LOSBUDE

Berufungsrichter müsste man sein. Über der Instanz wölbt sich der blaue Himme. Höchstens getrübt vom vagen Risiko, dass sich eine düpierte Prozesspartei nach Karlsruhe begibt. Zum Bundesverfassungsgericht. Ein Gericht übrigens, das Grundrechtsverstöße mitunter nicht ahndet mit der Begründung, der Senat habe sich zu dieser Rechtsfrage bereits geäußert. Wenn sich die unteren Instanzen nicht dran halten, hat der Bürger halt Pech gehabt.

Ach ja, man könnte noch an die europäischen Gerichtshöfe appellieren. Aber das ist nichts, was den wackeren Vorsitzenden eines Berufungsgerichts wirklich davon abhalten sollte, sich zurückzulehnen, die Fingerspitzen aufeinander zu drücken und sinngemäß Folgendes zu erklären: Nach den Buchstaben des Gesetzes müssen wir der Klägerin Recht geben. Aber die Buchstaben des Gesetzes sind flüchtig wie der Wind. Ein Federstrich des Gesetzgebers, schon sieht die Welt ganz anders aus. Überhaupt, der Gesetzgeber. Schauen Sie sich doch mal an, was die in Berlin und unserer Landeshauptstadt für einen Murks machen.

Was also zählt? Natürlich nur eins, die materielle Gerechtigkeit. Und wenn es um diese Frage geht, sieht es für die Beklagte bestens aus. Da uns keiner kontrolliert, ist es uns eigentlich herzlich egal, ob wir das Gesetz etwas verbiegen oder nicht. Natürlich nur in diesem einen, er lächelt sanft, „etwas skurrilen Fällchen“.

Wenn ich auf Klägerseite gestanden hätte, hätte ich um eine fünfminütige Unterbrechung gebeten. Um einen unaufschiebbaren Antrag zu stellen. Auf Ablehnung des Gerichts. Wegen Besorgnis der Befangenheit. Das hätte zwar auch nichts gebracht, aber immerhin kann man Zivilrichter damit ab ein klein wenig ärgern.

Aber ich stand ja auf Seiten der Beklagten. Und so habe ich emsig genickt und das Gericht für seine Weisheit gepriesen. Während der gegnerische Anwalt nur schluckte und nicht aufbegehrte. Nicht mal ein bisschen.

Es lebe also die Gerechtigkeit. Zumindest bis zur nächsten Ziehung in der Losbude namens Landgericht.

BEMÜHT

BEMÜHT

Die Tage mal eine Richterin korrekt abgepasst. Obwohl die Sache hakelig war, rang sie sich zu einem Freispruch durch. Keine Ahnung, ob es am flammenden Plädoyer lag. Oder an der vorhergehenden Demontage der Zeugen. Jedenfalls war die Staatsanwältin, die wie für diese Berufsgruppe üblich an einer anderen Veranstaltung teilgenommen hatte, hellauf entsetzt und erklärte schmallippig: „Mit einem Rechtsmittelverzicht können Sie aber nicht rechnen.“

Obwohl ich nach Schluss der Verhandlung normalerweise nicht fraternisiere (Stammleser dürfen jetzt schmunzeln), kratzte ich etwas Jovialität vom Boden meines Aktenkoffers und rang mir eine unter Juristen durchaus als launig anzusehene Bemerkung ab: „Wollen Sie sich wirklich mit einer Berufung noch mehr Arbeit machen? Ich meine, wenn ich bei Ihnen in den Büros die Aktenberge sehe…“

Sie wiederum schenkte mir ein Lächeln, welches mir erstmals die wahre Tiefe der Vokabel „bemüht“ offenbarte. Mit einem spröden tschüss gingen wir dann unserer Wege. Die allerdings kreuzten sich dann 15 Minuten später bei Subways erneut und wir winkten uns höflich über die Tische zu.

Aber im Übrigen habe ich keine Ahnung, warum die Berufung dann doch ausgeblieben ist.

WILLKÜR

WILLKÜR

Das Bundesverfassungsgericht hebt einen Beschluss des Oberlandesgerichts München auf. Die Kritik der Karlsruher Richter: Den Münchner Kollegen war „entgangen“, dass eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft unverhältnismäßig und willkürlich war. Die Staatsanwaltschaft hatte die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe erst zurückgestellt, dann den Betroffenen aber ohne jede Vorwarnung und konkreten Anlass festnehmen und einsperren lassen.

(danke an Mathias Schindler für den link)

AUFREGUNG

Aufregung um einen Satz der Bundesjustizministerin. Frau Zypries hatte sich in einem Interview zur Strafbarkeit von Kinderpornografie geäußert. Sie sagte laut Spiegel online, dass „das, was man zum Eigengebrauch hat, nicht so strafwürdig ist, wenn es überhaupt strafwürdig ist, wie das, was man dealt“. Das sei auch vom Rauschgift her bekannt.

