Kunden dürfen feilschen – auch nachträglich

Das Widerrufsrecht bei Online-Bestellungen und anderen Fernabsatzverträgen erlaubt es dem Kunden auch, auf einen besseren Preis zu pokern. Ein Kunde hatte einem Matratzenhändler „gedroht“, dass er seinen online geschlossenen Kaufvertrag fristgerecht widerruft, sofern er nicht 32,98 Euro Nachlass erhält. So viel günstiger bot mittlerweile ein anderer Händler die Matratzen an.

Der Händler verweigerte die Rückabwicklung des Kaufvertrages mit der Begründung, der Kunde verhalte sich rechtsmissbräuchlich. Das Widerrufsrecht beim Kaufvertrag bestehe, damit der Käufer die Ware prüfen könne. Nicht aber, um nachträglich den Preis zu drücken.

Dieser Argumentation konnte der Bundesgerichtshof in einem heute veröffentlichten Urteil nichts abgewinnen. Das Widerrufsrecht gebe dem Käufer ein effektives und einfach durchzusetzendes Recht zur Aufhebung des Vertrages, so die Richter. Dazu gehöre auch, dass der Kunde den Widerruf nicht begründen müsse. Deshalb sei es grundsätzlich uninteressant, aus welchen Gründen der Käufer widerruft.

Eine unzulässige Schikane sei der nachträgliche Preisvergleich jedenfalls nicht. Das uneingeschränkte Widerrufsrecht führe eben zu der „Wettbewerbssituation“, dass Kunden auch noch nach dem Kauf Preise vergleichen können. Es gebe keinen Grund, warum der Kunde diesen Vorteil nicht nutzen dürfe. Der Matratzenhändler muss nun den vollständigen Kaufpreis erstatten (Aktenzeichen VIII ZR 146/15).

Google übersetzt für die Polizei

Googles Produkte sind sicher in den meisten Fällen alltagstauglich. Aber auf die Idee, dass dies auch für „Google Translate“ gilt, musste wohl erst die Essener Polizei kommen. Die Essener Beamten „verhörten“ einen mutmaßlichen Ladendieb mit Google Translate, statt sich über einen Dolmetscher mit ihm zu verständigen. Der Beschuldigte sprach wohl arabisch und die Polizisten nicht, berichtet die Rheinische Post.

Dass Google Translate technisch derzeit gar nicht in der Lage ist, eine Vernehmung sauber zu übertragen, braucht man wohl nicht zu diskutieren. Wer hier an die Technik glaubt, kann ja mal einen ganz simplen Text eingeben. Und dann kräftig lachen.

Interessanter ist aber, dass die Polizisten überhaupt auf die Idee gekommen ist, den Beschuldigten ohne einen Dolmetscher zu vernehmen, nachdem sie die Sprachinkompatibilität festgestellt hatte. Denn so ein Vorgehen lässt sich, wenig überraschend, mit der Strafprozessordnung nicht vereinbaren.

So ist nach den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren schon bei der ersten Vernehmung aktenkundig zu machen, ob der Beschuldigte hinreichende Deutschkenntnisse hat, so dass ein Dolmetscher entbehrlich ist. Ausreichende Sprachkenntnisse müssen also positiv festgestellt werden. Gelingt dies nicht, muss im Zweifel ein Dolmetscher ran – und eben keine Maschine. Noch dazu eine Maschine bzw. Software, die alle eingegebenen Daten an unbekannter Stelle verarbeitet und vielleicht sogar speichert.

Ansonsten erklären die in dem verlinkten Artikel zitierten Juristen sehr nachvollziehbar, was da bei der Essener Polizei schiefgelaufen ist. Nachdenklich macht mich die Weigerung der Staatsanwaltschaft, Auskunft zu geben, ob es sich hier nur um einen bedauerlichen Einzelfall handelt oder ob solche Praktiken geduldet werden.

Schweigen ist keine Zustimmung

Wenn (Ex-)Mandanten oder Dritte sich über Anwälte beschweren, leiten die Rechtsanwaltskammern Verfahren ein. Dadurch werden die Beschwerdeführer aber nicht zu Beteiligten, stellt der Bundesgerichtshof jetzt in einem Beschluss klar. Das hat Folgen für die Weitergabe von Informationen. So ist es nach der Entscheidung unzulässig, wenn die Kammer dem Beschwerdeführer die Stellungnahme des Anwalts zu den Vorwürfen übersendet.

