachrichten.)

Man muss es ja nicht gleich so übertreiben, wie ein österreichischer Anwalt, mit dem ich einige Male das Vergnügen hatte. Wenn du mit ihm kommunizieren wolltest, musstest du ihn in Wien aufsuchen. Immerhin hat er es unbehelligt bis in den verdienten Ruhestand geschafft.

Formlos. Fristlos. Fruchtlos.

Den Spruch kennt jeder Student aus dem Studium: Dienstaufsichtsbeschwerden sind formlos, fristlos und fruchtlos. Ich persönlich bin ohnehin sparsam mit solchen Eingaben. Meist ist es gerade in verfahrenen Situationen besser, erst mal das persönliche Gespräch zu suchen – auch wenn es bei manchem Gegenüber Überwindung kostet. Mitunter bleibt aber kein anderer Weg als die „DAB“. Etwa, wenn wenn der Betreffende das Gespräch verweigert. Neulich zum Beispiel musste ich per Dienstaufsichtsbeschwerde Anwaltsgebühren hinterherlaufen.

Es ging um einen Freispruch. Da muss der Staat zahlen. Dabei zieren sich die Kostenbeamten mitunter gewaltig. So auch in dem betreffenden Fall. Mehr als 1.000 Euro wurden aus meiner Rechnung rausgestrichen. Mit, ich bleibe höflich, fragwürdiger Begründung. Fand nicht nur ich. Sondern auch das Beschwerdegericht. Dieses sprach mir weitere 980 Euro zu.

Die Auszahlung des Betrages ließ auf sich warten. November, Dezember, der halbe Januar gingen ins Land. Eine ungewöhnlich lange Zeit hier in Nordrhein-Westfalen. Seit es die Zentrale Zahlstelle der Justiz gibt, dauert es maximal 14 Tage, bis das Geld auf dem Konto ist. Ich fragte also höflich nach. Keine Reaktion. Ich erinnerte etwas bestimmter. Kein Feedback. Anrufversuche gingen ins Leere, ebenso eine Rückrufbitte.

Nun ja, dann halt eine Dienstaufsichtsbeschwerde. Ende März. Ich spekulierte in dem Brief gar nicht, ob da jemand beim Gericht sauer war, dass sein Rechtsstandpunkt vom Beschwerdegericht nicht geteilt wurde. Vielmehr wies ich nur knapp auf die völlig unübliche Bearbeitungszeit hin. Und auf den Umstand, dass ich in jedem meiner Briefe darum gebeten hatte, mir – gerne auch mit einer Mail – zumindest zu schreiben, warum es nicht geht und wie lange ich noch warten soll. Bei einem vernünftigen Grund wäre das ja kein Problem. Aber ich war nicht mal einen Einzeiler wert.

Der Direktor des Gerichts bestätigte prompt den Eingang der Beschwerde. Er werde sich die Akte kommen lassen und „prüfen“. Zeitgleich mit seinem Schreiben war dann das Geld auf dem Konto. Ich bin nicht nachtragend, deshalb nahm ich die Dienstaufsichtsbeschwerde auch gleich zurück. Man muss den armen Direktor ja nicht unnötig damit beschäftigen, dass er sich mit gespreizten Formulierungen vor seinen Mitarbeiter stellt. Dem wird er vermutlich sowieso was mit auf den Weg gegeben haben.

Fruchtlos? Kann man also nicht unbedingt sagen.

Tonprotokoll im Strafprozess – besser als nichts.

Mit einer Videoaufzeichnung von Strafprozessen wird es wohl nichts werden. Bundesjustizminister Marco Buschmann entschärft sein Vorhaben aktuell, indem er nur noch die Tonaufzeichnung vorschreiben will. Über Video sollen die Länder selbst entscheiden können. Trotzdem durchaus geschickt, wie sich der Minister da verhält.

Gegen die ursprünglichen Pläne hatte es natürlich Kritik gehagelt. Nämlich vor allem von den Richtern. Diese schoben ihre angebliche Sorge um Zeugen in den Vordergrund. Diese würden durch Videoaufnahmen eingeschüchtert, möglicherweise werde dann nicht mehr die Wahrheit gesagt oder geschwiegen. Tatsächlich geht es der Richterschaft aber darum, die Deutungshoheit darüber zu behalten, was im Prozess gesagt wurde und was nicht. Bis zum heutigen Tag werden bei Verhandlungen am Landgericht und aufwärts Zeugenaussagen und andere Beweisaufnahmen noch nicht einmal schriftlich protokolliert.

Die „Wahrheit“ sind am Ende also nur jene Fakten, welche der Richter ins Urteil schreibt. Dabei geht es in 99 % der Problemfälle gar nicht um bewusste Irreführung oder absichtliche Auslassungen. Wenn der ganze Prozessstoff sich bei Abfassung des Urteils aber nur nur noch aus den eigenen Notizen und dem Gedächtnis rekonstruieren lässt, sind Fehler natürlich programmiert.

