BAB 11: Brandenburg überwachte illegal alle Autofahrer

Rund vier Jahre speicherte die Polizei in Brandenburg an zwei Kontrollpunkten auf der BAB 11 die Kennzeichen aller vorbeifahrenden Autos. Das geschah anlasslos. Ein Mann aus der Ueckermark klagte dagegen, nun bekam er vor dem Landgericht Frankfurt an der Oder recht.

Im sogenannten Aufzeichnungsmodus speicherte das Kennzeichenerfassungssystem KESY jedes Kennzeichen, ohne dass die Verkehrsteilnehmer einer Straftat verdächtig waren. Schon die Datenschutzbeauftragte des Landes hat die Praxis kritisiert. Die Überwachung war erst lange nach Inbetriebnahme des Systems bekanntgeworden, als im möglichen Mordfall Rebecca auf der BAB 11 gewonnene Daten eine Rolle spielten. Das Landgericht Frankfurt an der Oder stellt in dem Beschluss vom 22. Juli eher lapidar fest, dass es für solche Maßnahmen einer gesetzlichen Befugnis bedürfe. Diese habe seinerzeit aber nicht existiert.

Mittlerweile ist die Kennzeichenkontrolle in der Strafprozessordnung geregelt (§ 163g StPO). Sie darf nach der neuen Regelung keinesfalls mehr nach dem Gießkannenprinzip erfolgen. Auch KESY in Brandenburg soll mittlerweile nur noch im „Fahndungsmodus“ laufen.

Kein Druck auf schnelle Aussage

Das Schweigerecht des Beschuldigten ist ein unglaublich wichtiges Prinzip im Rechtsstaat. Wenn jemand zu Vorwürfen schweigt, dürfen daraus keine negativen Rückschlüsse gezogen werden. Aber wie sieht es aus, wenn ein Angeklagter erst längere Zeit nichts sagt, dann aber doch Angaben macht, ohne dass diese als „Geständnis“ gewertet werden können? Mit so einem Fall hat sich der Bundesgerichtshof beschäftigt.

Ein Angeklagter hatte lange zu dem Vorwurf geschwiegen, er habe ein 14-jähriges Mädchen missbraucht. Bei der Polizei sagte er, er könne sich an so eine Situation nicht erinnern. Beim psychiatrischen Sachverständigen bestritt er die Vorwürfe pauschal. Nachdem das gesundheitlich eingeschränkte Opfer in der Verhandlung – eher überraschend – belastbare Angaben machen konnte, äußerte sich der Angeklagte, ohne dass ihm damit eine Schuld hätte nachgewiesen werden können.

Das Landgericht Waldshut-Tiengen nutzte aber die Möglichkeit, das Verhalten des Angeklagten als „eindeutig taktisch motiviert“ einzustufen. Allerdings hätten die Richter nur berücksichtigen dürfen, dass der Angeklagte sie mit seiner Aussage auf die Aussage des Opfers einstellen konnte. Allerdings sei es nicht in Ordnung, das anfängliche Schweigen ebenfalls ausdrücklich als taktisch zu werten. Das klingt sehr nachvollziehbar. Ansonsten entstünde ein faktischer Druck, nicht den richtigen Zeitpunkt für eine Aussage zu verpassen.

Der Bundesgerichtshof hebt das Urteil auf; der Fall muss neu verhandelt werden (Aktenzeichen 1 StR 139/22).

Haare schön, Lappen weg

Eine Autofahrerin war am Donnerstag in Dortmund auf der Brackeler Straße mit 110 Stundenkilometern unterwegs. Das gilt unter Einheimischen zwar noch als Schrittgeschwindigkeit, trotz des offiziellen Tempolimits von 50. Anders ist es natürlich, wenn die Kradgruppe der örtlichen Polizei mit einem Schwerpunkteinsatz die Hauptunfallursache der erhöhten Geschwindigkeit bekämpft.