Das gilt jedenfalls so lange, wie der Anwalt nicht ausdrücklich zustimmt. Bisher war es so, dass die meisten Kammern den Beschwerdeführern eine Kopie der Stellungnahme schickten, sofern der Anwalt nicht ausdrücklich widersprach. Wobei es nur natürlich ist, dass ein Widerspruch dann oft schon als halbes Schuldeingeständnis galt.

Die bisherige Praxis ist unzulässig, so das Gericht. Es müsse stets das ausdrückliche Einverständnis des Anwalts vorliegen. Tut es dies nicht, darf seine Stellungnahme nur vom Kammervorstand gelesen werden.

Bericht in der LTO

Breivik klagt gegen Isolation

Die norwegische Justiz verhandelt seit heute über die Haftbedingungen von Anders Breivik. Der 37-Jährige hat 2011 ein Massaker mit 77 Opfern angerichtet. Breivik geht es darum, dass er seit seiner Festnahme ununterbrochen in einer Art Isolationshaft sitzt. Diese Haftbedingungen fügen ihm, so sein Anwalt, psychische und physische Schäden zu.

Breivik hat ausschließlich Kontakt mit Gefängnispersonal, berichtet die FAZ. Mithäftlinge bekommt er nicht zu Gesicht. Seine Post wird zensiert. In der ganzen Zeit hat er erst zwei private Besuche empfangen, darunter einen von seiner mittlerweile verstorbenen Mutter. Selbst seinen Anwalt darf er nur hinter einer Trennscheibe sprechen.

Auch in Norwegen gilt die Europäische Menschenrechtskonvention. Nach Art. 3 darf „niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden“. Das dürfte also am Ende der juristische Prüfungsmaßstab sein, sofern Breivik wie schon angekündigt im Falle einer Niederlage vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zieht.

Es wird also am Ende darauf ankommen, welche sachlichen Gründe es für Breiviks Behandlung gibt. Denn ganz ohne sachlichen Grund, so viel ist klar, wäre Isolation nicht nur eine unwürdige Behandlung, sondern sogar verbotene Folter. Die Osloer Richter nehmen sich jedenfalls mehrere Tage Zeit, um den Fall – und wahrscheinlich hauptsächlich Breiviks Gefährlichkeit – zu prüfen. Das ist schon mal ein gutes Zeichen. Denn die Qualität eines Rechtsstaates zeigt sich gerade auch daran, wie souverän er mit seinen schwierigsten Fällen umgeht.

Gegenwehr unmöglich

Den Führerschein verliert man nur wegen Taten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen. Könnte man meinen. Aber viele Straßenverkehrsämter sehen das mittlerweile nicht mehr so eng. Und das gilt nicht nur für Alkoholdelikte, wie ein Beschluss des Verwaltungsgerichts Neustadt zeigt.

Ein 26-Jähriger muss seine Fahrerlaubnis abgeben, weil er aus seinem Wohnzimmerfenster mit einem erlaubnispflichtigen Druckgasgewehr auf eine Schülergruppe geschossen hat. Dabei traf er einen Schüler an der Schulter. Die Folge war ein Bluterguss. Klar, dass der Mann wegen Körperverletzung und Verstoßes gegen das Waffengesetz bestraft wurde, und zwar zu neun Monaten Gefängnis auf Bewährung.

Obwohl die Tat in keinem Zusammenhang zum Straßenverkehr stand, verlangte das Straßenverkehrsamt eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU). Die bestand der Betroffene nicht, weil ihm der Sachverständige ein hohes Aggressionspotenzial bestätigt. Dieses Potenzial werde künftig zu Ausfällen im Straßenverkehr führen. Und das, obwohl der 26-Jährige schon drei Jahr den Führerschein hatte und in der ganzen Zeit nichts vorgefallen ist.

Das Verwaltungsgericht Neustadt folgt dem Sachverständigen ausdrücklich in der Annahme, dass Forschungsergebnisse einen engen Zusammenhang zwischen allgemein-strafrechtlichen Delikten, Aggressivität und Verkehrsauffälligkeiten belegen. Personen, die außerhalb des Straßenverkehrs wenig Rücksicht auf Regeln und Gesetze nehmen, würden das auch im Straßenverkehr tun.