Die Reaktion der – teilweise selbsternannten – Opferschützer belegt, dass man mittlerweile von einer echten Hysterie sprechen kann, allerdings nicht auf Seiten der Ministerin. Der Strafrahmen für den Besitz von Kinderpornografie hat sich neulich verdoppelt: auf 2 (!) Jahre. Wenn man in der Praxis erlebt, wie lasch mitunter Leute bestraft werden, die Kinder real betatscht oder noch schlimmer missbraucht haben, ist diese Strafdrohung eine brutale Keule. Die auch geschwungen wird. Da der Besitz meist relativ problemlos nachweisbar ist, wird auch entsprechend hart geurteilt – und so manche Existenz gnadenlos vernichtet.

Im Strafrecht gilt aber nun mal der Grundsatz, dass jeder nach dem Grad seiner Schuld zu bestrafen ist (§ 46 Abs. Strafgesetzbuch). Wer Kinderpornos herstellt, lädt größere Schuld auf sich als derjenige, der sie verkauft. Hersteller und Verkäufer können nach dem neuen Recht bis zu fünf Jahren ins Gefängnis geschickt werden.

Hersteller und Vekäufer tragen wiederum größere Schuld als der, der diese Bilder besitzt. Ich betone, es geht hier nicht um Moral, sondern darum, nicht einfach jedes Augenmaß bei der Schuldfrage zu verlieren. Das ist einer der wesentlichen Punkte, die ein deutsches Strafgericht von einem Hexenprozess unterscheiden.

Ein gewichtiges Argument für die hohe Strafdrohjung ist immer, dass der Besitzer von Kinderpornografie den Markt am Leben hält und deshalb abgeschreckt werden muss. In den nicht gerade wenigen Verfahren, die ich in den letzten Jahren als Verteidiger erlebt habe, ist mir allerdings eines aufgefallen: Bei der harten Pornografie finden sich fast immer die gleichen Bilder oder Filme auf den Festplatten der Verdächtigen. Die meisten Medien sind nachweislich 15, 20 oder sogar schon 30 Jahre alt.

Nur ganz selten spielen Bilder oder Filme eine Rolle, die jüngeren Datums sein könnten. Ich habe natürlich keinen repräsentativen Überblick, aber nach meiner Einschätzung entspringt der florierende Kinderpornomarkt eher dem (Wunsch-)Denken mancher der erwähnten Hysteriker. Kann gut sein, dass sie damit nur ihren eigenen Umsatz in Form von gutgemeinten Spenden erhöhen wollen.

Wer in diesem Bereich etwas Gutes tun will, sollte Organisationen unterstützen, die etwas Vernünftiges gegen realen Missbrauch tun.

ABGELAUFEN

In England ist bei einem Richter kompromittierendes Material auf seinem Computer gefunden worden. Zu einem Verfahren wird es aber nicht kommen. Die Beweise sind nämlich unverwertbar, weil der Durchsuchungsbeschluss einen Tag abgelaufen war, so dieser Bericht.

In Deutschland hätte sich hierfür niemand interessiert. Bei uns sind, wir hatten das Thema vor einiger Zeit schon einmal, Beweismittel regelmäßig auch dann verwertbar, wenn sie illegal erlangt wurden.

Ich habe neulich einen Polizeibeamten darauf hingewiesen, dass eine Durchsuchung in einer Privatwohnung mangels „Gefahr im Verzuge“ rechtswidrig ist. Seine Antwort: „Sehen Sie, wie ich vor Ihnen zittere? Und jetzt stören Sie bitte nicht weiter.“

(danke an Margaret Marks für den link)

ERFOLGLOS

Die deutschen Verwaltungsrichter bezweifeln die Rechtmäßigkeit der Antiterror-Gesetze. Die Menge der gesammelten Daten stehe in in keinem Verhältnis zu den bisherigen Erfolgen – von denen es bisher kaum welche geben soll. Die Verwaltungsrichter fordern außerdem eine zeitliche Befristung des Gesetzes, so beck-aktuell.

DUBIOS

Um Betrüger ausfindig zu machen, setzen Versicherungen Detektive auf ihre Kunden an. Doch die durchleuchten Privates auch mit dubiosen Methoden, insbesondere unter Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz, berichtet Spiegel online.

Einer meiner Mandanten wurde von seinem früheren Arbeitgeber bespitzelt. Es ging darum, Flugdaten zu ermitteln. Von einer Detektei ließ sich die Firma den Inhalt des gesamten Vielfliegerkontos meines Auftraggebers besorgen. Dass dies eigentlich nur durch Schmieren eines Mitarbeiters der Fluggesellschaft oder das Knacken eines (nach Auskunft der Fluggesellschaft) bombig gesicherten Computersystems möglich gewesen sein dürfte, liegt eigentlich auf der Hand.