Genau das war zur fraglichen Zeit der Fall, so dass die 25-Jährige nicht nur Fahrzeugschein und Führerschein zeigen musste, sondern sich im Rahmen ordentlich gewährten rechtlichen Gehörs auch zum Tatvorwurf äußern durfte. Sie stritt eine gewisse Eile nicht ab, trug aber Gründe vor, welche die Beamten zur Anwendung des Opportunitätsgrundsatzes bewegen sollten. Im Bußgeldverfahren sind alle Sanktionen ja ins Ermessen der Behörde gestellt. Man darf also auch mal ein Auge zudrücken, ohne dass gleich irgendjemand Strafvereitelung rufen kann.

Eine klitzekleine Chance also, dass es die Polizei bei einer Verwarnung bewenden ließ. Kommt natürlich auf die Geschichte an, aber die ließ sich zweifellos hören. Nach eigenen Angaben war die Frau nämlich unterwegs, um sich die Haare machen zu lassen. Und zwar für ihre Hochzeit, die am gleichen Tag stattfinden sollte. Die Story hat es zwar bis in den Polizeibericht geschafft, konnte die Herzen der gestandenen Krad-Polizisten aber nicht ausreichend erweichen. Die Fahrerin durfte mit besten Wünschen zwar weiterfahren, für die nächsten Tage wurden ihr aber ein behördlich bereits korrekt berechnetes Bußgeld von 480 Euro, zwei Punkte in Flensburg und ein Monat Fahrverbot in Aussicht gestellt. Möglicherweise kann sie die Hochzeitsreise jetzt sozusagen doppelt genießen, wenn sie gleichzeitig das Fahrverbot mit erledigen kann.

Pimmelgate-Razzia war nicht ganz korrekt

Das Pimmelgate des Hamburger Innensenators Andy Grote wird sorgfältig juristisch aufgearbeitet. Vor wenigen Tagen stellte die Hamburger Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen den Autor des Tweets „Du bist so 1Pimmel“ ein und verwies Grote auf den Privatklageweg. Nun ist auch entschieden, ob die Hausdurchsuchung in Ordnung ging. Tut sie nicht, so das Landgericht Hamburg.

Die Richter sagen in ihrer Entscheidung zwar, es habe einen Anfangsverdacht auf Beleidigung gegeben. Allerdings verweisen sie auch auf gewisse rechtsstaatliche Grenzen. Diese sind seinerzeit der Staatsanwaltschaft und dem zuständigen Ermittlungsrichter leider aus dem Blick geraten – aus welchen Gründen auch immer.

Die Hausdurchsuchung halten die Richter für unverhältnismäßig, vor allem das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (einer Mitbewohnerin) stehe über dem möglichen Strafverfolgungsinteresse des Staates. Eine Rolle spielte sicher auch, dass der Twitterer nicht einfach losblaffte, sondern auf Äußerungen Grotes reagierte. Dieser hatte Menschen, die trotz Corona feierten, als „Ignoranten“ tituliert.

Seinen verdienten Platz in den Archiven findet das Pimmelgate allerdings erst, wenn der Innensenator die Sache nicht doch noch selbst vor Gericht bringt oder möglicherweise schon hat. Wie er sich zu dieser juristischen Möglichkeit positioniert, wird sich bestimmt noch zeigen.

Bericht in der Welt

Verfassungsgericht stoppt „Abschiebung“ eines 9-Jährigen

Eine Mutter hat im Streit mit dem Vater ihres Kindes, mit dem sie noch nicht mal verheiratet ist, im deutschen Familienrecht gute Karten – so die sicher landläufige Meinung. Von daher würde man es doch als eher unwahrscheinlich einschätzen, dass ein deutsches Gericht die Überstellung eines neunjährigen Jungen zu seinem Vater nach Spanien anordnet, zumal das Kind seinen Vater kaum kennt und kein Wort Spanisch spricht.

Doch genau das ist passiert. Beziehungsweise wäre fast passiert, hätte das Bundesverfassungsgericht nicht die Notbremse gezogen. Per einstweiliger Anordnung untersagen die Richter, dass der Junge zwangsweise nach Spanien zu seinem Vater gebracht wird. Die zuständigen Familiengerichte, die das eigentlich zulassen wollten, stehen dabei belämmert da. Laut dem Verfassungsgericht haben sie das geltende Recht möglicherweise noch nicht mal richtig verstanden.