Für mich klingt das mehr nach Binsenweisheit, weniger nach Wissenschaft. Jedenfalls öffnen solche doch gewagten Schlussfolgerungen Tür und Tor für die Straßenverkehrsämter, künftig bei so gut wie jeder strafrechtlichen Verurteilung irgendwelche Rückschlüsse auf die Fahreignung zu ziehen. Auch wenn die Tat selbst gar keinen Zusammenhang mit dem Straßenverkehr hat.

Geradezu perfide wird es nach meiner Meinung, wenn das Verwaltungsgericht Neustadt sich nicht dafür interessiert, ob die MPU überhaupt hätte angeordnet werden dürfen. Die Richter meinen nämlich, darauf komme es nicht an. Denn selbst wenn die Anordnung zu Unrecht erfolgte, dürfe das Gutachten trotzdem verwendet werden, weil es eine „neue Tatsache“ sei, der selbständige Bedeutung zukomme.

Wie praktisch, dass ein Betroffener auch nicht klagen kann, wenn er zu einem Gutachten aufgefordert wird. Die MPU-Anordnung selbst gilt nämlich nicht als selbständig anfechtbarer Verwaltungsakt. Mit anderen Worten: Vorher kann man sich nicht wehren. Und hinterher auch nicht.

Link zum Beschluss des Verwaltungsgerichts

„Barauszahlungsentgelt“

Die Bankbranche ist in einem Punkt sicher führend. Bei der Erfindung neuer Gebühren. Heute nötigt mir in dieser Beziehung die Postbank besonderen Respekt ab. Dort habe ich mir vor kurzem die Prepaid Visa Karte besorgt, weil der Anbieter Kalixa, bei dem bisher immer alles glatt lief, sein Angebot leider einstellt. Normale Kreditkarten nutze ich nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Da ist mir das Schicksal etlicher Mandanten eine Lehre, deren Karten von irgendwelchen freundlichen Zeitgenossen bis an die Grenze des Verfügungsrahmens geplündert wurden.

Die Postbank Prepaid Visa war noch keine Woche alt, als mir „5,00 € Barauszahlungsentgelt“ in Rechnung gestellt wurden. Ich hatte mit der Karte zwar schon einiges veranstaltet, aber sicher kein Bargeld gezogen. Meine Mail an den Kundenservice brachte dann folgende Erkenntnis: Ich muss 5 Euro „Barauszahlungsentgelt“ bezahlen, gleichwohl ich mir überhaupt nichts bar habe auszahlen lassen.

Denn, so wurde mir erklärt, die Postbank nimmt gemäß Ziff. 2.16 ihres Preis- und Leistungsverzeichnisses eine Gebühr von 2,5 %, mindestens aber 5,00 €, „bei Einsatz der Postbank Kreditkarten zum Bezahlen bei Wettbüros, Casinobetrieben und Lotteriegesellschaften im Rahmen deren Geschäftsbetriebs“.

Schuld war also ein online bezahlter Tipp-Schein für eine – von gewissen Staatsvertrags-Problematiken abgesehen – ganz seriösliche Lotterie, der mich selbst ganze 8,40 Euro gekostet hatte. Wieso die happige Gebühr auf der Abrechnung als „Barauszahlung“ auftaucht, erklärte mir der Postbank-Service auf meine Nachfrage hin in der gleichen Mail:

Der Erwerb von Lotto- oder Wettscheinen oder Chips im Spielcasino sowie bei entsprechenden Online-Anbietern entspricht dem Wesen nach dem Erwerb von Bargeld. Ähnlich wie ein Geldschein repräsentieren solche Scheine oder Chips einen Wert, der für weitere Zwecke – hier das Glücksspiel – eingesetzt wird. Mit dem neuen Entgelt stellt die Postbank deshalb diese Kreditkartenumsätze den Bargeldverfügungen mit Kreditkarte gleich.