Die zuständige Staatsanwaltschaft Essen stellte das Verfahren jedoch mit der Begründung ein, es könne dem Detektiv ja auch mit einigem Geschick und unauffälligem Nachfragen gelungen sein, an einem Flugschalter freiwillig von einem Mitarbeiter die Informationen zu erhalten.

Eine wahrhaft resolute Anwendung des Grundsatzes „Im Zweifel für den Angeklagten“.

AND THE WINNERS ARE

Die Gewinner des T-Shirt-Contest stehen fest. Die Glücksfee hat sich leider vorhin schon zum Hortwochenende in die Jugendherberge verabschiedet. Deshalb musste ich die Auslosung selbst vornehmen. Getroffen hat es:

     Ihre Hoheit

     Bastel

     Lyssa

     Artur

     Wiebke

Die Gewinner kriegen von mir eine mail, wo sie dann ihre genauen Wünsche angeben können.

Ihnen und allen anderen law blog – Lesern wünsche ich ein schönes Wochenende. Hier geht es am Montag weiter.

HAUSINTERN

Auch als normaler Anwalt hat man mitunter das Vergnügen, für eine Versicherung zu arbeiten. Bei einer abgebrannten Lagerhalle mit einem riesigen Warenlager war der Prozess auch gebührentechnisch nicht von Pappe. Nach dem ersten Gutachten waren plötzlich noch zwei weitere notwendig. Projektierte Verfahrensdauer: mindestens ein weiteres Jahr.

Vor diesem Hintergrund erlaubte ich mir, die bislang entstandenen Gebühren bei meiner Auftraggeberin abzurechnen. Den Vorschuss für die Sachverständigen wies die Versicherung an; meine Rechnung blieb unbeachtet. Ein Erinnerungsschreiben ebenfalls. Der Anruf bei dem Sachbearbeiter verlief wenig erfreulich: „In unserem Haus“, näselte er, „reichen die Anwälte ihre Rechnung ein, wenn das Verfahren abgeschlossen ist.“

„Kein Problem“, sagte ich, „wenn Sie mir dann bitte die banküblichen Zinsen erstatten.“ Der Mann kroch mir fast durchs Telefon. „Warum sollten wir das, Ihrer Meinung nach?“ „Weil die Gebühren fällig sind. Steht so in der Anwaltsgebührenordnung.“ Ja, ja, bügelte mich der Sachbearbeiter ab. Er werde das mal „hausintern“ besprechen.

Die in Aussicht gestellte Antwort blieb leider aus. Mir blieb also nichts anderes übrig, als meine Gebühren beim Gericht anzumelden. Das ist auch gegenüber dem eigenen Auftraggeber möglich. Als schließlich der Kostentitel vorlag, zahlte die Versicherung immer noch nicht.

Na ja, ich habe dann das Beitragskonto mit einer Pfändung geschlossen. Was dann allerdings zu einigen aufgeregten Anrufen führte. Und einer Blitzüberweisung.

Seit diesem Tag war auch ein anderer Sachbearbeiter für mich zuständig.

WAS ANWÄLTE VERDIENEN

WAS ANWÄLTE VERDIENEN

Spiegel online widmet sich den Gehältern der Anwälte:

„Das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Einzelanwalts liegt bei 37.000 Euro. Wer sich also als Feld-Wald-und-Wiesen-Anwalt niederlässt, braucht neben einer ordentlichen Portion Unternehmergeist auch noch ein dickes finanzielles Polster. In kleineren Kanzleien (bis 20 Anwälte) beläuft sich das Jahresgehalt im Durchschnitt auf exakt 36.852 Euro. Mit der Größe der Kanzlei steigt dann auch das Einkommen der Anwälte: 47.000 Euro in Kanzleien mit 21 bis 50 Mitarbeitern, 53.000 Euro in Kanzleien mit 51 bis 100 Mitarbeitern und 71.000 Euro in Kanzleien mit 101 bis 500 Mitarbeiter.“

ERFINDUNG?

Fünf Bedienstete der Justizvollzugsanstalt Brandenburg/Havel sind vom Dienst suspendiert worden. Sie sollen jahrelang Häftlinge misshandelt haben. Laut einem Bericht des RBB-Magazins „Klartext“ drangen die mit Sturmmasken vermummten Beamten in die Zellen ein und schlugen mit Schlagstöcken und Fäusten die Gefangenen. Einem Gefangenen, der einen Herzinfarkt erlitt, soll medizinische Hilfe verweigert worden sein. Mehr bei Spiegel online.

Strafverteidiger hören immer mal wieder ähnliche Geschichten. Es fällt zunehmend schwer, so was in jedem Fall als Erfindung abzutun.