Zur Vorgeschichte: Der Junge wurde 2013 in Madrid geboren. Die Eltern waren nicht verheiratet. Die Frau trennte sich und zog mit dem Kind nach Deutschland. Seit Jahren klagt der Vater in Spanien, um seinen Sohn nach Madrid zu holen. Letztlich bekam er vor einem Madrider Gericht recht, die Entscheidung sollte dann in Deutschland vollstreckt werden. Das Bamberger Familiengericht, aber auch das übergeordnete Oberlandesgericht winkten das spanische Verdikt durch mit der Begründung, die deutsche Justiz dürfe das Urteil nur formal prüfen, nicht jedoch seine sachliche Berechtigung.

Das Bundesverfassungsgericht hält das jedenfalls nicht für zwingend. Tatsächlich legen die Richter im Detail dar, dass sich die zuständigen Instanzen möglicherweise im europäischen Paragrafendschungel nicht sonderlich gut auskennen und deshalb irrtümlich meinten, sie müssten die Auffassung ihrer spanischen Kollegen kritiklos teilen. Wen die komplexen Einzelfragen interessieren, mag bitte einen Blick in die heute veröffentlichte Entscheidung werfen.

Abseits formaljuristischer Fragen weisen die Verfassungsrichter auch darauf hin, dass der Junge wohl niemals von der spanischen Justiz angehört worden ist. Zu Recht stellt sich also die Frage, wie man die Belastung des Kindes im Falle seiner Überstellung nach Spanien bewerten kann. Nach deutschem Recht ist es jedenfalls nicht denkbar, dass so eine Frage des Kindeswohls entschieden wird, ohne dass mit dem Kind gesprochen wird.

Es handelt sich um eine einstweilige Regelung. Die Mutter kann nun Verfassungsbeschwerde erheben. Bis diese entschieden ist, kann sie ihren Sohn in Deutschland behalten.

Gericht möchte BMW 735i einbehalten

Falls ihr mal euer Auto verleiht, solltet ihr das nicht in Dresden tun. Für das dortige Amtsgericht können Verkehrsverstöße des Fahrers nämlich dazu führen, dass euer Auto erst mal beschlagnahmt wird – endgültige Konfiskation nicht ausgeschlossen.

So erging es der Eigentümerin eines BMW 735i. Deren Sohn war mit dem Auto gefahren, obwohl er wegen eines Tempoverstoßes ein zweimonatiges Fahrverbot hatte. Ansonsten war er noch nicht sonderlich aufgefallen, es gab einige Bußgelder im Bereich von hundert Euro, aber nicht wegen Geschwindigkeitsübertretung.

Also eher wenig, was es rechtfertigen könnte, das Auto eines Dritten einzukassieren. Doch das Amtsgericht Dresden attestierte dem Sohn weiter, dieser habe sich in seinen Beschwerden gegen die Maßnahmen völlig sinnbefreit geäußert. Außerdem habe er sich bei der Wohnungsdurchsuchung, bei der sein Führerschein beschlagnahmt wurde, fragwürdig verhalten. Deshalb sei zweifelhaft, ob der Mann überhaupt als Autofahrer geeignet sei.

Das Landgericht Dresden gab den BMW frei. Die Beschlagnahme sei nicht gerechtfertigt, denn eine spätere Einziehung sei nach aller Voraussicht unverhältnismäßig. Auch die schriftlichen Eingaben des Betroffenen wollte das Landgericht nicht zu seinem Nachteil werten. Der Mann habe sich zwar „in Wortwahl und Sprachgebrauch“ eher eigenwillig geäußert, aber immerhin versuche er, seine Rechte wahrzunehmen. Aus einer „wahrscheinlich fehlenden Schlüssigkeit oder Überzeugungskraft“ seiner juristischen Argumente könne nicht geschlossen werden, dass er grundsätzlich nicht Auto fahren kann.

Im Beschwerdeverfahren war der Betroffene übrigens schlau. Er ließ sich durch einen Anwalt vertreten.

Link zum Beschluss des LG Dresden

Datei wird zu Papier, Papier aber nicht zur Datei

In fast allen Bereichen der Justiz müssen Anwälte ihre Schriftsätze mittlerweile als elektronisches Dokument einreichen. Sonst werden die Schreiben nicht beachtet, im schlimmsten Fall sind Berufungen, Beschwerden etc. unwirksam. Zu den damit verbundenen Problemen habe ich gestern was geschrieben.