Na ja, ich würde da schon gerne wissen, wieso dann nicht auch der Erwerb eines Amazon-Gutscheins oder das Aufladen einer Music-Flatrate nicht auch 5 Euro kostet. Und wieso man Barauszahlung in die Abrechnung reinschreibt, wenn es doch ersichtlich nicht um eine Barauszahlung geht.

Ich persönlich fühle mich durch das Postbank-Wortgeklingel einstweilen ein bisschen veräppelt. Deswegen gucke ich bei Gelegenheit doch mal, was die Konkurrenz so an Prepaid-Karten bietet. Obwohl ich mir natürlich nicht sonderlich viel Hoffnung mache, dass es woanders wesentlich besser läuft.

Rechtspfleger bilden Abwehrfront

Im öffentlich zugänglichen Rechtspflegerforum kann man gerade einen ziemlich kuriosen Fall verfolgen. Und das sozusagen „live“.

Eine anscheinend nicht existierende Anwaltskanzlei hat bundesweit für einen Asylbewerber Beratungshilfe beantragt und diverse Dokumente vorgelegt. Angeblich will sich der Mann gegen einen Bescheid der Berliner Sozialbehörde wehren, ist aber laut dem Antrag vor kurzem umgezogen. Deshalb wird jetzt Beratungshilfe am örtlich zuständigen Gericht beantragt.

Wie es aussieht, ist der gleichlautende Antrag aber so gut wie bei jedem deutschen Amtsgericht gestellt worden, und zwar jeweils für die gleiche Person. Würden die Anträge bewilligt, bekämen die Antragsteller eine Erstberatung aus der Staatskasse bezahlt. Da kämen dann schon etliche tausend Euro zusammen.

Jetzt sieht es eher danach aus, als müsse sich der Initiator der Aktion auf Strafanzeigen und Maßnahmen der Anwaltskammer einstellen. Ein Entschuldigungsschreiben soll er mittlerweile versandt haben. Danach hat eine Mitarbeiterin eigenmächtig die Anträge formuliert und an alle deutschen Amtsgerichte gefaxt.

Hier kann man die aktuelle Entwicklung mitverfolgen.

Messerattacke: Kein Maulkorb für Minister

Eine 15-Jährige hat in Hannover einen Polizeibeamten mit einem Messer attackiert und schwer verletzt. Die Polizei vermutet einen terroristischen Hintergrund, da die Betroffene Kontakte zu radikalen Islamisten gehabt haben soll. Die junge Frau will der niedersächsischen Justiz verbieten, anderen Stellen über das Verfahren Auskunft zu geben.

Das Verwaltungsgericht Hannover wies allerdings einen Eilantrag der 15-Jährigen auf eine einstweilige Verfügung zurück. Mit dieser sollte es dem Justizminister unter anderem untersagt werden, die Landtagsabgeordneten in einer vertraulichen Sitzung des Rechts- und Innenausschusses am 11. März über den Stand des Verfahren zu unterrichten.

Das Verwaltungsgericht meint allerdings, der Justizminister sei zur Information verpflichtet. Die Niedersächsische Verfassung gebe den Abgeordneten Auskunftsansprüche gegenüber der Landesregierung. Überwiegende schutzwürdige Belange der Betroffenen seien nicht erkennbar, auch wegen der Schwere des Tatvorwurfs. Es gebe auch keine Anhaltspunkte dafür, dass einzelne Abgeordnete die Vertraulichkeit brechen.

Einen allgemeinen Maulkorb wollte das Gericht auch nicht gegen das Justizministerium verhängen. Es gebe schon gar keine Anhaltspunkte dafür, dass die Justiz „beliebigen Dritten“ Informationen zukommen lasse (Aktenzeichen 6 B 1658/16).

Individuelles Trinkbedürfnis

Ein Querschnittsgelähmter, der auf Katheter angewiesen ist, muss sich von seiner gesetzlichen Krankenkasse nicht vorschreiben lassen, wie viel er täglich zu trinken hat. Wenn er ca. 3,5 Liter pro Tag trinkt, muss die Krankenkasse dem Mann auch medizinische Hilfsmittel in diesem Umfang bewilligen. Dies hat das Sozialgericht Dresden entschieden.

Die Krankenkasse meinte bei dem Mann, es sei lediglich eine Trinkmenge von 2,5 Liter pro Tag erforderlich. Demgemäß bezahlte sie ihm nur die Katheter und Bettbeutel für diese Menge. Der Betroffene gab dagegen an, er habe ein höhere Trinkbedürfnis.