Da wäre es schon eine große Hilfe, wenn der „Gegenbeweis“ durch eine transkribierte Tonaufnahme geführt werden kann. Was ja heute technisch kein großartiges Problem mehr ist. Demgemäß hat der Deutsche Anwaltsverein die ursprünglichen Pläne auch begrüßt. Aber auch mit einem audiobasierten Komplettprotokoll, also ohne Video, wäre man dem Ziel schon einen wichtigen Schritt näher.

Ich finde es sehr schön, wie der Bundesjustizminister nun der teilweise scharf formulierten Kritik seitens der Richterschaft den Wind aus den Segeln nimmt. Etwas anderes sind natürlich die großzügigen Übergangsfristen. Vor 2030 wird sich nach der jetzigen Planung in normalen Strafprozessen ohnehin erst mal nichts ändern.

Richter dürfen bis 68 arbeiten

Einsatzfreudige Richter und Staatsanwälte können in Hessen jetzt arbeiten, bis sie 68 Jahre alt werden. Damit wird die gesetzliche Altersgrenze flexibler gestaltet.

Das Ganze funktioniert auf freiwilliger Basis. Kein Richter oder Staatsanwalt kann also zur Arbeit über die Regelaltersgrenze hinaus zum Dienst gezwungen werden. Die Regelaltersgrenze für Beamte liegt bundesweit je nach Lebensalter bei 65 bis 67 Jahren. Der Hessische Justizminister Roman Poseck (CDU) betont, der Justiz bleibe erfahrenes Personal erhalten. Auch könne verhindert werden, dass langwierige Verfahren wegen der starren Altersgrenzen platzen. Es gebe aber auch eine große Nachfrage von Richtern und Staatsanwälten, die gerne länger arbeiten möchten.

Ein Bonbon macht die Entscheidung noch leichter. Wer länger arbeitet, kriegt einen Gehaltszuschlag von 10 %.

Neulich im Polizeigewahrsam

Mit deutlichen Worten rügt das Bayerische Oberste Landesgericht Fehlverhalten bei der bayerischen Polizei. Die Beamten hatten eine Frau in Gewahrsam genommen und sie zwangsweise entkleidet – bis auf den Slip. Hierfür, so das Gericht, gab es überhaupt keinen Grund.

Eine Entkleidung im Polizeigewahrsam sei nur zulässig, wenn Gefahr für Leib oder Leben im Einzelfalls vorliegt, und zwar entweder für die Betroffene oder die Beamten. Hier wurde die Betroffene angeblich deswegen fast nackt ausgezogen, weil die Frau „wahrscheinlich“ einen BH mit einem Metallbügel trug. Das Metall sei ein gefährliches Werkzeug, so die Polizei.

Die Frage nach Metallbügeln im BH hätte laut dem Gericht auch durch Abtasten geklärt werden könne. Wieso die Frau wegen des BH auch noch ihre Hose ausziehen musste, kann das Gericht nicht nachvollziehen. Weiterhin kritisieren die Richter, dass sich am Ausziehen der Frau entgegen den Vorschriften auch männliche Beamte beteiligten. Einer soll sogar den BH geöffnet haben.

Wegen der krassen Rechtsverstöße im Polizeigewahrsam hob das Bayerische Oberste Landesgericht die Verurteilung der Frau wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte auf. Über die Vorwürfe muss nun neu verhandelt werden (Aktenzeichen 206 StRR 296/22).

Zu langer Dateiname beim beA

Seit Ende letzten Jahres müssen Anwälte viele Dokumenten an Gerichte über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) senden. Das funktioniert, aber die Tücken liegen oft im Detail. So können zu lange Dateinamen dazu führen, dass die Anwaltspost beim Gericht automatisch als unlesbar eingestuft wird. Mit so einem Fall musste sich jetzt das Bundesverfassungsgericht beschäftigen.

Der von einem Anwalt gesendete Antrag hatte einen Dateinamen, der über die vorgesehenen 90 bzw. 84 Zeichen hinausging. Das Gericht behandelte das Dokument deshalb als „unleserlich“, so dass auch die Frist nicht gewahrt wurde.

So geht es nicht, entscheiden die Verfassungsrichter. Sie weisen darauf hin, dass rechtliches Gehör nur im gesetzlich zulässigen Rahmen eingeschränkt werden kann. Die von der Justiz selbst festgelegten Regeln über Dateilängen bei der Justiz seien keine ausreichende Grundlage. Wenn die Datei grundsätzlich lesbar sei, genüge das. Das Gericht hätte somit den Absender zumindest auf die technischen Probleme hinweisen und Gelegenheit zur Nachbesserung geben müssen.

Mittlerweile kann man bei der beA-Nutzung nicht mehr in die Falle zu langer oder sonst unzulässiger Dateinamen tappen. Die Betreiber haben dem Programm eine Prüfinstanz spendiert, die nur ausreichende Dateinamen akzeptiert (Aktenzeichen 1 BvR 1881/21).