Super, könnte man denken. Dann kommt alles in eine elektronische Akte, das ist schön übersichtlich. Und die Akteneinsicht erleichtert sich auch, weil Gerichte die E-Akte dann über den sicheren Übermittlungsweg des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) zusenden können. Spart die Verpackung, das Porto, die endlose Kopiererei.

Wäre schön. Aber so einfach ist es natürlich nicht. Eine elektronische Akte wird nämlich nicht unbedingt geführt. Vielmehr wird bei vielen Gerichten nach wie vor alles ausgedruckt und eine Papierakte geheftet. Statt also sonstige Dokumente zu scannen, die nicht schon elektronisch eingereicht wurden, werden die elektronisch eingehenden Dokumente wieder in die Papierform überführt. Sonstige Dokumente, etwa Polizeiberichte o.ä., werden also auch gar nicht gescannt, sondern in die Papierakte geheftet.

Ein Rechtsanwalt wollte nun vor dem Verwaltungsgericht durchsetzen, dass ihm zumindest die Akteneinsicht elektronisch gewährt wird. Das hätte aber bedeutet, dass die betreffende Papierakte auf Kosten der Justiz zu digitalisieren gewesen wäre. So weit kann es dann aber doch nicht gehen. Das Oberverwaltungsgericht Hamburg stellt sich in seinem Beschluss jedenfalls auf den Standpunkt, dass selbst ein gesetzlich vorgesehener Anspruch auf eine „Abschrift“ nicht bedeutet, dass eine Papierakte in eine Datei umgewandelt werden muss. Das sei zwar möglich, eine Verpflichtung gebe es nicht.

Der Anwalt musste dann die Akte wohl auf der Geschäftsstelle des Gerichts einsehen. Kosten entstanden auch noch. Für das Verfahren berechnete das Gericht 66 Euro Gebühren.

Link zum Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Hamburg

Zum Glück zu Hause

In Florida hat die Türkamera einer Frau aufgenommen, wie die Polizei die Haustüre aufbrechen wollte, um einen Räumungsbeschluss durchzusetzen. Aber seht selbst:

Die Bewohnerin war froh, dass sie über ihre smarkte Türklingel mit den Polizeibeamten kommunizieren konnte. Obwohl sie nicht zu Hause war. Sie lobte die Beamten auch für ihr späteres Verhalten. Diese hätten sich nicht nur entschuldigt, sondern ihr auch was zu essen gebracht und die Tür repariert.

Fristablauf ist bei mir nicht (mehr) Fristablauf

Die Anwaltskollegen aus dem Zivil-, Verwaltungs- und Sozialrecht lieben beA, das besondere elektronische Anwaltspostfach, ja schon länger. Seit dem Jahresanfang trifft es auch uns Strafverteidiger. Wir dürfen zwar auch noch altmodische Briefe und Faxe schicken. Aber für die meisten Rechtsmittel gilt nun auch die beA-Pflicht nach § 32d StPO. Das heißt, wenn eine Revision beispielsweise nicht per beA eingelegt wird, ist sie unwirksam.

Ich gebe zu, einmal hat mich das beA in einen echten Fristendruck gebracht. Ich hatte am Tag des Fristablaufs, es war ein Freitag, noch eine Revisionsbegründung abzugeben. Tagsüber hatte ich einen Gerichtstermin. Der dauerte – eher unerwartet – bis in den frühen Abend. Das war kein großes Problem. Der Schriftsatz war an sich fertig, ich wollte nur noch mal drüber lesen und noch ein wenig am Text frickeln. Das geschah nun erst gegen 19 Uhr, aber gut, ich habe ja keine festen Arbeitszeiten.

Gegen 20.30 Uhr wollte ich das Werk dann per beA senden. Das System reagierte – mit der Aufforderung zu einem Zwangsupdate. Welches dann scheiterte, weil angeblich Java zerschossen war. Java installierte ich neu, was die beA-Software aber nur zur gleichen Fehlermeldung animierte. Nach einer knappen dreiviertel Stunde Update-Versuch griff ich zu Plan B. Ich ging mal rüber zu einer benachbarten Anwaltskanzlei. Dort arbeitete zum Glück noch ein Kollege. Der hatte schon am Nachmittag sein Glück mit dem Update versucht. Deutlich erfolgreicher als ich.