Das Sozialgericht Dresden hält es für unvereinbar mit der Menschenwürde, wenn bei einem invididuellen Trinkbedürfnis nur Durchschnittswerte angesetzt werden. Der Betroffene habe auch ein persönliches „Sicherheitsbedürfnis“, dem Rechnung zu tragen sei.

Die Krankenkasse muss laut dem Urteil die Hilfsmittel nach dem tatsächlichen Bedarf bezahlen. Allerdings hat sie gegen das Urteil Berufung eingelegt (Aktenzeichen S 47 KR 105/13).

Eine „unsichtbare“ Zeugin

Ein heikles Thema wird in den nächsten Tagen das Landgericht München beschäftigen. In einem Strafprozess geht es mittelbar auch um die Frage, ob eine Zeugin vor Gericht ihr Gesicht zeigen muss. Die Frau muslimischen Glaubens trug bei ihrer ersten Zeugenaussage vor dem Amtsgericht München ein Gewand namens Naqib, das nur einen dünnen Sehschlitz für die Augen freilässt. Außerdem hüllte sie sich in einen langen Mantel und trug Lederhandschuhe, heißt es etwa in diesem Bericht.

Die Strafprozessordnung selbst enthält keine detaillierten Regeln, wie sich Zeugen vor Gericht präsentieren dürfen. Die Grenze ist die sogenannte Ungebühr, die in § 178 GVG eher allgemein geregelt ist. Es gibt Dutzende Entscheidungen über korrekte und falsche Bekleidung im Zeugenstand. Klar ist jedenfalls, dass sich die Zeiten ändern. So darf die Justiz nicht mehr übertriebene Anforderungen an Zeugen stellen. Freizeitkleidung, Berufskleidung, kurze Hosen und bauchfreie Shirts verletzen heute nicht mehr die Würde des Gerichts, so lässt sich die aktuelle Rechtsprechung zusammenfassen.

Nach wie vor kann ein Richter aber verlangen, dass Schiebermützen, Sportkäppis oder Hoodies während der Aussage nicht den Kopf des Zeugen zieren. Schwieriger wird es aber, wenn die Kopfbekleidung religiös motiviert ist. Im Fall einer Muslima hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass diese nicht wegen ihres Kopftuches aus dem Saal gewiesen werden durfte. Allerdings war die Frau nur Zuschauerin.

Dieser Entscheidung des Verfassungsgerichts lässt sich aber auch entnehmen, dass Betroffene trotz ihrer Kleidung zumindest „identifizierbar“ sein müssen. Gerade bei Zeugen dürfte das noch eine größere Rolle spielen als bei Zuschauern. Immerhin gibt es ja für das Gericht über die Frage der „Würde“ auch noch einen sachlichen Grund, das Gesicht der Zeugin sehen zu wollen. Nämlich, um ihre Glaubwürdigkeit prüfen zu können. Dieses Interesse haben natürlich auch regelmäßig der Angeklagte und sein Verteidiger.

Es wird deshalb interessant, wie das Landgericht München mit dem Fall umgeht. Verhandelt werden soll die Sache am 17. März.

Vitamin B im Loveparade-Prozess

In zwei Schadensersatzprozessen wegen des Unglücks bei der Loveparade im Jahr 2010 kommt es zu eimem Richterwechsel. Die Vorsitzende Richterin am Landgericht Duisburg ist befangen und muss ausgewechselt werden, so das Oberlandesgericht Düsseldorf.

In den Verfahren verklagen Loveparade-Opfer unter anderem die Stadt Duisburg auf Schadensersatz. Die Stadt Duisburg hatte in dem Prozess Rechtsgutachten einer Düsseldorfer Anwaltskanzlei vorgelegt, um die Ansprüche abzuwehren. Einer der Chefs dieser Anwaltskanzlei ist mit der Vorsitzenden Richterin verheiratet.