Verfassungsgericht hat Probleme mit einem Vogel

Das Bundesverfassungsgericht hat sich Anfang März ein neues „Corporate Design“ für 84.622,00 € zugelegt. Darunter auch eine stromlinenförmiger designte Version des Bundesadlers. Allerdings ziert dieser Vogel offenbar auch die aktuellen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Möglicherweise ohne ausreichende rechtliche Grundlage.

Das legt jedenfalls ein Hintergrundbericht in der Legal Tribune Online (LTO) nahe. Nach aktueller Rechtslage sind oberste Gerichte nach einer auch heute noch gültigen Anordnung des seinerzeitigen Bundespräsidenten Theodor Heuss aus dem Jahr 1950 verpflichtet, das „große Bundessiegel zur Ausfertigung von Urteilen und Beschlüssen“ zu verwenden.

Laut LTO hat allerdings niemand vom Bundesverfassungsgericht die Zustimmung des amtierenden Bundespräsidenten für das neue Wappentier eingeholt. Während das Gericht in früheren Pressemitteilungen noch von einem „neuen Hoheitsabzeichen“ sprach, beruft sich Karlsruhe nach Rückfragen nun lediglich noch auf sein Recht, als Verfassungsorgan „selbständig über sein Erscheinungsbild“ entscheiden zu dürfen. Ob das am Ende reicht, wird sich zeigen.

Beweismittel gegen sich selbst

Heute habe ich mal ein eindrückliches Beispiel dafür, wie wichtig das Schweigerecht im Strafverfahren ist. Es geht um den Vorwurf der Trunkenheit im Straßenverkehr.

Zeugen fiel ein Pkw auf, welcher auf die Mutter meines Mandanten zugelassen ist. Das war um 16.42 Uhr. Die Zeugen konnten allerdings nicht sehen, wer im Auto saß. Eine Beschreibung des Fahrers bzw. der Fahrerin gibt es nicht. Um 18.46 Uhr kam eine Polizeistreife am Haus der Mutter (Fahrzeughalterin) meines Mandanten an. Der Mandant wohnt auch in dem Haus.

Die Polizeibeamten fanden meinen Mandanten schlafend im verschlossenen Pkw. Im Fußraum des Pkw lagen einige Flaschen mit hartem Alkohol. Mein Mandant wurde natürlich gefragt, ob er den Wagen um 16.42 Uhr gefahren ist. Dazu lehnte er aber jede Stellungnahme ab. Er sagte lediglich, dass er später reichlich Alkohol getrunken hat, und zwar zu Hause und im (ordnungsgemäß auf Privatgelände stehenden) Auto.

Natürlich wurde ein Blutprobe entnommen, der Alkoholwert lag weiter über jedem zulässigen Grenzwert. Die Staatsanwaltschaft beantragte, meinem Mandanten die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen. Klingt ja alles erst mal recht endeutig. Wenn man nicht an einen Ermittlungsrichter gerät, der das geltende Recht nicht dem anscheinend Offenkudigem unterordnet. Der Richter lehnte die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis mit folgender Begründung ab:

Es liegen keine dringenden Gründe vor, dass der Beschuldigte um 16.42 Uhr in fahruntüchtigem Zustand ein Kraftfahrzeug geführt hat. Die Fahreigenschaft des Beschuldigten steht nicht eindeutig fest. Der Beschuldigte konnte erst um 18.46 Uhr an dessen Wohnanschrift festgestellt werden. Er sass auf dem Fahrersitz des Fahrzeugs in der Einfahrt und schlief. Auf dem Beifahrersitz und im Fußraum befanden sich diverse Flaschen mit Alkoholika. Nach Belehrung machte der Beschuldigte Nachtrunk geltend; … weitere Angaben zur Sache machte er nicht.

Bei dieser Sachlage liegen derzeit keine dringenden Gründe für die Annahme einer Trunkenheitsfahrt vor.

Man sieht also: Wer sich erst gar nicht auf ein Frage-Antwort-Spiel einlässt, riskiert nicht, dass er mit vorschnellen Angaben zum Beweismittel gegen sich selbst wird. Das ist aus Sicht der Verteidigung immer dann geradezu tragisch, wenn sich am Ende herausstellt, dass es gar keine anderen tragfähigen Beweise gibt. Wie in diesem Fall.

Das Verfahren wurde nach der klaren Ansage des Ermittlungsrichters übrigens gleich endgültig eingestellt.

Gesetzesplan des Grauens

Der Kölner Kollege Christian Solmecke ist auf einen Gesetzesplan gestoßen, der es wirklich in sich hat. Wenn ihr soziale Medien nutzt, schaut euch sein Video auf jeden Fall an:

Am Ende oder im Verlauf des Videos erfahrt ihr auf jeden Fall etwas darüber, wie hoch euer aktueller „Ist mir doch egal“-Level gegenüber Maßnahmen der Regierung, des Bundestages und der EU-Kommission ist.