Ich durfte meinen Schriftsatz über das System der Kollegen senden, wofür ich mich auch noch mal bedanken möchte. Zu Gegendiensten bin ich jederzeit gern bereit. Unser beA bekam ich am Samstag auch gefixt, zumindest erst mal auf einem anderen Rechner. Aber da wäre die Frist schon versäumt gewesen.

Ich habe aus der Sache gelernt. Fristen, die nur übers beA zu erledigen sind, laufen bei mir nicht mehr am Tag des Fristablaufs ab. Sondern einen Tag vorher. Ich gehe nicht nach Hause, bevor der Schriftsatz draußen ist. Außerdem halte ich das beA immer auf mindestens zwei Rechnern frisch, einer davon steht bei mir zu Hause. Das ist mir mein Seelenfrieden wert.

Rechtsstreit um einen verblassten Stempel

Du hast einen städtischen Parkausweis, dein korrekt geparkter Wagen wird dennoch abgeschleppt. Okay, offenkundig fehlt bei dieser Geschichte aus Koblenz ein Detail, um sie juristisch „interessant“ zu machen. Diesen Fakt liefere ich gern nach: Der Stempel auf der Parkerlaubnis eines Schwerbehinderten war durchs Sonnenlicht so verblasst, dass er nicht mehr lesbar war. Die den ruhenden Verkehr kontrollierende Person ließ das Auto abschleppen. Der Autofahrer sollte die Kosten tragen, man traf sich vor Gericht.

Für mich durchaus nachvollziehbar legte der Autobesitzer dar, dass solche Ausweise und das aufgestempelte Dienstsiegel doch eigentlich für längere Sonneneinstrahlung ausgelegt sein sollten. Immerhin sind sie zur Vermeidung eines Knöllchens deutlich sichtbar auf dem Armaturenbrett auszulegen, und schönes Wetter liegt jedenfalls nicht im Bereich des Unmöglichen. Der Betroffene erkannte eine Pflichtverletzung der Behörde bei der Wahl der Stempelfarbe, die Stadt habe am falschen Ende gespart.

Klingt schlüssig, überzeugte das Landgericht Koblenz aber nicht. Die Richter streiten zwar nicht ab, dass die Stempelfarbe im Sonnenlicht innerhalb weniger Monate verblichen ist. Aber das falle in den Verantwortungsbereich des Bürgers. Dieser müsse sich einen neuen Ausweis besorgen, wenn das alte Dienstsiegel nicht mehr erkennbar sei. Letztlich wurde dem Kläger aber wohl zum Verhängnis, dass er eine erste Warnung durch einen städtischen Parkplatzkontrolleur in den Wind geschlagen hatte.

Die Legal Tribune Online berichtet über den Fall

Schwule Ampelpärchen dürfen bleiben

In München dürfen auf Ampeln weiter schwule Ampelmännchen und -pärchen Fußgängern Signale geben. Solche Ampeln sind in München an ganzen sechs Übergängen installiert. Gleichwohl sah sich ein Bürger in seinen Rechten verletzt. Mit seiner Klage beschäftigte sich jetzt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.

In erster Instanz hatte das Verwaltungsgericht schon geurteilt, dass an den Piktogrammen nichts auszusetzen ist. Der Verwaltungsgerichtshof stellt in seinem Beschluss fest, die Ampeln seien „ersichtlich eine Botschaft der Sympathie und Toleranz an homosexuelle Menschen“, überdies auch „eine Aufforderung an die Mehrheitsgesellschaft zu Toleranz gegenüber Menschen mit abweichender sexueller Orientierung“. Demgegenüber habe der Kläger nichts vortragen können, was ihm einen juristischen Unterlassungsanspruch geben könnte. Ein Rechtsmittel hat der Kläger nicht (Aktenzeichen 11 ZB 21.1777).