Die Richterin selbst betrachtete sich deswegen nicht für befangen, das OLG Düsseldorf sieht dies anders. Auch wenn der Ehemann der Richterin selbst nicht direkt an den Gutachten mitgeschrieben habe, gebe es eine „berufliche Nähe“ (und damit ist sicher auch eine wirtschäftliche Nähe gemeint) zu den Verfassern. Schon das könne eine Konflitksituation für die Richterin begründen und ein unparteiisches Urteil erschweren.

Mit einem Tick mehr Sensibilität hätte die Richterin diese Schlussfolgerung wohl auch selbst ziehen können (Aktenzeichen I – 11 W 53/15 und I – 11 W 54/15).

Die „Herren des Bangs“

Die sächsische Polizei hat unter anderem mit Heidenau grandios vorgelegt, was das allgemeine Kopfschütteln angeht. Da möchte die Justiz natürlich nicht hintanstehen. So prescht jetzt die Chemnitzer Staatsanwaltschaft mit freundlicher Unterstützung des örtlichen Amtsgerichts couragiert vor, um sich nach Kräften lächerlich zu machen.

Es geht um handelsübliches Vogelfutter, das die Chemnitzer Piratenpartei an einem Infostand zum Thema Drogenpolitik verteilt hat. Nach einer Hausdurchsuchung kamen jetzt die Strafbefehle. Wegen „unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln“ sollen der damalige Ortsvorsitzende und andere Parteimitglieder Geldstrafen zahlen. Und künftig vorbestraft durchs Leben gehen.

Dass es sich bei dem Vogelfutter um Hanfsamen gehandelt hat, streiten die Organisatoren nicht ab. Warum auch, die Samen dürfen grundsätzlich legal verkauft werden. Im Chemnitzer Fall waren sie recht eindeutig als „Angelhanf Taubenfutter Hanfsamen Hanfsaat“ deklariert. Die Piraten wiesen auch noch ausdrücklich darauf hin, dass der Samen in Muttererde nichts verloren hat, weil das Heranzüchten von Cannabispflanzen strafbar wäre.

Das bedeutet aber nicht, dass juristische Probleme ausgeschlossen sind. Derzeit ist der Handel bzw. das Weitergeben von Cannabissamen verboten, „wenn der Samen nach den Umständen zum unerlaubten Anbau bestimmt ist“. So fasst der Standardkommentar Körner/Patzak/Volkmer zum Betäubungsmittelgesetz die juristische Lage zusammen. Es kommt also darauf an, ob das tatsächliche Ziel der Beteiligten am Ende eine berauschende Ernte ist. In der Tat gibt es immer wieder – oft auch im Ausland ansässige – Growshops, die in ihrer Werbung zwar oben Vogelfutter schreiben, unten dann aber in ganz andere Richtungen abschweifen („gemacht für Raucher, die ihre Grenzen testen wollen“, „Herr des Bangs“). Das sind dann tatsächlich liebe Einladungen an die Polizei.

So ein Anliegen dürfte den Piraten aber mit ihrer politischen (!) Aktion erkennbar nicht nachzuweisen sein. Zumal sie zumindest nach eigenen Angaben überhaupt nicht wussten, ob mit dem selbst nur gekauften Samen überhaupt Pflanzen sprießen würden, die überhaupt Wirkstoff in relevanter Menge liefern. Es gibt ja auch etliche Sorten von Industriehanf.

Das alles hat die Staatsanwaltschaft Chemnitz wohl auch gesehen. Sie bot den Beschuldigten zunächst an, das Verfahren gegen eine Geldauflage einzustellen. Nachdem die Betroffenen nachvollziehbar ablehnten, hätte es auch die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung gegeben. Stattdessen zieht man es vor, die Beschuldigten vor Gericht zu zerren.

Es wird interessant, wie weit es die Sachsen diesmal treiben wollen.

Erdrückende Beweislast

Aus einer Strafanzeige:

Herr S. wurde in der Fußgängerzone angehalten und durchsucht. Es wurde nichts Verdächtiges aufgefunden außer Bargeld in einer schwarzen Geldbörse: 3 x 50 Euro, 11 x 20 Euro, 1 x 10 Euro, 1 x 5 Euro. Es handelt sich um eine dealgeldtypische Geldstückelung.

Sozusagen eine erdrückende Beweislast. Kaum nachvollziehbar, wieso der Staatsanwalt das Verfahren dennoch kurzerhand eingestellt hat.