Leise Zweifel

Es ging um ein paar Stundenkilometer zu viel, aber für einen Taxifahrer ist jeder Punkt in Flensburg eine doppelte Bürde. Ganz aussichtslos war die Sache nicht. Das Radarfoto zeigte zwar den Fahrer des Wagens, aber dieser hatte eine FFP2-Maske auf. Was man sonst vom Kopf sah, war nun auch nichts, was besonders ins Auge stach. Ist halt manchmal auch vorteilhaft, wenn man ein Allerweltsgesicht besitzt.

Der Mandant machte, was sein gutes Recht ist. Er bestritt, die Person auf dem Fahrersitz zu sein. Damit war ein Sachverständigengutachten im Gerichtstermin quasi obligatorisch. Mir persönlich schienen die Erfolgsaussichten aber nicht besonders ausgeprägt. Jedenfalls fiel mir auf, dass der Mandant unter dem linken Auge eine deutliche sichtbare Warze hat. Ausgerechnet an dieser Stelle zeigte auch das Messfoto einen dunklen Punkt.

Der Sachverständige erstellte im Gerichtstermin seine Vergleichsfotos und vertiefte sich sehr lange in die Daten, die über sein Notebook liefen. Schließlich winkte er ab: „Es passt einiges, aber die Warze ist an einer leicht anderen Stelle als der dunkle Fleck auf dem Messfoto.“ Er wollte sich also nicht auf eine Wahrscheinlichkeit festlegen, die für eine Verurteilung reicht. Dem folgte der Richter, was blieb ihm auch groß.

Also Freispruch. Kosten zahlt die Staatskasse. Das ist natürlich erfreulich. Nur mit den gegenüber dem Mandanten gehegten leisen Zweifeln, mit denen muss ich jetzt leben. Demnächst ist wieder etwas mehr „Professionalität“ angesagt.

Handels- und Vereinsregister nun kostenlos und durchsuchbar

Die Abfrage öffentlicher Register war noch nie ein Vergnügen. Dienstleister forderten happige Gebühren, teilweise musste auch noch ein berechtigtes Interesse nachgewiesen werden. Das ist seit heute anders. Registereinträge sind nun online über ein gemeinsames Portal der Länder abrufbar – kostenlos und ohne Registrierung.

Konkret lassen sich über das Registerportal sämtliche Einträge im Handels-, Genossenschafts- und Partnerschaftsregister aufrufen. Außerdem die kompletten Vereinsregister. Ich habe es gerade mal mit ein paar Firmen und Vereinen probiert. Es klappt.

Ein cooles Feature ist die Schlagwortsuche. Das heißt, man muss noch nicht wissen, wie das gesuchte Unternehmen oder der Verein genau heißen. Wer zum Beispiel Lust hat, kann sich alle Firmen mit dem Namensbestandteil „Pommes“ auflisten lassen. In diesem Sinne herzliche Grüße an die mir bislang unbekannte „Schnelle Theke“ in Viersen.

Link zum Registerportal

„Du bist so 1 Pimmel“ bleibt wohl ungesühnt

Die als „Pimmelgate“ bekanntgewordenen juristischen Verwicklungen haben ein stilles Ende gefunden. Wie jetzt bekannt wurde, hat die Hamburger Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren vor einiger Zeit eingestellt – die Behörde sieht kein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung. Das ist durchaus nachvollziehbar.

Für eine Hausdurchsuchung hatte es noch gereicht. Diese richtete sich gegen einen Twitternutzer, der in Richtung des Hamburger Innensenators Andy Grote geschrieben hatte: „Du bist so 1 Pimmel.“ Grote hatte Strafantrag gestellt.

Der Bemerkung waren weniger freundliche Äußerungen des Innensenators vorangegangen. Unter anderem hatte er Menschen, die trotz Corona im Hamburger Schanzenviertel feierten, als „ignorant“ bezeichnet. Ob das Verfahren nun wirklich ganz zu Ende ist, wird sich zeigen. Denn wie jedem „Beleidigten“ steht dem Politiker der Privatklageweg offen. Allerdings müsste er dann auch erst mal den gesetzlich vorgesehenen Sühneversuch beim Schiedsmann über sich ergehen lassen.

Bericht im Nordkurier

Im Auftrag des Staatsanwalts

Die Vorladung eines Beschuldigten bei der Polizei. Ein alltäglicher Vorgang. Ich weise an dieser Stelle nicht zum ersten Mal darauf hin, dass eine Vorladung eigentlich keine ist. Höchstens eine Einladung. Der kann man folgen. Muss es aber nicht.

Das ziemlich umfassende Schweigerecht des Beschuldigten gefällt natürlich nicht jedem bei der Polizei. Gut möglich, dass Rechte heute auch weiter bekannt sind – oder zumindest selbstbewusster wahrgenommen werden. Da möchte man natürlich gegensteuern. Selbstverständlich bildet die Strafprozessordnung den Rahmen, aber ein bisschen Segeln unter falscher Flagge hat noch niemandem geschadet.

Ein Beispiel hierfür sind Vorladungen, die man als Anwalt seit einiger Zeit immer öfter sieht. Da wird der Beschuldigte einbestellt, und zwar so:


Klingt ja schon mal wichtig, wenn die Staatsanwaltschaft einen „Auftrag“ erteilt hat. Aber welche juristische Relevanz hat dieser Satz? Führt er dazu, dass man einer polizeilichen Vorladung im Auftrag der Staatsanwaltschaft folgen muss? Oder, wenn nicht, um die Obrigkeit jedenfalls nicht zu verärgern?

Tatsächlich ist die Formulierung relativ neu. Einen Sinn macht sie mittlerweile zweifellos. Aber nur wenn Zeugen vorgeladen werden. Ein Zeuge ist jemand, der vielleicht was gesehen hat. Eine Tat wird ihm aber nicht vorgeworfen. Jedenfalls nicht derzeit. Bei Zeugen ist es in der Tat so, dass diese durch eine Rechtsänderung wirklich auch bei der Polizei erscheinen müssen. Und zwar, wenn eben jener Auftrag der Staatsanwaltschaft vorliegt. So steht es in § 163 Abs. 3 StPO:

Zeugen sind verpflichtet, auf Ladung vor Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt.

Bei einem Zeugen macht es also Sinn, wenn die Polizei auf den ausdrücklichen Auftrag der Staatsanwaltschaft hinweist. Polizeibeamte sind Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft. Mit entsprechendem Auftrag können sie also darauf bestehen, dass Zeugen erscheinen – und Angaben zur Sache machen. Widerspenstige Zeugen können mit Ordnungsgeldern oder gar Haft belegt werden.

Für Beschuldigte findet sich so eine Regelung aber gerade nicht. Allerdings gibt es einen Paragrafen, der in diesem Zusammenhang gerne instrumentalisiert wird. § 163a Abs. 3 StPO bestimmt:

Der Beschuldigte ist verpflichtet, auf Ladung vor der Staatsanwaltschaft zu erscheinen.

Wenn der Staatsanwalt einen sehen will, geht demnach heute kein Weg daran vorbei. Das heißt natürlich nicht, dass man als Beschuldigter mit dem Staatsanwalt sprechen muss. Das Schweigerecht gilt auch bei ihm. Mir ist deshalb bis heute noch nicht so ganz klar, was diese Rapportpflicht bezweckt. Außer dem denkbaren Nebeneffekt, dass die Vorladung vor den Staatsanwaltschaft eine Art Lackmustest für die Frage sein kann, ob der Beschuldigte es nicht ohnehin vorzieht, im weiteren Ermittlungsverfahren durch Abwesenheit zu glänzen.

Wenn man es auf dem Boden des geltenden Rechts betrachtet, macht der Hinweis in der polizeilichen Vorladung des Beschuldigten auf den Auftrag der Staatsanwaltschaft keinen Sinn. Auch mit Auftrag der Staatsanwaltschaft wird der Polizeibeamte kein Staatsanwalt, so dass er sich nicht auf § 163a Abs. 3 StPO berufen kann.

Zusammengefasst: Wenn die Polizei in der Vorladung des Beschuldigten etwas von einem Auftrag der Staatsanwaltschaft erzählt, ist das sachlich nicht falsch. (Vorausgesetzt, der Auftrag findet sich wirklich in der Akte, was mitunter dann doch nicht der Fall ist.) Aber genau so gut könnte der Beamte auch was zum Wetter schreiben. Oder einen Lottotipp abgeben. Die Rechte des Beschuldigten beeinflusst der Hinweis nicht.