Freundlicher Hinweis

Aus einer Vorladung der Polizei:

Sie sind Halter des Fahrzeugs BMW KA-XY 0000. Die Ermittlungen bezüglich der Unfallflucht richten sich … gegen Ihren Sohn. Sollte Ihr Sohn Fahrer zur Unfallzeit gewesen sein, haben Sie als Vater das sogenannte Zeugnisverweigerungsrecht, d.h. Sie müssen keine Angaben zum Fahrer machen.

Sollte zur Unfallzeit jemand gefahren sein, gegenüber dem Sie kein ZVR haben, sind Sie als Zeuge zur Aussage verpflichtet, notfalls vor einem Richter.

Bitte teilen Sie mir möglichst zeitnah mit, ob Sie den Termin am Freitag wahrnehmen.

Positiv an dieser Vorladung ist, dass der Polizeibeamte sich eine Belehrung über die Rechte des Fahrzeughalters nicht für die Vernehmung aufspart. Vielmehr macht er dem Empfänger des Schreibens schon ziemlich deutlich, dass dieser jedenfalls in Bezug auf seinen Sohn, den Beschuldigten, schon wegen des Verwandtschaftsverhältnisses rein gar nichts sagen muss.

Ganz vollständig ist der freundliche Hinweis allerdings trotzdem nicht:

– Niemand muss mit der Polizei sprechen. Auch ein Zeuge nicht. Deshalb sollte man eine Vorladung auch besser als Einladung bezeichnen. Mehr ist sie nämlich nicht. Denn wer nicht mit der Polizei sprechen muss, braucht selbstverständlich auch nicht auf die Wache zu kommen.

– Eine Vorladung durch den Staatsanwalt oder einen Richter ist kein Automatismus. Tatsächlich bleibt die Vorladung meist aus. Wenn sie aber erfolgt, darf ein Zeuge nur dann nichts sagen, wenn ihm ein Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht zusteht.

– Neben dem Zeugnisverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft kann man als Zeuge auch die Auskunft verweigern, wenn man sich selbst in den Verdacht einer Straftat bringen könnte. Der Zeuge muss also rein gar nichts sagen, was ihm selbst schaden könnte.

Trotz der gewissen Unschärfen bleibt es toll, dass der Beamte sich wenigstens bemüht, den Zeugen schon bei der Einladung zu einer Vernehmung über seine wesentlichen Rechte zu informieren.

Daran könnten sich 99 % der deutschen Kripobeamten ein Vorbild nehmen, denen so was nie in den Sinn kommen würde.

„Ich wollte das Handy nur laden“

Wer sein Handy im Auto dabei hat, der wird sich für diese Gerichtsentscheidung interessieren. Laut Oberlandesgericht Oldenburg ist es einem Autofahrer untersagt, sein Handy in die Hand zu nehmen, auch wenn er es nur an ein Ladekabel anschließen will.

Ein Lkw-Fahrer hatte sich damit verteidigt, er habe sein Handy gar nicht nutzen, sondern es nur aufladen wollen. Doch auch dies fällt nach Meinung des Gerichts bereits unter den Tatbestand des § 23 Abs. 1a StVO, der da lautet:

Wer ein Fahrzeug führt, darf ein Mobil- oder Autotelefon nicht benutzen, wenn hierfür das Mobiltelefon oder der Hörer des Autotelefons aufgenommen oder gehalten werden muss. Dies gilt nicht, wenn das Fahrzeug steht und bei Kraftfahrzeugen der Motor ausgeschaltet ist.

Von einem „Benutzen“ des Mobiltelefons kann man laut der Entscheidung schon sprechen, wenn die eigentliche Nutzung nur vorbereitet wird. Das Laden sei so eine mit erfasste Vorbereitungshandlung, weil man ohne geladenen Akku nicht telefonieren könne.

Das Aufladen ist also schon eine „Benutzung“. Damit schrabbt die Entscheidung zumindest deutlich hörbar an den sprachlichen Grenzen der Vorschrift. Da ist es sicher denkbar, dass der eine oder andere Bußgeldrichter am Amtsgericht die Sache anders sieht. Wenn er denn glaubt, dass das Handy nur geladen werden sollte (Aktenzeichen 2 Ss OWi 290/15).